Katharina Kopplow

LUCIFER


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der versammelten Gruppe zu und kletterte schließlich auf eine Kiste, um sich trotz seiner geringen Größe Gehör zu verschaffen. Er beließ es bei einer kurzen Begrüßung, denn die Neuigkeiten, die er zu verkünden hatte, beschäftigten seine Gedanken ausreichend.

      „Wie in unserem letzten Treffen abgemacht habe ich mehrfach versucht, den Herrn auf unser Problem der Ungleichheit und Unterdrückung anzusprechen“, sagte er, aufmerksam auf die Gruppe konzentriert, die sich kurze, besorgte Blicke zuwarf. „Da Er mir Seine Aufmerksamkeit nicht schenken wollte, als ich auf misshandelte, unterdrückte Engel der untersten Triade zu sprechen kam, bat ich Ihn um eine persönliche Audienz, wobei ich betonte, wie wichtig mein Anliegen sei.“

      Nun wandten sich wieder alle Augenpaare dem Redner zu und das unterschwellige Gemurmel erstarb.

      „Eine Audienz, die Er schlichtweg vergessen hat, weshalb ich Ihn kurzfristig zur Rede stellen wollte - dies ist auch der Grund meiner Verspätung.“ Die Enttäuschung musste Lucifer ins Gesicht geschrieben stehen, denn einige der Engel begannen bereits, vor sich hin zu schimpfen, ihr Schöpfer interessiere sich nicht länger für sein Gefolge im Himmel.

      „Ich versuchte, Ihm klarzumachen, wie sehr wir darunter leiden, dass unsere Lebenswege vorgeschrieben sind“, hier legte er eine Kunstpause ein, um das Gesagte wirken zu lassen, „dass wir nicht sprechen können, ohne fürchten zu müssen, dafür von höherstehenden Engeln bestraft zu werden“, noch eine Kunstpause, „dass wir nicht lieben können, wenn wir wollen.“

      Als griffe er ein Stichwort auf, betrat in diesem Moment Michael, zerzaust und sichtlich verlegen aufgrund der Verspätung, die Lagerhalle. So unauffällig wie möglich versuchte er, sich unter die anderen Engel zu mischen, doch einige von ihnen waren den Blicken des Redners gefolgt und starrten den schüchternen Erzengel schräg an.

      „Sprich weiter!“, forderte Arariel ihn ungerührt aus der Menge heraus auf.

      Lucifer räusperte sich.

      „Noch während ich Ihm darzulegen versuchte, wie man diese Strukturen aufhebeln könnte, wandte sich der Herr ab und entschuldigte sich mit dem Vorwand, sich um eine wichtige Angelegenheit in der Menschenwelt kümmern zu müssen.“ Lucifer spürte, wie seine Stimme leicht zittrig zu werden drohte. „Entweder... ist es Ihm egal, was im Himmel mit uns geschieht... oder Er ist nicht bereit, den Ernst der Lage anzuerkennen.“

      Damit schloss er seine kurze Rede und sprang mit ausgebreiteten Flügeln von der Kiste. Während um ihn herum die Diskussion entbrannte, bahnte sich Lucifer einen Weg zu Michael, der mit geröteten Wangen, aber besorgtem Gesichtsausdruck zu ihm aufblickte.

      „Wir sollten es weiterhin friedlich versuchen“, flüsterte er und schmiegte sich an seinen Partner, woraufhin dieser sanft die Arme um ihn legte. „Ich weiß, du brennst auf eine schnelle, effektive Lösung, aber gegen Gott können wir nicht kämpfen...!“

      Lucifer seufzte schwer. Wie er es hasste, dass Michael ihn so durchschauen konnte.

      „Ich werde nur kämpfen, wenn es die letzte Möglichkeit darstellt“, versuchte er, seinen Freund zu beruhigen, eine Hand an den Schwertgriff gelegt. „Aber ich fürchte, dieser Moment wird bald gekommen sein...“

      „Das ist keine Lösung“, widersprach Michael beharrlich und befreite sich aus der Umarmung. „Warte ab, bis der Herr Seine wichtigsten Pläne in der Menschenwelt erfüllt hat, dann können wir alle in Ruhe mit Ihm sprechen.“

      „Und wenn Er gar nichts daran ändern will? Wenn Er gewollt hat, dass die Engel im Himmel leiden?“

      Michael seufzte mit einem nachsichtigen Lächeln, dann stellte er sich auf die Zehenspitzen, um Lucifer auf die Wange zu küssen.

