Katharina Kopplow

LUCIFER


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dich, ich hole dir Eis zum Kühlen“, erbot sie sich und war im nächsten Moment schon wieder in den dunklen Gängen verschwunden. Verblüfft sah Lucifer ihr nach, hatte nicht damit gerechnet, dass ihm hier unten jemand mit Freundlichkeit begegnen würde. Er ließ sich aufs Bett fallen, raffte die Toga hoch und untersuchte seine schmerzenden Kniekehlen, die blau angelaufen waren. Jede Bewegung bereitete ihm Schmerzen.

      Leona kehrte nur wenige Minuten später mit einem in ein Tuch eingeschlagenen Eisblock zurück, den sie Lucifer reichte. Die Kälte tat gut.

      „Es ist besser, ihm unterwürfig zu begegnen“, sagte sie ohne Tadel in der Stimme, nur mit ehrlicher Besorgnis. Lucifer fand sie auf Anhieb sympathisch. „Stolz ist in der Hölle unangebracht; in der Hölle herrscht das Gesetz des Stärkeren. Und ich bin mir nicht sicher, ob Satan weiß, dass der Körper eines Engels weniger belastbar ist als der eines Dämons.“

      „Warum lasst ihr euch von diesem Kerl herumschubsen?“, fragte Lucifer.

      „Satan ist der stärkste Dämon der Hölle und er weiß, welche der anderen Dämonen er einschüchtern und welche mit Gefälligkeiten bestechen muss, um seine Position zu erhalten. Er ist der König und der Rest ist Abschaum.“ Sie sprach diese Worte ohne Wut und ohne die geringste Verachtung. Ihre verbliebene Hand tastete behutsam über Lucifers Kniekehlen. „Es wird heilen, aber das ist nur der Anfang, wenn du dich weiterhin so aufführst.“

      „Ich werde mich ihm nicht unterwerfen“, entgegnete der Seraphim ernst. „Wenn ich sterbe, dann mit hoch erhobenem Haupt.“

      „Diese Einstellung haben viele gehabt, bevor sie Satan in die Klauen gefallen sind“, seufzte Leona, dann erhob sie sich lautlos. „Ich werde später noch einmal nach dir sehen, Lichtbringer. Schlaf dich aus und schon deine Kräfte für später. Du wirst sie brauchen.“

      Höllensturz Kapitel 7

      Ein Schrei ließ Lucifer aufschrecken. Stocksteif saß er im Bett und glaubte einen Moment lang, er habe ihn nur geträumt, doch dann erklang der Schrei noch einmal: hoch, laut und durchdringend. Der Schrei eines kleinen Mädchens.

      Mit wild schlagendem Herzen wartete der Engel, bis der nächste Schrei verstummt war, dann schlug er die Decke zur Seite und schlich zur Türe. Lautlos trat er auf den Flur und grade als er die Tür zu seinem Raum schloss, schrillte der Schrei so durchdringend durch den Palast, dass Lucifer die Hände auf die Ohren pressen musste, doch es half nicht. Nach einigen Sekunden musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass er die Schreie nicht mit den Ohren sondern in seinem Kopf hörte. Er war noch keine 24 Stunden hier und wurde schon wahnsinnig.

      „Keine Sorge“, meldete sich Amon hinter ihm und Lucifer wirbelte zu ihm herum. Der Dämon zupfte an seinem Pferdeschwanz herum, während seine rot glühenden Augen aufmerksam über den halb entblößten Körper des Engels glitten. Zum Schlafen trug Lucifer stets nur Unterwäsche und in der Hölle herrschten deutlich höhere Temperaturen als im Himmel.

      „Wir alle hören ihre Schreie, aber wir können ihr nicht helfen“, beendete Amon seinen Satz und leckte sich dabei allzu auffällig über die Lippen. Noch immer hing sein Blick so konzentriert auf Lucifers entblößtem Oberkörper, sodass es dem Engel allmählich unangenehm wurde.

      „Woher kommen die Schreie?“, wollte Lucifer wissen und verschränkte schützend die Arme vor der Brust.

      „Aus den Kerkern unter dem Thronsaal“, entgegnete Amon ernst. Er drehte sich halb um und starrte in die Dunkelheit, aus der lautlos Leona auftauchte. Die beiden nickten sich kurz zu und ihre Augen glühten rot, als sie gleichzeitig einen Schritt auf Lucifer zu machten. Wachsam wich der Engel zurück, doch die Dämonen gebärdeten sich nicht bedrohlich.

      „Geh schlafen, Amon“, wies Leona ihn mit merklicher Besorgnis an. „Satan wird morgen schlecht gelaunt sein und das an dir auslassen.“

      Sie sprach davon wie von dem morgigen Mittagessen. Schockiert musste Lucifer feststellen, dass es für die Dämonen am Hofe Alltag geworden war, sich misshandeln zu lassen und zu Satans Verfügung zu stellen, so wie Leona es ihm erklärt hatte. Amon ließ den Blick noch einmal über Lucifer schweifen, dann nickte er.

