Katharina Kopplow

LUCIFER


Скачать книгу

Amon!“

      Beliel erkannte Michael bereits von Weitem an seiner zusammengesunkenen Gestalt, mit der er den Blicken der anderen Engel zu entgehen versuchte. Jeder wusste mehr oder weniger darüber Bescheid, in welcher Beziehung er zu Lucifer gestanden und dass er nach der Verbannung des Seraphims besondere Ehrungen erlangt hatte. Beliel bedachte ihn mit einer Mischung aus Misstrauen und Mitleid, schließlich war nicht abzusehen, wie viel Michael dem Herrn über die Pläne gegen ihn verraten hatte.

      Seit Lucifers Verbannung fanden die Treffen unregelmäßiger statt, bis sie ganz ausgesetzt wurden, da sich niemand mehr ernsthafte Hoffnungen auf Veränderungen machte. Arariel, der Engel des Meeres und ein enger Vertrauter Lucifers und Beliels, hatte die Versammlung aufgelöst mit der Anweisung, auf einen besseren Zeitpunkt zu warten.

      Michael hob den Kopf, als Beliel sich näherte. Die blonden Locken hingen ihm wild ins Gesicht, konnten jedoch die von Tränen aufgequollenen und geröteten Augen nicht verbergen. Ein leises Schluchzen kam ihm über die Lippen, als er zu dem anderen Engel aufblickte.

      „Er ist tot, Beliel“, wisperte Michael voller Trauer. „Der Herr hat es soeben erfahren...“

      Eine eiskalte Leere erfasste Beliel. Er schluckte schwer, rang nach Worten, taumelte und sank auf die Knie, die Flügel eng um sich gelegt.

      „Lucifer...“ Er fühlte sich, als müsse er sich gleich übergeben. „Lu...“

      Michaels erneutes Schluchzen riss ihn wieder zurück in die Gegenwart. Er wollte aufspringen und den Erzengel dafür schlagen, dass er heulte wie ein kleines Kind, obwohl das absolut unmöglich war, dass Lucifer gestorben sein sollte. Lucifer starb nicht.

      „Du hast es mir versprochen!“, brüllte Beliel aus Leibeskräften. „Du hast mir versprochen, dass du zurückkommst, du unnützer Engel, also halt dich gefälligst daran!“

      Michael zuckte unter dem Geschrei zusammen und blickte Beliel erstaunt an, als dieser aufsprang und wütend weiter um sich schrie.

      „Sei nicht so verdammt egoistisch, Lucifer!“

      „Beliel.“

      Jemand legte ihm eine Hand auf die linke Schulter und Beliel drehte sich um, sodass er Arariels Blick traf. Der hagere Engel neigte den Kopf und strich sanft über den Nacken des kleineren Engels.

      „Es hat keinen Sinn, sich so aufzuregen“, sagte Arariel leise, aber eindringlich. „Lucifer ist tot. Du musst nicht daran glauben, aber du solltest davon ausgehen. Ich bin sicher, er hat dich nicht aus einer bösen Absicht heraus verlassen.“

      Erst jetzt ging Beliel auf, wie sinnlos und dumm seine Worte waren, solange er sich Lucifer nicht ins Gesicht schleudern konnte. Seine Wut wich Verzweiflung und Trauer. Erschöpft ließ er sich in Arariels Arme fallen, der ihn mit erstauntem Blick auffing.

      „Er ist nicht tot!“, wisperte Beliel entschlossen. „Das glaube ich erst, wenn ich es sehe!“

      Höllensturz Kapitel 15

      Ohne Furcht trat Lucifer an diesem Tag vor Satan. Er wusste nicht, ob er den Abend erleben würde, oder ob er überhaupt eine Chance gegen den Höllenkönig hatte, doch er war wild entschlossen, es heute enden zu lassen. Alles oder nichts.

      „O-ho, unser kleiner Engel probt den Aufstand“, grinste Satan ihm entgegen und erhob sich aus seinem Thron, um mit lässig gezücktem Schwert auf Lucifer zuzuschlendern. Die beiden Männer blickten einander in die Augen, einer voller Hass, der andere voller Verachtung.

      „Ein hübsches kleines Schwert hast du da. Wer hat es dir gegeben?“

      Lucifer ließ sich nicht auf die Provokation ein. Er nahm eine gerade Haltung an, wie er es beim Militär gelernt hatte, und zwang sich, ein absolut unbewegtes Gesicht aufrechtzuerhalten. Satan hatte nicht mehr nach ihm geschickt, heute trat Lucifer ihm aus freien Stücken gegenüber. Den Dämon schien das nur noch mehr zu reizen.