      „Du bist frustriert, weil dir ausnahmsweise mal jemand nicht zuhört. Aber dies ist der Himmel, nicht die Hölle. Hier soll niemand leiden.“

      Die weitere Besprechung verlief erfolglos. Zwar wurde Michaels Vorschlag, weiter abzuwarten, murrend zur Kenntnis genommen, doch vielen Engeln fehlte es wie Lucifer an weiterer Geduld und Verständnis für ihren Schöpfer. So trennte sich die Gruppe spät in der Nacht, als der Himmel abgesehen vom Sternenlicht in Dunkelheit getaucht war.

      Hand in Hand schlenderte Lucifer mit Michael durch den verlassenen Himmel und genoss die traute Zweisamkeit. Sein Freund wirkte abgelenkt, schielte immer wieder nervös in die Finsternis, die er mehr bedrohlich als entspannend zu empfinden schien.

      „Was ist los?“, wollte Lucifer schließlich wissen. Sie hatten das Wohngebiet der Seraphim erreicht. Dort trieben sich noch einige junge Engel herum, denn im Gegensatz zu den anderen hart arbeitenden Engeln genossen junge Seraphim besondere Freiheiten.

      „Ich... fühle mich hier nachts nicht wohl“, murmelte Michael. „Die Seraphim sehen nicht gerne Erzengel in ihrem Gebiet.“ Er machte sich los und trat einen Schritt zurück. „Ich gehe wohl besser...“

      Seufzend nickte Lucifer.

      „Wie du meinst. Gute Nacht, Micha.“

      „Gute Nacht.“

      Dann eilte er davon, die Flügel eng an den Körper gedrückt.

      Als Lucifer seine verlassene Wohnung betrat, hatte er das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.

      Höllensturz Kapitel 4

      Unruhig mit den Füßen wippend saß Lucifer neben dem Herrn und lauschte nur mit einem Ohr der üblichen Konferenz, auf der bürokratische Angelegenheiten geklärt werden sollten, die den Himmel direkt betrafen. Als Gottes Stellvertreter im Himmel hätte er eigentlich aufmerksamer zuhören sollen, doch seine Gedanken drehten sich um Michael, der gestern so schnell verschwunden und auch heute nicht zur Versammlung aufgetaucht war.

      Lucifer merkte, dass er auf seiner Unterlippe zu kauen begonnen hatte. Er hätte Michael nicht nachts alleine durch das Viertel der Seraphim ziehen lassen sollen! Schuldgefühle mischten sich zu seiner Sorge um den kleinen Erzengel.

      Immer wieder schielte er zum Herrn, der mit monotoner Stimme Seine Aufzeichnungen verlas und sich anschließend von den Engeln auf den neuesten Stand bringen ließ. Schon seit Monaten spürte Lucifer den Hass auf diesen Mann in sich schwelen, auf Seine Ignoranz und Sein übermäßiges Interesse an der Erde und ihren missglückten Bewohnern.

      „Lucifer“, wandte sich der Herr in diesem Moment an den schmollenden Engel. „Wie denkst du darüber?“

      Aus seinen Gedanken gerissen setzte der Angesprochene sich aufrecht hin.

      „Verzeihung?“

      „Das Aufrüsten der Truppen gegen die steigende Anzahl an Dämonen auf der Erde. Ich erklärte grade, dass diese seelenfressenden Bestien eine Gefahr auch für die dort stationierten Schutz- und Erzengel darstellen“, wiederholte ein weiblicher Engel, dessen Namen Lucifer sich nicht hatte merken können, mit einer gewissen Ungeduld.

      „Dämonen sind Engeln an Körperkraft und Schnelligkeit überlegen, außerdem kennen sie keine Moral“, entgegnete Lucifer. „Es braucht mindestens drei, wenn nicht mehr ausgebildete Engel, um es auch nur mit einem einzigen Dämon aufnehmen zu können. Selbst wenn wir die Anzahl der Engel in der Menschenwelt erhöhen, ist das keine Garantie dafür, dass wir der Dämonenplage deswegen besser Herr werden können. Mehr Truppen sind ein Anfang, können aber ohne weitere Vorgehen keine Lösung sein. Ich würde mir gut überlegen, ob ich das Leben der Engel auf diese Weise in Gefahr bringe.“

      Herausfordernd blickte er nach links zu Gott, der den Blick auf Seine Notizen gesenkt hatte, den Blick nach innen gekehrt, als ginge Ihn all das nichts an. Voller Enttäuschung und Abscheu wandte Lucifer sich ab.

      In diesem Moment wurde die Tür zum Saal geöffnet und sämtliche Augen richteten sich auf den kleinen, zusammengesunkenen Erzengel. Ein stummer Wutschrei kroch Lucifers Kehle hinauf, als er Michaels blaues, angeschwollenes Gesicht erblickte. Er wollte aufspringen und seinen geschundenen Partner in die Arme schließen,