Katharina Kopplow

LUCIFER


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denn er wusste, Lucifer hätte seinen Verrat sofort in seinen Augen gesehen.

      „Bitte, Herr, sagt mir... ist Lucifer noch am Leben?“ Er wusste, dass er nicht fragen sollte, denn von dem Tod seines Geliebten zu erfahren, hätte Michael keinen Frieden gegeben.

      „Sobald Raziel aus der Hölle zurückkehrt, wird er uns darüber hoffentlich Auskunft geben können“, entgegnete der Herr ungerührt, doch dann wurde sein Tonfall sanfter. „Michael, darf ich dir eine persönliche Frage stellen?“

      Verwundert sah Michael auf, direkt in die göttlichen Augen.

      „N-natürlich, Herr.“

      „Du standest Lucifer sehr nahe, nicht wahr?“

      Michael schluckte schwer, dann rang er sich ein Nicken ab, während dieser erhabene Blick in von jeder Sünde freizusprechen schien.

      „Ja... ich liebe ihn...“

      „Weshalb hast du ihn dann verraten?“

      Er hätte mit dieser Frage rechnen müssen, dennoch fiel es ihm unendlich schwer, darauf zu antworten. Tränen liefen über sein Gesicht, als er zittrig die Lippen öffnete.

      „Weil ich... den Himmel... und Euch... noch mehr liebe...Herr.“

      Höllensturz Kapitel 10

      Lucifer wusste nicht, wie sie es angestellt hatte, doch Leona hatte scheinbar mit Satan ausgehandelt, den geschundenen Engel für die Dauer der Heilung in Ruhe zu lassen, sodass Lucifer sich zumindest ein wenig erholen konnte. Allerdings ahnte er, dass Satan nachholen würde, was ihm an zweifelhaftem Spaß in der Zwischenzeit entgangen war.

      Mehrfach begegnete Lucifer bei seinen Gehübungen auf dem Flur Amon, dessen Gesicht halb zugeschwollen war. Selbst als der Engel ihn darauf ansprach, gab der Dämon nur ausweichende Antwort, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren. Lucifer merkte, wie er Amon mehr und mehr zu schätzen lernte, obwohl sie kaum drei Worte miteinander gewechselt hatten.

      Fast zwei Wochen nach der Begegnung mit Raziel schickte Satan erstmals wieder nach Lucifer, der sich insgeheim bereits Hoffnungen gemacht hatte, einfach unbemerkt in der Versenkung verschwinden und fliehen zu können, sobald es ihm besser ging. Mit hoch erhobenem Haupt, innerlich jedoch voller Furcht, trat er vor den König der Hölle, der ihn grinsend betrachtete. Sein verletztes Bein war nicht richtig verheilt, weshalb Lucifer Mühe hatte, richtig zu stehen.

      „Ich hoffe, ich konnte dir deine Flausen austreiben, Engel“, höhnte er und erhob sich zu seiner gesamten, massigen Gestalt. Er kam nah, so nahe, dass Lucifer die Adern unter der grauen Haut pulsieren sehen konnte. Es kostete ihn gewaltige Beherrschung, nicht zurückzuweichen und endlich klein beizugeben.

      Er klammerte sich an die Erinnerungen an Michael, rief sich immer und immer wieder das Gefühl der warmen, nackten Haut auf seiner und das strahlende Lächeln seines Engels vor Augen. Es half ein wenig, sich vor der Welt zu verschließen, als Satan ihm langsam die Krallen über die Brust zog und dabei direkt Lucifers Kleidung mit zerfetzte.

      „Du bist diesem nervigen Erzengel begegnet“, stellte Satan diabolisch grinsend fest. „Er hat dir wohl endgültig deinen Platz in dieser Welt zugewiesen: ganz unten.“ Seine Hand landete auf Lucifers Hintern; der Engel zuckte erschrocken zusammen und senkte den Kopf.

      „Weniger als Staub, ich weiß schon“, stieß er hervor und kassierte augenblicklich eine Ohrfeige, die ihm ganzen Saal widerhallte.

      „Werd nicht frech, kleiner Engel!“, fuhr Satan ihn an. Seine Klauen kratzten über bloße Haut und bescherten Lucifer eine Gänsehaut, die nur noch unangenehmer dadurch wurde, dass der Höllenkönig sie bemerkte.

      „Du glaubst, du kannst dich hier weiter aufspielen, als wärst du noch immer Gottes Liebling!“, begann Satan und Lucifer richtete sich innerlich darauf ein, seelisch zerrissen zu werden. Satan wusste viel zu genau, wie er ihn treffen und verletzen konnte, das schien seine große Stärke zu sein, mit dem er jeden noch so widerspenstigen Gegenspieler in die Knie zwang. Er hatte Leonas und Amons leere Blicke gesehen, wenn der König nach ihnen schickte. Gebrochen.

