Katharina Kopplow

LUCIFER


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einer gefühlten Ewigkeit im Dunkel hörte er die Stimmen wieder, wie sie sich in der Ferne zu unterhalten schienen.

      Es war so still, so still, so still, so still!

      Lucifer begann, mit den Beinen auf den Boden zu tippen und versuchte, sich auf dieses Geräusch zu konzentrieren, bis seine Muskeln schmerzten. Wieder spürte er die Berührung an seinen Flügeln, doch so bekannt sie ihm inzwischen war, verlor sie ihren Schrecken doch nicht. Er zuckte zusammen, wollte um sich schlagen, doch seine Knöchel trafen nur auf harten Stein.

      Der Schmerz brachte ihn für eine endlose Sekunde wieder zu Bewusstsein; er musste hier raus, sofort!

      Erneut widmete er sich der Tür, die nicht nachgab bei seinen Versuchen, sich zu befreien. Die unheimlichen Berührungen hatten seine Schultern erreicht, wanden sich über seinen Hals und schließlich seine Arme hinab. Alle Bemühungen, sie durch schlagen, kratzen, beißen oder heiserem Schreien zu vertreiben, scheiterten kläglich.

      Schließlich ließ er sich davon verschlucken, sank zu Boden und wartete, bis das unkontrollierte Zittern seines Körpers nachließ. Dann tastete er erneut nach der Tür, verbrachte Stunden damit, den rauen, kalten Stein nach der Struktur des Holzes abzutasten, doch selbst nach verzweifelter Suche fand er sie nicht. Die Tür war verschwunden, nur die Wände waren noch da, aber sie schienen näher gerückt zu sein.

      Todesangst überfiel ihn bei dem Gedanken, Satan könne ihn lebendig begraben haben, sodass er bis in alle Ewigkeiten hier unten bleiben müsse, allein mit sich, den fernen Stimmen und der Dunkelheit, unfähig zu sterben.

      Er versuchte, sich die Pulsadern aufzubeißen, doch jedes Mal holte ihn der Schmerz in die Wirklichkeit zurück, bevor er sein Vorhaben beenden konnte. Noch immer war keine Tür zu finden und seine wie eine Decke ausgebreiteten Flügel streiften die Wände, immer angespannt, um jede Verschiebung sofort registrieren zu können.

      Er nahm das Zählen wieder auf, ging Zahlenreihen bis in die Zehntausend durch, bevor er den Faden verlor und in Leere abdriftete.

      Eine Zeit lang hörte er immer wieder ein unerträglich lautes Donnern, bis ihm irgendwann aufging, dass es sein Magen sein musste, der nach Nahrung verlangte. Es war Lucifer unmöglich zu sagen, wie lange er hier unten verharrt hatte. Manchmal begann er zu zählen und eine Ewigkeit später war er grade erst bei 30 Sekunden angelangt.

      Einmal kam ihm der Gedanke, er könne wahnsinnig werden. Dann erinnerte er sich daran, dass er Gott zu töten versucht hatte. Und wusste, dass er es bereits war. Die Erkenntnis entlockte ihm kaum mehr als ein hysterisches Kichern.

      Höllensturz Kapitel 11

      Seit zwei Wochen wachte Amon Tag und Nacht am Lager des Engels, der sich nur langsam von der Dunkelfolter wieder erholte. Stumm saß er gegenüber des Bettes und beobachtete Lucifer, wie er sich in die Decke einrollte, um sich von der Welt abzuschotten, die Dunkelheit jedoch nicht aushielt und alle Lichter im Raum anzündete.

      Sie sprachen fast gar nicht, doch Amon wusste, dass Lucifer sich stets über seine Anwesenheit im Klaren war, jedoch nicht dagegen protestierte. Zwar bot Leona ihm an, sich mit der Wache abzuwechseln, doch Amon lehnte ab. Obwohl er Satans Misshandlungen schon einige Jahrhunderte länger ausgesetzt war als der Engel, merkte er zusehends, wie Satan in seinem Versuch, den Engel zu brechen und zu unterwerfen, über die Stränge schlug.

      „Was war dort unten?“, erklang eine matte Stimme vom Bett.

      Amon hob den Kopf und richtete seinen Blick auf den weißen Haarschopf, der unter der Bettdecke hervorlugte.

      „Dort unten war niemand außer dir“, antwortete er ruhig. „Dein eigener Verstand hat dir Streiche gespielt, sonst nichts.“

      „Immerhin sagst du nicht, ich wäre in Sicherheit.“ Lucifer lachte heiser, dann kam erneut Bewegung in den Deckenberg, als er sich aufsetzte. Seine leuchtenden, violetten Augen wanderten einige Sekunden lang durch den Raum, dann entspannte sich seine Haltung ein wenig und er wandte sich Amon zu.

