Katharina Kopplow

LUCIFER


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verzichte ich darauf, dich zu fesseln. Draußen wartet eine wütende Meute auf dich, da möchte ich dich nicht weiter demütigen als nötig und die Gefahr, das du zu fliehen versuchst, ist wohl eher gering.“ Gabriels sprach ruhig, aber man merkte ihm an, dass es unter der Oberfläche brodelte. „Ich dachte nie, dass du gut für meinen Bruder wärst, und ich hatte Recht, Morgenstern.“

      Hoch erhobenen Hauptes schritt Lucifer an ihm vorbei.

      „Ich weiß. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.“

      Beliel musste sich bemühen, mit ihnen Schritt zu halten. Hastig sprang er die drei Steinstufen hinauf, stieß die Türe auf und trat hinaus auf den Platz – er glaubte, in den tiefsten Kreisen der Hölle gelandet zu sein. Hunderte, wenn nicht tausende Engel hatten sich versammelt, sie schrien und buhten, einige warfen tatsächlich mit Gemüse. Mit gespielter Gleichgültigkeit schirmte Lucifer sich mit den Flügeln gegen die Angriffe ab und trat auf den etwas eingeschüchtert wirkenden Dämon in der Mitte des Platzes zu.

      Dort drehte er sich noch einmal um, überwand Gabriels Abschirmung und umarmte Beliel so innig wie nie zuvor.

      „Halte hier die Stellung für mich, bis ich zurück bin. Versprichst du mir das?“

      Beliel schluckte schwer.

      „Versprochen.“ Fest drückte er seinen besten Freund an sich. „Ich werde auf die warten. Und wenn es für immer dauert.“

      Höllensturz Kapitel 6

      Schweigend folgte Lucifer dem fremden Dämon aus dem Himmel, durch das Paradies und die Vorhölle direkt in den tiefsten Kreis, eine dunkle Welt ohne Sonne und einem schwarzen Himmel. Auf dem trockenen, bräunlich schwarzen Boden gedieh keinerlei Grün, nur knorrige, zähe Bäume ohne Blätter.

      Der Dämon stapfte in verbissenes Schweigen versunken vor ihm her. Sein schwarzer Pferdeschwanz wippte auf seiner Schulter. Er trug ein rotes Samthemd und edle Lederstiefel aus Menschenhaut, nur die zerschlissene, braune Hose wollte nicht zu dem gepflegten Äußeren passen. Als Lucifer zu ihm aufschloss, konnte er mehrere goldene Ohrringe erkennen. Eine Narbe zog sich quer über das Gesicht des Dämons, der Lucifer keines Blickes würdigte. Ein dunkler Spitzbart zierte sein Kinn.

      „Wie heißt du?“, versuchte Lucifer unsicher, ein Gespräch in Gang zu bringen, als das Schweigen zu sehr auf ihm lastete. Außer ihnen hatte er keine lebende Seele in der Umgebung ausmachen können.

      „Amon“, antwortete der Dämon kurz angebunden. Einige Sekunden herrschte wieder Schweigen, dann wandte sich Amon tatsächlich dem nervösen Engel zu. „Lucifer, richtig?“

      Er nickte, dachte aber nicht, dass Amon tatsächlich unsicher darüber war, mit wem er es zu tun hatte. Ihre Blicke kreuzen sich kurz.

      „Ich habe Order, dich direkt zum König zu bringen, Lucifer. Du tust besser daran, dich ruhig zu verhalten und ihn nicht zu reizen.“ Amons lange, bleiche Finger zupften an seinem schwarzen Pferdeschwanz. „Obwohl der König sich unglaublich auf dich freut; seit er erfahren hat, dass der verräterische Engel zu einem Dasein in der Hölle verdammt wurde, lässt sich seine Laune nicht mehr trüben.“

      Augenblicklich kehrte Lucifers Nervosität mit ganzer Stärke zurück. Immer wieder drängten sich ihm die penetranten Überlegungen darüber auf, wie Satan mit ihm verfahren würde.

      „Dann gehe ich also zu meiner Hinrichtung?“, fragte er so ruhig wie möglich.

      „Nur wenn du Glück hast“, entgegnete Amon, den Blick nach vorne gerichtet. „Aber es gehört zu den Hobbys des Königs, seine Untergebenen zu quälen und bis an ihre Grenzen zu foltern. Das Extreme, die Belastbarkeit von Geist und Körper und die Schwelle zwischen Leben und Tod bereiten ihm Freude.“

      Mit jedem Wort, das er hören musste, wurde Lucifer übel. Alles in ihm sträubte sich dagegen, Amon weiterhin zu folgen, während in nicht allzu weiter Entfernung bereits der Königspalast in Sichtweite kam. Einige Sekunden lang spielte er mit dem Gedanken zu fliehen, doch gleichzeitig war ihm klar, wie sinnlos es gewesen wäre, denn alleine konnte er der Hölle nicht entfliehen. Und die Unterwelt war Satans Reich, in dem er über die absolute Macht verfügte. Weit käme ein einsamer Engel hier unten nicht.

