Uwe Bekemann

Im Bann des Augenblicks


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ins Netz gehen wird!“, stieß Alex in das gleiche Horn.

      „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte, Alex!“

      Alex sah sie dankbar an.

      „So, es ist besser, wenn ich meine Zelte hier erst mal abbreche“, meinte er dann mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Er schloss das von ihm neu installierte Programm und entnahm dem CD-ROM-Laufwerk seine CD.

      „Es ist schon spät. Sicherlich wirst du auch gleich zu Bett gehen wollen, oder?“, meinte er, während er sich ihr mit einer Vierteldrehung seines Stuhls zuwandte.

      „Ich hoffe, dass ich schlafen kann“, gab Nina zurück.

      „Willst du mir schnell noch erzählen, unter welchen Umständen das Schwein an deine Fotos gekommen ist?“

      „Es sind nicht meine Fotos“, korrigierte ihn Nina. „Es sind Fotos, die gewaltsam von mir gemacht worden sind“, ergänzte sie mit besonderer Betonung des Wortes von.

      „Ja, entschuldige bitte! Ich hatte es auch so gemeint. Und, willst du mir erzählen, wie der Kerl zu den Fotos von dir gekommen ist?“

      Nina zögerte einen Moment mit ihrer Antwort. Dann drückte sie mit einem angedeuteten Schütteln ihres Kopfes ihre Ablehnung aus.

      „Bitte nicht jetzt!“, bat sie dann, und ergänzte wie zum Trost: „Später, später vielleicht.“

      „Ist in Ordnung, Nina!“

      Alex erhob sich von seinem Drehstuhl, gab Nina, die noch saß, einen leichten freundschaftlichen Klaps auf ihren Oberarm und wandte sich zum Gehen.

      „Kommst du mit zur Tür?“

      „Ja, ich komme, natürlich!“

      „Danke noch mal, Alex!“, meinte Nina zum Abschied, als er bereits im Treppenhaus und sie in der geöffneten Wohnungstür stand.

      „Wir hören voneinander“, gab Alex zurück. „Ich melde mich.“

      Alex ging, Nina sah ihm noch kurz nach, bis er die hinter der ersten Treppenbiegung verschwunden war, und kehrte in ihre Wohnung zurück.

      Wieder allein im Wohnzimmer warf sie einen Blick aus dem Fenster nach unten auf die Straße, gerade als Alex aus dem Haus tretend auf dem Gehsteig erschien. Im Gehen warf er einen Blick zu ihr herauf und sie winkten sich flüchtig noch einmal zu. Dann erreichte Alex seinen am Straßenrand abgestellten Wagen, stieg ein und fuhr davon.

      Zu diesem Zeitpunkte ahnte Nina noch nicht, dass ihr diese Abschiedsszene in besonderer Erinnerung bleiben würde.

      9 – Ein offenes Verlangen

      „Lange“, meldete sich Erika Lange mit betont energischer Stimme am Telefon, als es um exakt 23 Uhr läutete. Schon beim Abheben hatte sie gefühlt, dass es der Fremde vom Nachmittag war, der sie zu erreichen versuchte.

      „Es ist gut, Frau Lange, dass Sie sich an unsere Absprache halten und so nett auf mich gewartet haben“, kam es aus der Leitung. „Ich hoffe nur für Sie, und besonders auch für Ihre reizende Tochter, dass Sie in allen Punkten unserer Vereinbarung so kooperativ waren.“

      Für Stunden hatte sie der Schuft auf seinen Anruf warten lassen, nun aber war er wieder am Apparat. Es überraschte sie nicht, dass er seine Stimme wieder verstellte und verfremdete.

      Er schien seine Macht über sie auszukosten. Es war ihm offenbar nicht genug, sie einfach nur einzuschüchtern, sondern er hatte Spaß daran, ihr das Gefühl des Ausgeliefertseins und der eigenen Machtlosigkeit mehr als deutlich vor Augen zu halten.

      „Wenn Sie durch Ihre Andeutung von mir die Bestätigung zu erhalten hoffen, dass wir, meine Tochter und ich, nicht die Polizei eingeschaltet haben, so kann ich Sie beruhigen. Wir haben uns an Ihre Forderung gehalten“, gab sie beherzt zurück.

      „Mit wem spreche ich denn bitte überhaupt?“, ging sie in die Offensive.

      „Namen sind Schall und Rauch, Frau Lange. Im Übrigen wollen wir es besser so halten, dass Sie keine Fragen stellen. Es reicht, wenn Sie Antworten geben“, parierte der Fremde ihren Versuch.