      „Hat es dir nicht gereicht, wie ein Suppenhuhn gerupft zu werden?“, rief er hämisch. „Willst du lieber so aussehen wie Leona, unsere Einarmige? Vielleicht wirst du ja gefügiger, sobald dir ein paar Extremitäten fehlen.“

      Ganz langsam zog Lucifer das Schwert, wog es leicht in der Hand und nahm dann Haltung für ein Duell ein.

      „Ich fordere Euch heraus!“, verkündete er laut und klar, sodass es im Saal widerhallte. In den dunklen Ecken erklang unruhiges Geflüster, das ihn erst bewusst werden ließ, wie viele Dämonen seine Demütigungen tagtäglich miterlebt hatten.

      Satan brach in schallendes Gelächter aus, klopfte sich demonstrativ auf die Schenkel vor Lachen und wischte sich dann eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. Lucifers Wangen brannten vor Scham, wie sehr dieses Monster himmlische und engelhafte Traditionen verspottete.

      „Du forderst mich also heraus, kleiner Engel. Und was soll ich jetzt tun?“

      Kurzentschlossen entschied Lucifer, die hehren Regeln eines Duells zu missachten, machte einen schnellen Ausfallschritt und durchstieß mit der Schwertklinge Satans Gewand und den darunterliegenden Harnisch, sodass das Kurzschwert in den Bauch des Höllenkönigs drang. Einen Wutschrei ließ Lucifer zusammenfahren und im nächsten Moment sah er sich Auge in Auge mit einem rasenden Dämon, der ihn ohne Mühe hochhob und zu Boden schmetterte.

      Hastig rollte Lucifer sich zur Seite, um dem Hieb des Gegners zu entgehen. Seine Finger umklammerten den Griff des Kurzschwertes, das vor dunkelrotem Blut glänzte. Er kam wieder auf die Beine, holte erneut aus und schlug eine Wunde in Satans Arm, der endlich zu begreifen schien, dass Lucifer für einen ernsthaften Kampf gekommen war.

      Mit glühenden Augen wich er zurück, streckte die rechte Hand aus und rief: „Kasdeya Elathan, ich rufe dich zum Kampf!“

      Aus dem Nichts formte sich ein Kurzschwert in seiner Hand mit einer schwarzen, reich verzierten Klinge. Wie von selbst schien sie sich zu bewegen, wobei sie Satans Hand lediglich mitzog. Ein Schauer von gezielten Hieben prasselte auf Lucifer ein, denen er nur mit knapper Not entgehen konnte. Sein Handgelenk schmerzte von der Wucht der Schläge, die er hatte abfangen müssen.

      Kasdeya Elathan – Amons Schwertform, wie er von Leona erfahren hatte.

      Lucifer tänzelte rückwärts und spürte, wie seine frühere Behändigkeit zurückkehrte. Ob er diesen Erfolg Liliths Beistand oder seinen jahrelang antrainierten Fähigkeiten im Zweikampf zu verdanken hatte, wusste er nicht, aber es spielte in diesem Moment auch keine Rolle.

      Er ließ das Schwert nicht aus den Augen, um auf jeden Angriff vorbereitet zu sein. Als es nur locker in Satans Hand hing, wagte Lucifer einen Ausfall, der jedoch sofort geblockt und mit einem Konter, der den gefallenen Engel beinahe den Arm kostete, geahndet wurde. Schweißtropfen liefen ihm vor Anstrengung und Konzentration über die Stirn, seine Schläfe hinab, von wo aus sie zu Boden tropften.

      Erneut erklang Satans dröhnendes Lachen, doch diesmal wurde es von einem Laut überdeckt, der erst unterschwellig Lucifers Bewusstsein streifte, dann jedoch das gesamte Anwesen auszufüllen schien: Vanths Schreie.

      Während der Dunkelfolter hatte Lucifer sie völlig vergessen, da sie sich still verhalten hatte, doch nun brüllte die hohe Mädchenstimme mit aller Kraft, bis der gefallene Engel fürchtete, die Wände könnten zu schwanken beginnen. Satan stieß ein ärgerliches Knurren aus, dann ging er erneut auf Lucifer los, der in die Defensive gedrängt wurde.

      Seine Muskeln brannten von der Anstrengung nach der Zwangspause, sodass jeder Hieb zur Qual wurde. Schwer atmend ließ Lucifer sich rückwärts drängen. Seine Ausbildung hatte ihn gelehrt, selbst in schwierigen Situationen nicht in Panik zu geraten, doch angesichts seiner so deutlichen Unterlegenheit kämpfte er mit blanker Todesangst.

      Vanths Schreie überlagerten sein Keuchen und das Klirren der Waffen, wenn Stahl auf Stahl traf. Immer weiter entfernten sich die Kämpfenden von dem Thron, wo ihr Duell begonnen hatte, bis Lucifer rückwärts gegen die Wand stieß.