Uwe Bekemann

Im Bann des Augenblicks


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Klicks und Augenblicke später. „Ich starte nun das Route-Info-Programm.“

      Es öffnete sich ein kleines Fenster auf dem Bildschirm, das Alex mit der Maus in den rechten unteren Teil des Bildschirms verschob.

      „Ich ärgere mich jedes Mal darüber, dass dieses Fenster immer mitten auf dem Bildschirm auftaucht und die Sicht auf die Webinhalte versperrt. Hier hätte man von den Programmierern bessere Arbeit erwarten können!“

      Ninas sachliches Interesse ging nicht so weit, dass es Alexanders Einschätzung zur Fähigkeit der Programmierer seines Programms in diesem Moment umfasste. Inzwischen war sie wieder so angespannt, dass Sie über den Kommentar ihres ehemaligen Lebensgefährten schlicht hinweg hörte.

      Dieser tippte nun in Sekundenschnelle die Adresse vom Notizzettel in das Eingabefenster des Browsers ab, ohne die Eingabe jedoch mit dem Betätigen der Entertaste abzuschließen. Er wandte sich wieder Nina zu, indem er den Oberkörper drehte. Dabei lächelte er, doch es war ihm anzumerken, dass er dadurch das auch ihn ergreifende unangenehme Gefühl überspielen wollte.

      „Ich müsste lügen, wenn ich erklären sollte, dass ich ohne jede freudvolle Erwartung der Dinge harre, die gleich kommen werden, aber....“

      Es wurde ihm sofort bewusst, dass er sein Unwohlsein und seine Unbeholfenheit mit Taktlosigkeit zu überspielen versucht hatte, und deshalb brach er ab. Nina quittierte seinen Ausspruch zwar nur mit einem leeren Gesichtsausdruck, doch er kannte sie immer noch gut genug, um zu wissen, dass er ihre Gefühle sehr verletzt hatte. Er beeilte sich deshalb mit dem Versuch, die Lage zu korrigieren.

      „Entschuldige bitte, ich wollte dies gar nicht so sagen, habe es auch nicht böse gemeint! Okay, du kannst dich absolut auf mich verlassen! Ich sehe, gucke aber nicht richtig hin und vergesse alles sofort! Wir ziehen die Sache jetzt durch und ich helfe dir als Freund, einfach als Freund! Schluss, aus basta!“

      Er freute sich über ihr angedeutetes Lächeln und widmete sich sogleich wieder dem PC, bestätigte seine Eingabe von Sekunden zuvor durch das Drücken der Entertaste und sah zu, wie die Passwortabfrage geladen wurde.

      „Tabufrei ist das Passwort, alles klein geschrieben“, meinte Nina.

      Alex tippte es ein und bestätigte erneut mit der Entertaste.

      Bald darauf erschien das Erste aus der Reihe der Nina bereits bekannten Bilder.

      Nina wirkte äußerlich ruhig, sah aber tief atmend auf den Bildschirm. Wie schon zuvor, als sie sich im Beisein ihrer Mutter die Bilder ansehen musste, rannen Tränen ihre Wangen hinab.

      Alex ließ sich vom Browser den HTML-Code der Seite anzeigen, sodass das Bild vom Bildschirm verschwand. Nach kurzem prüfenden Blick versuchte er Nina mit seinen Erkenntnissen zu trösten.

      „Ein Profi ist das Schwein, das die Seite erstellt hat, nicht. Die Passwortabfrage hat er ganz sicher nur irgendwo geklaut und in seine Seite kopiert. Zudem hat er mit einem von Amateuren häufig verwendeten HTML-Editor gearbeitet. Einige grundlegende Kenntnisse von der Programmiersprache HTML muss er allerdings doch haben, denn er hat Befehle eingefügt, die der Editor nicht unterstützt. Zum Beispiel teilt er Suchmaschinen mit, dass sie die Seite nicht in ihren Katalog aufzunehmen sollen. Wenn er seinen Schmutz nicht manuell bei Suchmaschinen eingetragen hat, was aus dem Zusammenhang heraus hier keinen Sinn machen würde, dann wird zumindest zurzeit kaum jemand im Netz darauf treffen.“

      Er schloss das Fenster mit dem HTML-Code, sodass nun wieder das Bild von Nina erschien. Sein kurzer Mausklick auf den „<Weiter>“-Button darunter öffnete das nächste Fenster, welches er mit einem weiteren Mausklick auf volle Bildschirmgröße erweiterte. Ohne weitere Kommentare prüfte Alex wiederum den HTML-Code und klickte sich sodann mit immer wieder gleichen Prüfschritten an insgesamt zehn Bildern vorbei, die allesamt Nina in pornografischen Positionen zeigten.

