Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


Скачать книгу

gesprochen, der mich als Erstes behandelte. Danach kam dieser Dr. Slawici, der dann die Sache mit dem missglückten Experiment hervorbrachte, weswegen ich letztendlich auch die Möglichkeit bekam, auf Bewährung freizukommen. Aber der andere, dem hatte ich das erzählt … mit Kurt Gräbler und den Träumen und er fragte mich, ob ich schon mal hypnotisiert worden wäre? Er meinte, er könnte sich vorstellen, dass in jedem verschiedene Seelen stecken, die zu bestimmten Zeiten an die Oberfläche kriechen und auch wieder in der Versenkung verschwinden, wenn ein anderer Teil überhandnimmt. Er erzählte mir was von Elektronen und Photonen, aus denen wir alle bestehen. Und die sind schon immer da, seit Anbeginn der Zeit und tragen Wissen in sich, was dann in einem Menschen das große Ganze ergibt und was diesen Menschen ausmacht. So eine Ansammlung von Elektronen kann auch mal ein bestimmtes Wissen oder einen bestimmten Wesenszug verstärkt auftreten lassen“, erklärt er. Wesentlich nachdenklicher murrt er leise: „Allerdings tritt dieses riesige Wissen aus alten Zeiten bei uns nur als winziger Bruchteil zutage. Wir Menschen sind eigentlich so unglaublich dumm, obwohl wir Unglaubliches leisten könnten. Ich habe viel darüber nachgedacht. Wenn es wirklich so ist, vielleicht hat Kurt Gräbler einfach nur geschafft, dass seine Elektronen sich nicht so aufspalteten, wie sie es nach dem Tod eigentlich tun … und so haben wir geballte Elektronenklumpen von ihm in uns. Wie er es allerdings schaffte, dass diese Klumpen sich in uns allen dreien zusammenfanden? Keine Ahnung. Vielleicht nur Zufall!“

      Was er sagt, ist mir nicht neu. Ich habe über so etwas auch schon mal etwas gelesen. Und es scheint eine Erklärung für das zu sein, was wir bisher träumten. Vielleicht hat das eigentlich jeder Mensch, nur nicht so exzessiv. Vielleicht ist es das, was Kurt Gräbler mit seinen Mitteln erreicht hatte. Aber das ist weit von Unsterblichkeit entfernt und mir wird klar, dass Julian Angst hat, dass er dem großen Geheimnis auch niemals auf die Spur kommt, weil es nichts gibt, dem man auf die Spur kommen kann. Nicht, solange wir unser Gehirn nicht in dem Maße nutzen, wie wir es eigentlich können müssten, und die Elektronen zusammenzuhalten schaffen. Der menschliche Körper ist dem Untergang geweiht, weil die Elektronen in der vorgegebenen Konstellation nicht aufrechterhalten werden können … oder aufrechterhalten werden wollen. Und vielleicht kommen immer mal wieder ganze Elektronenbündel in einem neu entstehenden Menschen an und geben ihm etwas vor. Deswegen wird der eine zum Mörder und der andere zum großen Denker. Das sind dann gebündelte Wesenszüge eines Vorgängers. Aber Fakt ist in unserem Fall wohl, dass in einer Generation von einer Familie drei fast Gleichaltrige mit den Elektronen ihres Vorfahrens bestückt wurden. Das ist wahrscheinlich das, was diese Al Kimiys dazu veranlasste, in dem Ganzen eine Hoffnung für sich zu sehen, an den Stein der Weisen zu gelangen.

      „Ich glaube nicht, dass es Zufall war“, antworte ich. „Kurt Gräbler hat das schon irgendwie beeinflusst. Und er ist nicht weg! Er ist noch irgendwo in uns und wartet darauf, wieder hervorzubrechen. Aber durch unser Leben sind wir so sehr mit anderen Dingen beschäftigt, dass er in den Hintergrund wandern musste. Du hast das Wissen in dir! Was war das mit der Hypnose? Vielleicht kann man auf diesem Wege das ganze Wissen in dir wieder hervorholen?“, sage ich und Hoffnung steigt in mir auf.

      „Haben sie schon versucht. Dieser Psychiater wollte damals in zwei Sitzungen herausfinden, was in mir schlummert und dann war er plötzlich weg und dieser Dr. Slawici übernahm meinen Fall und begann mir die Sache mit dem missglückten Experiment und den Folgen einzutrichtern, durch die ich euch dann Angriff. Und das war mir viel geheurer, als die Sache mit dem Alchemisten, der mich zu einem Mörder machen wollte. Aber dass er plötzlich in mir verebbte, obwohl ich ihn noch kurz vorher als mein Leben bestimmendes Individuum in mir spürte, irritiert mich schon etwas. Aber dieser Slawici tauchte erneut bei mir auf, als ich aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Ich war keine zwei Stunden bei den Al Kimiyaern, als ich schon in ein Zimmer geführt wurde und sie mich unter Hypnose setzten. Ich wünsche mir ehrlich, sie hätten etwas Brauchbares gefunden. Aber nichts! Und sie fordern von mir, dass ich wieder Kurt Gräbler rauslasse und ihnen gebe, was sie seit mehr als einem Jahrhundert suchen. Carolin - ich habe da echt Bedenken, ob ich das kann!“

      Er klingt verzweifelt und völlig außer sich, und auf einmal tut er mir leid. Ich will, dass er mir mein Leben mit Erik erhält und die Al Kimiys wollen, dass er ihnen ewiges Leben schenkt und Michaela will natürlich, dass er nicht mit seiner Schwester ins Bett gehen muss. Oh Mann. Jeder will etwas von ihm! Etwas, was keiner sonst von einem so jungen Menschen verlangt.