      „Zudem, liebe Frau Lange, weiß ich natürlich, dass Sie die Polizei brav aus dem Spiel gelassen haben. Ich würde es immer erfahren, wenn Sie sich nicht an unsere Vereinbarung halten sollten, und das wäre ausgesprochen schlecht für Ihre Tochter“, ergänzte er mit einer deutlichen Drohung.

      Erika Lange bemerkte den Widerspruch in seinen Worten. Einerseits hatte er gehofft, wie er sich ausdrückte, dass seine Forderungen eingehalten worden waren, die Polizei somit nicht eingeschaltet worden war, andererseits tat er so, als könne er sich polizeiinterne Informationen verfügbar machen. Es half ihr zwar in der Sache nicht wirklich weiter, dass sie den Bluff erkannt hatte, aber es schenkte ihr eine gewisse stille Genugtuung, die ihr mehr Sicherheit und Ruhe im Auftreten gab.

      „Sie haben den Grund für Ihren Anruf noch nicht genannt“, erinnerte sie, dabei bewusst eine Formulierung in der Form einer Frage vermeidend. „Sicherlich wollen Sie etwas von mir.“

      „So ist es, Frau Lange“, bestätigte der Fremde. „Ich möchte etwas von Ihnen, oder besser gesagt, ich möchte, dass Sie mir etwas besorgen.“

      Er legte eine kurze, die Spannung erhöhende Sprechpause ein, bevor er fortsetzte.

      „Ich weiß, dass Sie sich Zugang zu so ziemlich allen internen Unterlagen der Stadt Dortmund verschaffen können, und ich möchte, dass Sie dieses Privileg für mich nutzen und mir einen Originalvorgang beschaffen und aushändigen. Ich verlange von Ihnen die Herausgabe der Liegenschaftsakte der Stadt Dortmund zum ehemaligen Rodenbach-Grundstück an der Straße Am Lehmfeld, zu dem Grundstück also, auf dem die neue Stadthalle gebaut werden soll. Ich verlange die Herausgabe im Original, inklusive aller Verträge und so weiter, auch wenn sich diese in anderen Akten befinden sollten.“

      „Das ist unmöglich, absolut unmöglich“, widersprach Erika Lange vehement.

      „Das ist nicht unmöglich, liebe Frau Lange“, beharrte der Fremde, „und wenn Sie persönlich keine Möglichkeit haben sollten, so schaffen Sie eine!“

      Der Anrufer sprach weiterhin sehr ruhig. Er war sich seiner Sache offenbar ganz sicher.

      „Sie haben keine andere Wahl, und Sie wissen das, Frau Lange. Sollten Sie mir diese kleine Gefälligkeit nicht leisten, wird Ihre Tochter zur Pornoberühmtheit. Ob Sie das wohl verkraften würde?“

      „Bis wann soll ich Ihnen die Unterlagen zusammengestellt haben?“, gab sie sich geschlagen.

      „Bis zum morgigen Abend, dann erwarte ich die Übergabe!“

      „So schnell wird es nicht gehen, denn ich muss den Vorgang erst beschaffen. Die Verträge werden sicherlich separat aufbewahrt, ich muss sie deshalb parallel besorgen, was aber nicht einfach sein wird und ganz bestimmt dauern wird“, versuchte sie erneut zu widersprechen.

      „Sie werden es schon schaffen, Frau Lange, da bin ich mir ganz sicher. Und bedenken Sie, dass Sie keine andere Chance haben. Sollten Sie versagen, wird es Ihre Tochter ausbaden müssen.“

      „Wie soll die Übergabe vor sich gehen?“

      „Besorgen Sie zunächst einfach nur die erbetenen Unterlagen, alles weitere findet sich. Ich melde mich wieder bei Ihnen, und zwar exakt in vierundzwanzig Stunden“, verweigerte der Fremde eine Antwort und legte auf.

      „Aufgelegt!“, dachte sie, trennte ihrerseits die Netzverbindung und legte das Mobilteil ihres Telefons beiseite. Mit sorgenvoller Miene blieb sie noch eine Weile sitzen und dachte nach.

      Was sollte sie tun? Umfassend auf seine Forderung eingehen? Ja, natürlich musste sie das, es blieb ihr keine andere Wahl! Wo aber war die Grenze?

      Sie hielt es nicht aus, zu grübeln und doch keinen befriedigenden Ausweg zu finden. Auch das untätige Dasitzen wurde ihr unerträglich. Sie erhob sich und ging tief in Gedanken versunken im Zimmer auf und ab. Es gab nicht die geringste Gewähr dafür, dass der Erpresser einer erfüllten Forderung nicht gleich die nächste folgen lassen würde, eine vielleicht noch weiter gehende, bis sie auf diesem Weg immer weiter in einen Sumpf geraten