Katharina Kopplow

LUCIFER


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sich in das warme Fleisch.

      Lucifer zwang sich, nicht vor Schmerz zu schreien, um keinen Schlamm zu schlucken. Heftig tretend und um sich schlagend versuchte er, sich aus Satans Griff zu befreien, doch der Höllenkönig über ihm schien keinen Schmerz mehr zu kennen, nur noch Wut. Seine Klauen trafen die empfindlichen Flügelansätze, fanden auch dort ihren Weg ins Fleisch. Unerbittlich traktierten sie immer die gleiche Stelle, bis das Blut in Rinnsalen den blassen Rücken hinunterlief.

      Entsetzen überfiel Lucifer, als ihm allmählich dämmerte, was Satan im Sinn hatte. Der Dämon schnitt immer tiefer, schnitt einen kleinen Kreis direkt am Flügelansatz, dann packte der den Flügelbogen und zog. Lucifers Gegenwehr brach zusammen, als seine rechte Schwinge abriss. Es gab keine Worte, keinen Vergleich für die Schmerzen, die ihn an den Rande der Ohnmacht trieben.

      Er stemmte die Füße in den Schlamm und schob sich vorwärts, kam jedoch nur wenige Zentimeter weit, bevor Satan sich am linken Flügel zu schaffen machte, bei dem er noch weniger Vorarbeit leistete, sondern einfach samt umstehenden Fleisch herausriss.

      Lucifer hörte Schreie, so laut, dass er glaubte, sie müssten sein Trommelfell ebenfalls zerreißen. Ihm kam nicht in den Sinn, dass es seine eigenen waren.

      Er wollte sterben. Keine andere Empfindung existierte in ihm in diesem Moment, außer dem Wunsch, nicht mehr gerettet werden zu können und einfach aus diesem Leben treten zu können.

      Man sagte, Menschen fühlten Gottes Liebe und Wärme in dem Moment, in dem sie starben. Lucifer spürte Leere.

      Höllensturz Kapitel 13

      Zu verlockend wirkte das Kurzschwert mit seiner minimal gebogenen, blitzenden Klinge und dem prächtig verzierten Schaft. Seit Tagen lag Lucifer auf dem Bauch, das Gesicht von der Tür abgewendet, wie in einem Fiebertraum auf das Schwert an der Wand fixiert. Er wusste, er befand sich in Amons Räumlichkeiten, in die er vorher niemals Zutritt erhalten hätte. Aber inzwischen schien sein neuer Geliebter Schuldgefühle entwickelt zu haben.

      Lucifer warf ihm nicht vor, für all das verantwortlich zu sein. Ein leises Seufzen kam über seine Lippen. Er hatte seine Chance zur Flucht gehabt und nicht ausreichend genutzt. Was war er nur für ein Engel...

      Allmählich ließen die Schmerzmittel nach und das dumpfe Pochen und Stechen seiner Schulterblätter meldete sich mit unerbittlicher Härte zurück. Seine Sicht verschwamm ein wenig, klärte sich aber schnell wieder. Die Ohnmachtsanfälle wurden seltener. Sein Blick blieb jedoch auf das Schwert fokussiert, die tödliche Klinge aus Stahl, der in den Feuern der Hölle gebrannt worden war, wie Amon ihm erklärt hatte, nachdem er gemerkt hatte, wie fixiert Lucifer darauf war.

      Eine Waffe, um einen Dämon zu töten... oder einen Engel.

      Lucifer fühlte sich den Engeln nicht mehr zugehörig. Mit einem Gefühl der Leere war er erwacht und was er auch dagegen zu unternehmen versucht hatte, es wollte nicht weichen. Er war heimatlos, ohne Halt Satan ausgeliefert.

      Manchmal hörte er Amon eintreten, doch der Dämon sprach nicht mehr mit ihm. Vielleicht hatte er Schuldgefühle, vielleicht verachtete er Lucifer auch einfach dafür, dass er nicht aufstand und weiterhin Widerstand leistete. Doch ohne seine Flügel fühlte er sich dazu nicht länger in der Lage. Sie waren das Einzige, was er Satan voraus gehabt hatte: fliegen zu können und sich als Engel des Herrn ausweisen zu können.

      Ein Träne fand ihren Weg über Lucifers Wange und tropfte auf das Bett, das er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr verlassen hatte. Er war am Ende.

      Ein einziger Gedanke beherrschte seine Wachträume: an das Schwert zu kommen und sich endlich aus dieser Situation zu befreien, doch seine Arme wollten ihm nicht gehorchen.

      Leona kam und ging, verzweifelte bei dem Versuch, ihn zum Essen oder Schlafen bringen zu wollen. Schließlich beschränkte sie sich darauf, seine Schmerzen künstlich zu lindern. Lucifer wusste nicht einmal, ob er ihr dafür dankbar sein sollte, denn so hatte er nicht einmal das Gefühl, im Sterben zu liegen.