      „Wie lange bin ich dort unten gewesen?“

      „Acht Tage.“ Er konnte den Schock auf Lucifers Gesicht erkennen, die Ungläubigkeit, dass es tatsächlich jemand wagte, ihn dort unten einzukerkern. Wie gerne hätte Amon ihm auf weniger schmerzhafte Weise vermittelt, dass er in der Hölle keinerlei Einfluss mehr besaß, doch Lucifer hatte nicht hören wollen und die Konsequenzen dafür tragen müssen.

      „Es ist besser für dich, wenn du den Kopf einziehst, anstatt damit durch die Wand rennen zu wollen“, sagte Amon leise, in einer stummen Hoffnung auf Einsicht, doch wie erwartet erntete er eine Trotzreaktion.

      „Nicht vor dieser Bestie!“, zischte der Engel und schlang die Flügel um den blassen, ausgehungerten Körper. Er sah zunehmend aus wie ein wandelndes Skelett. Nur in seinen Augen brannte der Hass auf Satan und die ganze Welt.

      „Du bist ein Krieger“, stellte Amon sachlich fest. Er erhob sich; sofort zuckte Lucifer zurück und Amon hätte es nicht gewundert, drohend angeknurrt zu werden, dann erinnerte er sich daran, dass er es mit einem Engel, nicht mit einem anderen Dämon zu tun hatte, obwohl die Rolle eines Dämons sicher gut zu Lucifer gepasst hätte.

      „Immer gewesen.“ Ein kleines Lächeln breitete sich auf den Lippen des Engels aus, als er die Beine anzog und die Arme samt Kopf auf die Knie stützte. Offenbar hatte er die Aussage als Kompliment empfunden, weshalb Amon es wagte, sich zu ihm aufs Bett zu setzen.

      „Aber nun hast du es mit einem Gegner zu tun, den du nicht besiegen kannst“, gab er zu bedenken.

      „Jeder Gegner kann besiegt werden.“

      „Aber nicht jeder von dir.“

      Daraufhin schwieg Lucifer, den Blick ins Leere gerichtet, dann ließ er sich seufzend wieder auf den Rücken fallen und zog die Decke über sich, verhedderte sich jedoch darin, sodass seine schmale Brust frei blieb, dann gab er auf und blieb einfach liegen. All die Kraft und Entschlossenheit, mit der er die Hölle betreten hatte, war aus seiner Erscheinung gewichen.

      „Und was soll aus mir werden, wenn ich aufgebe und mich von ihm schikanieren lasse?“, fragte Lucifer nach endlosen Minuten des Schweigens schließlich. Seine Hand lag nur Zentimeter von Amons entfernt, wie zufällig streiften sie einander und der Dämon spürte, wie ihm bei der kurzen Berührung warm wurde.

      „Ein Diener, so wie wir anderen auch“, entgegnete er und strich behutsam über Lucifers Handinnenfläche, woraufhin die Finger des Engels sich um Amons schlossen. Eine kleine Geste der Zärtlichkeit inmitten der Hoffnungslosigkeit.

      „Dann gebe ich nicht auf!“

      Ihre Blicke trafen sich, gleichzeitig verschränkte Amon seine Finger in Lucifers. Er bemerkte, wie eine Gänsehaut die nackten Arme des Engels hinaufkroch, wie er die Augen halb schloss und damit Amons Blick auswich. Eine Spannung hing im Raum, die Amon nicht hatte kommen sehen, und ihn deshalb in ihrer Intensität überraschte.

      Er beugte sich zu dem stumm wartenden Engel hinunter, der ihm mit den Augen folgte, bis ihre Lippen sich fast berührten. Amon spürte den warmen Atem auf der Haut, Lucifers Duft. Er registrierte die nun schneller pulsierende Halsschlagader. So verharrte er, bis der Engel unter ihm aus seiner Starre erwachte.

      „Küss mich oder lass es bleiben, aber hör nicht mittendrin auf!“, beschwerte er sich leise, sein Daumen strich über Amons Handrücken.

      Kurzentschlossen legte er seine Lippen auf Lucifers. Sofort erwiderte der Engel den Kuss, seine Zunge fand den Weg in Amons Mund, der ein leises Knurren ausstieß, als er sich über den Engel hockte, der den freien Arm um ihn schlang. Die andere Hand lag noch immer in Amons, der nicht daran dachte, Lucifer loszulassen.

      Er kratzte über den entblößten Bauch des Engels, der nur kurz zuckte, dann aber weiterküsste, bis Amon nach Atem rang, das Atmen dann aber einstellte und sich nur noch auf die Stellen seines Körpers konzentrierte, die Lucifer berührten, die seine Wärme spürten, sein leises Stöhnen.

      Sein