      „Das werde ich, obwohl es vermutlich der Engel sein wird, der Satans schlechte Laune kompensieren darf.“ Er drehte sich um und verschwand mit ausholenden Schritten im Dunkel. Lucifer lief ein kalter Schauer über den Rücken.

      „Wer hat da geschrien?“, fragte er erneut, um sich abzulenken. Über Amon würde er Leona später noch ausgiebig ausfragen. Dieser Kerl war ihm ein wenig unheimlich und in dieser Nacht hatte er in Lucifer eine ähnliche Furcht ausgelöst wie Satans Anblick.

      „Vanth“, antwortete Leona kurz angebunden. Mit ihrem Armstumpf stieß sie die Tür zu Lucifers Zimmer auf und dirigierte ihn hinein, um sich aufs Bett zu setzen. Ihr magerer Körper wurde von dem weißen Nachthemd nur teilweise bedeckt und sie wirkte, als würde sie frieren, doch als Lucifer ihr anbot, sich in die Decke zu kuscheln, lehnte sie dankend ab.

      „Satan hält die arme Kleine im Kerker gefangen, weil er sich vor ihr fürchtet.“

      „Weshalb sollte sich jemand wie Satan vor einem Kind fürchten?“, wollte Lucifer stirnrunzelnd wissen und Leona seufzte leise.

      „Weil er Vanth nicht töten kann. Er glaubt, dass sie eine ernsthafte Bedrohung für ihn darstellen würde, würde er ihr erlauben, sich frei zu bewegen, deshalb hält er sie unter Verschluss. Warum sie aber schreit, wissen wir nicht, denn es ist niemandem außer von ihm selbst ausgewählten Dämonen gestattet, sie zu sehen“, erklärte Leona. Sie rutschte ein Stück zur Seite und bedeutete ihm so, sich zu ihr zu setzen, also folgte Lucifer der Aufforderung.

      „Könnte Vanth ihm denn gefährlich werden?“

      „Ich weiß es nicht.“ Leona neigte den Kopf. „Kennst du dich mit den verschiedenen Arten von Dämonen aus, Lichtbringer?“

      Wahrheitsgemäß schüttelte er den Kopf. Inzwischen waren Vanths Schreie verstummt und eine unangenehme Stille lastete über dem königlichen Hof; umso mehr freute sich Lucifer über Leonas Anwesenheit und ihre beruhigende Stimme.

      „Grob lässt sich meine Rasse in drei Kategorien einteilen: die Urdämonen, die die Dämonenmutter selbst geboren hat, aber die bereits vor langer Zeit vernichtet wurden. Dann Dämonen wie Satan und mich, die in menschenähnlicher Gestalt auftreten und sich von Menschenseelen ernähren, außerdem die körperlosen Schwertdämonen wie Amon.“

      „Amon erscheint mir wenig körperlos“, gab Lucifer zurück.

      „Der Geist eines Schwertdämons ist – wie der Name schon sagt – an ein Schwert gebunden, das sich gegen jeden, der es zu benutzen versucht, richtet“, begann Leona mit aller Geduld zu erklären. „Die einzige Möglichkeit, sich ein solches Schwert untertan zu machen, besteht darin, dem Schwertdämon einen Körper zu geben. Solange er eine Hülle besitzt, ist derjenige, der ihm diese gegeben hat, sein Meister. Satan gab dem Schwertdämon Kasdeya Elathan den Körper meines Sohnes Amon und unterwarf so ein dunkles Kurzschwert seinem Willen. Es gilt als unbesiegbar.“

      Lucifer blickte von der Seite zu ihr, doch Leonas Blick war stur auf den Boden gerichtet.

      „Deshalb tötet er Amon auch nicht.“ Sie lächelte traurig. „Immerhin mein Sohn darf leben, wenn auch nicht in Freiheit.“

      „Aber was hat das mit Vanth zu tun? Ist sie auch ein Schwertdämon?“

      „Nein. Niemand weiß, was sie ist, deshalb fürchtet Satan sie. Anfangs hat er auf die grausamsten Arten ihren Tod zu erzwingen versucht, aber selbst als er sie köpfen ließ, trat sie am nächsten Morgen unbeschadet vor ihn. Vanth gehört zu keiner Art Dämonen, die wir kennen.“

      Eine vage Idee nahm Gestalt an und Lucifer konnte nicht verhindern zu grinsen.

      „Also fürchtet sich der Höllenkönig vor einem kleinen Mädchen?“

      Einen Moment lang sah Leona ihn verblüfft an, dann lachte