      „Julian, sie haben uns Zeit gegeben und die werden wir nutzen. Auch ich werde versuchen einen Ausweg zu finden, ohne dass wir machen müssen, was diese Freidenker von uns wollen. Aber es ist vielleicht ratsam, wenn wir so tun, als hätte uns ihre Sache voll in den Bann geschlagen. Sie spielen mit gezinkten Karten … warum sollen wir das nicht auch?“

      Einige Zeit ist es still am anderen Ende der Leitung. Dann höre ich Julian raunen: „Du hast dich so sehr verändert, das glaubst du gar nicht. Jedes Mal, wenn du den Mund aufmachst, denke ich das … und wenn ich dich mit Erik sehe. Er scheint dir wirklich das Erwachsenwerden im Eiltempo beigebracht zu haben.“

      Ein warmes Gefühl wabert durch mein Innerstes. „Kann man so sagen!“ Mich lang auf das Sofa ausstreckend füge ich hinzu. „Und du hast mit Michaela wohl auch deine Interessen neu definiert?“

      Ich werde etwas hellhörig, ob er eine Andeutung macht, dass er weiß, dass sie auch schon mit Erik geschlafen hat, etwas, was mir immer noch sauer aufstößt. Mir wäre lieber, wenn meine Schwägerin nicht Julians Schwager in und auswendig kennen würde. Aber scheinbar weiß Julian nichts davon und dass Michaela das als dunkles Geheimnis hütet, zeigt mir, dass es ihr zumindest unangenehm ist.

      „Ja, sie ist wirklich was fürs Herz. Und sie ist noch nicht so verbraucht, wie die meisten Mädchen. Sie hatte noch nicht viele Kerle und ist in ihrem Wesen so rein und beständig. Nicht so wie die meisten Frauen, die sich von jedem ins Bett zerren lassen.“

      Ich schlucke und weiß, Julian würde wahrscheinlich sein Schön Liebchen mit anderen Augen sehen, wenn er wüsste, dass sie Erik zu einem One-Night-Stand gedrängt hatte, von dem sie sich natürlich mehr erhofft hatte.

      Von hinten fällt ein Schatten auf mich und ich sehe verwirrt auf.

      Erik steht am Sofa und sieht mich an. An seinem Blick sehe ich, wie sehr er es hasst, mich am Telefon vorzufinden, lässig auf dem Sofa aalend und ins Telefon säuselnd. Zumindest sieht er so aus, als sähe er das so.

      „Okay, Julian! Ich muss jetzt Schluss machen. Und mach dir keine Sorgen, wir kriegen das schon alles irgendwie hin. Mach du mal dein Studium weiter, das du doch sowieso machen wolltest und nimm die Hunde richtig aus. Was sie dir zahlen, lass dir bezahlen. Wir bleiben in Verbindung und schauen, wie wir da auf die Dauer wieder rauskommen. Und sag mir sofort Bescheid, wenn du was von Tim erfährst. Ich will auf keinen Fall, dass er mich wieder unvorbereitet trifft“, sage ich geschäftsmäßig.

      „Klar! Das mache ich. Und du pass auf dich auf.“

      „Sicher! Bis bald!“, murmele ich, als Erik seine Hand zu mir streckt, weil er das Handy haben will.

      Ich lege auf und gebe es ihm.

      Sofort wird sein Blick finster. „Warum legst du auf?“

      Mir war klar, dass er Julian sprechen wollte. Aber ich wollte das nicht.

      „Ach, wolltest du Julian noch sprechen?“, frage ich unschuldig lächelnd.

      Er drückt auf dem Handy herum und ich frage mich gerade, ob er Julian wieder anrufen will, als er brummt: „Vierunddreißig Minuten?“

      Ich sehe ihn verständnislos an.

      „Ihr habt vierunddreißig Minuten telefoniert?“ Eriks Augen funkeln wütend und ich stehe vom Sofa auf. Irgendetwas stimmt nicht.

      „Kann sein. Und? Ich habe ihm doch sagen müssen, was am Wochenende passiert ist und dass mich diese Typen verschleppt haben, für die er arbeitet“, sage ich und nehme mein Handy wieder zurück, das Erik mir entgegenhält. Er hat immer noch seine Jacke und seine Schuhe an und ich frage vorsichtig: „Was ist los? Ist etwas passiert? Du bist so schlecht gelaunt!“

      „Ja!“, knurrt er. „Ich hasse es, wenn ich nach Hause komme und du hängst am Telefon und telefonierst