      Nina hatte sich aus Alexanders Sicht erstaunlich gut unter Kontrolle. Es rannen ihr zwar weiterhin Tränen die geröteten Wangen hinunter, doch sie saß völlig bewegungs- und geräuschlos neben ihm.

      „Keine der Seiten wird normalerweise, wie schon gesagt, zurzeit von den Suchmaschinen in deren jeweiligen eigenen Index übernommen“, versuchte er seine Ex-Gefährtin mit betont ruhiger Stimme zu trösten, nachdem er das letzte Bild taktvoll durch Laden einer unverfänglichen fremden Seite vom Bildschirm beseitigt hatte.

      „Mal sehen, was das Route-Info-Programm zur Herkunft der Dateien sagen kann.“

      Mit einigen Mausklicks verschaffte er sich Zugang zu den Informationen, die das Programm während des Surfens gesammelt hatte.

      „Das ist einerseits ungewöhnlich, andererseits aber wohl sogar typisch“, meinte er kurz darauf, während er sich ihr wieder zuwandte.

      „Es handelt sich um einen philippinischen Server. Die Seiten kommen, was ich ganz eindeutig erkennen kann, aus Manila. Da hat jemand Vorkehrungen getroffen, dass man ihm allenfalls nur unter größten Schwierigkeiten habhaft werden kann. Der englische Begriff in der Adresse täuscht also.“

      „Aber was bedeutet dies für mich? Hat jemand die Bilder nach Manila transferiert, damit man sie dort auf den Server laden konnte?“

      Nina nutzte zwar das Internet, hatte aber keine Vorstellung davon, wie Seiten dort eingestellt werden konnten.

      „Ja und nein“, versuchte Alex zu erklären, ohne dabei Gefahr zu laufen, dozierend zu wirken. „Mit dem Browser oder auch mit einem so genannten FTP-Client, dies ist ein kleines Programm, das auf grundsätzlich jedem PC läuft, erfolgt gewöhnlich der Upload. Dies ist der Vorgang, bei dem eine Seite vom PC auf den Server übertragen wird. Dabei werden die zu veröffentlichenden Daten direkt in den eigenen Webspeicher überspielt und sind dann sofort weltweit für jeden Computer mit Anschluss an das Internet verfügbar. Derjenige, der die Seiten veröffentlicht hat, kann zum Beispiel in Deutschland in deinem Nachbarhaus gesessen und die Dateien, auch die Bilder, von dort direkt auf die Philippinen geschickt und auf diesem Weg ins Internet gestellt haben.“

      „Ist das alles, was du feststellen kannst, oder bist du auch in der Lage, das Schwein zu identifizieren, das mir alles angetan hat?“

      „Man kann theoretisch zumindest den Computer identifizieren, von dem aus auf die Seiten zugegriffen wird. Über den Computer kommt man in vielen Fällen auch zur Person des Nutzers selbst. Wir können versuchen, über den philippinischen Anbieter des Speicherplatzes an die Verbindungsdaten desjenigen heran zu kommen, der die Bilder übertragen hat.“

      „Geht das denn so einfach?“, fragte Nina skeptisch.

      „Nein, das geht überhaupt nicht einfach. Du müsstest nachweisen, dass du ein begründetes Interesse hast, die Daten zu erfahren. Ganz abgesehen von den Problemen, die sich daraus ergeben, dass der Typ international vorgegangen ist. Es wäre zweifelhaft, ob du überhaupt Erfolg haben würdest, und langwierig wäre die Sache obendrein.“

      „Mit einem offiziellen Vorgehen würde ich wohl ohnehin vermutlich selbst dafür sorgen, dass was-weiß-ich-wie-viele Leute meine Bilder zu sehen bekommen.“

      „Ja, wahrscheinlich würde ein offizielles Vorgehen exakt diese Konsequenz haben. Es gibt aber eine weitere Möglichkeit, die wir versuchen können.“

      „Welche?“

      „Ich kann versuchen, den Fremden zu erwischen, wenn er gerade online ist, um seine Daten zu ermitteln und mit diesen dann selbstständig bei seinem Provider nach ihm zu suchen.“

      „Legal?“

      „Illegal! Aber wirksam!“

      „Würdest du das für mich tun?“

      „Na klar! Ich muss aber eben den Moment abpassen, wenn er gerade online ist. Das kann ich aber nicht von hier aus machen, sondern benötige meinen eigenen Rechner dazu. Es wird ohnehin sicherlich eine Weile dauern, bis wir Erfolg haben werden. Wichtig ist eben nur, dass das Schwein online geht und möglichst zumindest kurz auf seine Seiten zurückgreift.“

      „Auf meine Bilder also“, stellte Nina fest. Es war ein eigentümliches Gefühl, das in ihr aufstieg. Einerseits war die Vorstellung, dass ihre Nacktheit wieder den fremden Blicken ausgeliefert sein würde, verletzend, bedrückend und frustrierend zugleich,