      Anfangs hatte er sich gedanklich dafür gescholten, alles so zu dramatisieren, bis sämtlicher Lebenswille und -kraft aus ihm gewichen war, und er einsehen musste, dass Sterben ein langwieriger Prozess sein konnte. Innerlich war er tot, äußerlich nur noch eine langsam schwächer werdende Hülle.

      Mühsam setzte er sich auf, den Blick weiterhin auf das Kurzschwert fixiert. Wie in Trance streckte er die Hand danach aus, schloss die Finger um den kühlen Schaft und hob es aus der Halterung. Es lag gut in der Hand und ließe sich sicher mit einer unglaublichen Geschwindigkeit führen, wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte, mehr zu schlagen als zuzustechen.

      Er setzte sich wieder auf die Bettkante, während sein Rücken sich in siedendes Öl zu verwandeln schien, so sehr brannten die beiden Wunden. Sein schief geheiltes Bein schmerzte von der Überanstrengung einige Tage zuvor auf der missglückten Flucht.

      Behutsam setzte Lucifer die Schwertspitze an seine Brust, den Griff mit beiden Händen umfassend. Er spürte, wie sein Herzschlag sich beruhigte. Die einzige Freiheit, die er noch hatte, lag im Tod. Satan hatte gesagt, er würde ihn nicht ohne Erlaubnis sterben lassen. Das würden sie noch sehen!

      Lucifer rammte die Klinge durch seine Brust.

      Etwas berührte sein Bein, schmiegte sich kühl und doch wärmend zugleich an seine Haut und wand sich weiter hinauf, bis es seinen ganzen Körper umschloss. Lucifer konnte selbst mit weit aufgerissenen Augen nur Dunkelheit erkennen. Sein Körper befand sich in einer Starre, die er nicht durchbrechen konnte.

      „Lucifer Morgenstern, der Lichtbringer, Gottes höchster Engel!“

      Die Stimme hallte in seinem Kopf wieder und nahm sein ganzes Bewusstsein ein. Langsam, fast zäh öffnete er die Lippen, doch es dauerte weitere Jahre, bis er seine Zunge in Bewegung versetzen und Wörter formen konnte.

      „Das bin ich nicht mehr...“

      Licht umwogte ihn und plötzlich fand er sich auf der Spitze eines Turms wieder, der ihm völlig unbekannt war. Weißer Marmor und goldene Verzierungen säumten den runden Platz, der von kühlen Winden heftig geschüttelt wurde, ohne dem Sturm zu weichen. Langsam wanderte Lucifers Blick umher, am goldenen Geländer entlang, bis er in der Ferne etwas zu sehen glaubte, das ihn darauf schließen ließ, sich im Himmel zu befinden, doch auf einem Turm, den es dort nicht gab. Oder nicht mehr.

      „Lucifer Morgenstern, der Lichtbringer, zweiter König der Hölle!“

      Die Stimme erklang nun nicht mehr in seinem Kopf, sondern von einem Punkt in der Mitte des Turms, der Lucifer sich langsam näherte. Eine Frau stand dort, das lange, schwarze Haar wehte im Wind und verlieh ihr etwas Mystisches. Sie war vollkommen nackt und über ihre gebräunte Haut zogen sich schwarze Male, die sich bei jedem Wort neu anzuordnen schienen.

      Ihre Präsenz erinnerte Lucifer an die Gottes, dennoch war sie völlig anders, auf eine merkwürdige Weise dennoch erhaben. Um ihre Beine ringelte sich ein dunkler Schweif, der wie eine Schlange hochschnellte, als Lucifer sich ihr näherte. Die Augen der Frau konnte er nicht erkennen, sie waren wie im Nebel verborgen.

      „Auch das bin ich nicht“, wagte er zu widersprechen. „Wo sind wir hier und wer seid Ihr?“

      Die Frau lächelte auf eine ähnlich diabolische Weise wie Satan, was Lucifer veranlasste, sofort einen Schritt rückwärts zu machen.

      „Es ist nicht einfach, jemanden zu kontaktieren, der die Schwelle des Todes bereits überschritten hat. Dieser Ort ist nicht real – noch nicht, wie ich vermute. Ich bin dem Tod niemals begegnet und weiß nicht um seine Regeln, aber ich gehe davon aus, dass dies der Ort ist, an dem du sterben wirst, Lucifer.“ Sie sprach ernst, aber nicht so verkrampft wie die Engel im Himmel, die unbedingt den höheren Engeln gefallen wollten und sich von ihnen Gefälligkeiten erhofften.

      „Aber Ihr sagtet, ich sei schon gestorben.“ Obwohl er ihre Augen nicht sehen konnte, wusste Lucifer, dass ihr Blick auf ihm lag.