      „Was ist mit dir?“, wagte er trotz allem zu fragen. „Springt er mit dir auch so um? Du wirkst wie ein hochgestellter Dämon, Amon.“

      „Das täuscht, Ich bin nur ein wertloser, austauschbarer Lakai in Satans Augen.“ Ein tiefes Knurren entstieg Amons Kehle. „Das sind wir alle für unseren ach so tollen König! Du wirst das nächste Jahr über wahrscheinlich sein Hauptaugenmerk sein, aber danach geht’s uns anderen wieder an den Kragen.“

      Sie betraten den Innenhof und erklommen die wenigen Stufen zum Hauptgebäude. Endlose Gänge erstreckten sich vor Lucifer, doch Amon führte ihn zielstrebig zu einer großen Flügeltür, hinter der sich der Thronsaal auftat. Satan saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem prächtigen, goldenen Thron, den Blick erwartungsvoll auf Lucifer ruhend. Die Abneigung des Engels gegen den Höllenkönig schlug in Hass um.

      „Amon!“ Grinsend erhob Satan sich und die Schritte der schweren Stiefel hallten von den Wänden wider, als er sich näherte. „Wie ich sehe, hast du uns einen Gast mitgebracht.“

      Der dunkelhaarige Dämon ging in die Knie und kauerte sich auf den Boden, doch es wirkte mehr wie eine Schutzhaltung als wie eine Verbeugung. Lucifer blieb ungerührt neben ihm stehen und stellte Blickkontakt zum Höllenkönig her, der ihn abschätzig musterte.

      „Verbeug dich!“, zischte Amon kaum hörbar. Lucifer tat, als habe er ihn nicht gehört.

      „Es ist ziemlich unhöflich, sich nicht vorzustellen, werter Gast“, säuselte Satan mit rot glühenden Augen.

      „Ihr wisst genau, wer ich bin“, entgegnete Lucifer kühl. Er würde nichts sagen, was ihn vor diesem blutrünstigen Monster bloßstellen könnte.

      „Ich wüsste trotzdem gerne, wie du dich selbst nennst, Engel.“

      „Ich bin Lucifer, der Morgenstern, der Lichtbringer, höchster aller Seraphim.“ Lucifer bemühte sich, all seine Verachtung und seinen Stolz in diese Worte zu legen, doch Satan zeigte sich keineswegs beeindruckt. „Und danke, eine Vorstellung Eurerseits ist nicht nötig, ich weiß ganz gut, mit wem ich es zu tun habe!“

      Ein blitzschneller Tritt in die Kniekehlen ließ den Engel mit einem unterdrückten Schmerzenslaut einknicken. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, während er realisierte, dass er am Boden lag und damit den Tritten des Dämons ungeschützt ausgesetzt war.

      „Verbeug dich gefälligst, wenn du vor deinen König trittst!“, fauchte Satan.

      Schwankend rappelte Lucifer sich wieder auf. Seine Beine fühlten sich zittrig an.

      „Ihr seid nicht mein König“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und ich werde mich niemals vor Euch verbeugen!“

      Ein Grinsen erschien auf Satans Gesicht. Fast schon gleichgültig kratzte er sich an den gewundenen Hörnern, die aus seiner Kopfhaut wuchsen.

      „Tja, was machen wir denn da?“, fragte er gespielt ratlos. „Aber was soll´s wir haben ja Zeit, schließlich vermisst dich ja im Himmel niemand. Ich werde schon eine Möglichkeit finden, deinen Stolz zu brechen, kleiner Engel.“

      Er wandte sich ab.

      „Bring ihn weg, Leona.“

      Eine Dämonin erhob sich aus dem Dunkel einer Ecke des Thronsaals und huschte geduckt auf Lucifer zu. Ihr rechter Arm endete in einem fleischigen Stumpf und ihr blondes Haar hing ihr verfilzt ins Gesicht, doch früher musste sie einmal sehr schön gewesen sein. In ihren dunklen Augen glomm eine gewisse Zufriedenheit.

      Sie neigte kurz den Kopf vor Lucifer und bedeutete ihm dann schweigend, ihr zu folgen. Kaum dass sie den Thronsaal und damit Satans Blickfeld