      „Selbst nachdem der Engel dich von sich gestoßen hat, wie jeder andere es auch tun wird, sobald du dich ihm näherst, gibst du dich stark. Aber das bist du nicht, Lucifer Morgenstern.“ Es tat weh, den Namen aus dem Mund dieses Monsters zu hören. „Du bist heimat- und nutzlos. Wartest hier eigentlich nur auf einen gnädigen Tod und tust trotzdem, als wärst du der Herr der Hölle. Aber dir werde ich beibringen, dem wahren König dieses Reiches und auch deines Geistes zu gehorchen!“

      Er schlug unerwartet heftig mit dem Ellbogen zu, Lucifer hörte seinen Kiefer knirschen und fürchtete, Satan hätte ihn ihm ausgerenkt. Der Engel stolperte rückwärts unter der Wucht des Schlags, stürzte und ließ instinktiv seine Flügel verschwinden, woraufhin Satan in lautes Gelächter ausbrach.

      „Du wirst dich nach diesem Saal sehnen, wenn du erst drei, vier Tage in der Dunkelheit hockst, kleiner Engel!“

      Satan hatte es sich nicht nehmen lassen, Lucifer persönlich hinunter in die Kerker zu schleifen und ihn in eine der dunklen Zellen einzusperren, die dicke Holztüre von außen zu verriegeln und ihm einen höhnischen Kommentar an den Kopf zu werfen, der jedoch von den Mauern geschluckt wurde. Fast schon gelangweilt hockte Lucifer in der absoluten Dunkelheit. Nachdem er sich erst dreimal durch die Zelle getastet hatte, um die Ausmaße zu bestimmen, hatte er sich an die Wand gelehnt, das Gesicht dorthin, wo er die Tür wähnte, und gewartet, dass Satan sich wieder beruhigte und ihn zurückholte.

      Nach einer Weile begann er, die Sekunden zu zählen, bis er bei 1203 angekommen war und aus dem Takt geriet, nachdem ihm auffiel, dass er immer schneller und wütender zu zählen begonnen hatte, also ließ er es bleiben und wartete darauf, dass die zähen Stunden verstrichen.

      Irgendwann begann Lucifers Wahrnehmung, sich zu verändern. Er begann, Formen und eigenartige Farben in der Dunkelheit zu sehen. Anfangs hatte er fasziniert dagesessen und zugesehen, dann war er aufgestanden, um den Ursprung der Veränderung auszumachen, doch letztendlich stieß er immer wieder an eine Wand.

      Als er eingesehen hatte, dass sein eigenes Hirn ihm einen Streich spielte, begann er, gegen die Holztüre zu hämmern, bis seine Hände wund und taub waren, ohne dass ihn jemand erhörte. Zu Beginn hatte er die Finsternis als Wohltat empfunden, doch je länger er hier unten blieb, desto bedrohlicher erschien sie ihm. Wollte Satan ihn wirklich drei Tage hier unten lassen?

      Etwas streifte seine Flügel; kurz nur, wie ein Windhauch, aber hier unten gab es keinen Wind und Lucifer geriet in Panik. Hastig drehte er sich um, versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen – doch dort war nichts. Stille lastete auf seinen Ohren, bis er ein tiefes Brummen vernahm, das er nicht zuordnen konnte. Was zur Hölle befand sich noch hier unten?

      Lucifer spürte seinen Puls in die Höhe schießen, sein eigener Herzschlag klang ihm unangenehm in den Ohren. Kampfbereit drehte er sich um sich selbst, ohne einen Gegner ausmachen zu können. Er glaubte, irgendwo Stimmen zu hören, doch wann immer er sich bemühte, genauer hinzuhören, verstummten sie und alles wurde wieder still.

      Wieder eine Berührung an seinen Flügeln, diesmal weiter oben, als wandere etwas die Federn hinauf bis zu seinem Rücken. Panisch klappte Lucifer die Flügel ein und aus, um abzuschütteln, was auch immer da auf ihm herumkletterte, doch es half nicht, er spürte es über seine Haut gleiten und erschauderte heftig. Als er danach tastete, war es verschwunden.

      Dafür hörte er die Stimmen wieder, und diesmal erkannte er eine von ihnen. Sein Mund wurde trocken und es kostete ihn unglaubliche Überwindung, sich aufzurichten und in die Finsternis zu fragen: „Michael?“

      Augenblicklich wurde es still, nur der Druck auf seinen Ohren blieb. Schwer atmend blickte Lucifer sich um, sprach dann noch einmal.

      „Michael?“ Er wiederholte es immer und immer wieder, bis er es wie ein Mantra vor sich hin murmelte, bis der Name sich verzerrte und zu etwas Groteskem wurde.