Werner Siegert

Truski - das Römermädchen vom Reitstein


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gewesen? – Judith schlug vor Angst und Entsetzen die Hände vor das Gesicht und auch ihre Tränen tropften durch die Finger.

      Es waren „seine“ Hände. Und Judiths Hände, die er überall wieder erkannt hätte. Elsterhorst schreckte auf. Wie in dem Märchen sah er die Hände in einem Tümpel schwimmen.

      Seine Gedanken kehrten zurück zu seinem Fall. Hatte sein Unterbewusstsein ihm eine Spur gezeigt? Ging es vielleicht um einen Ritualmord? Oder um Verstümmelung durch einen Psychopathen? Gab es überhaupt eine Leiche?

      Unruhig wälzte er sich hin und her.

      Etwas klingelte. Hatte er den Wecker falsch gestellt? Es war 5 Uhr morgens. Rinaldo schlug an.

      Der stand hellwach an der Tür des Appartements, dankbar für jede Abwechslung. Elsterhorst zögerte. Sollte er öffnen und riskieren, dass ihm einer einen Arm, eine Hand oder sonst etwas abschnitt? Dann riss er sich zusammen.

      „Werde endlich wach!“ rief er sich zu.

      Er schlüpfte in seinen Morgenrock und öffnete die Tür. Das Treppenhaus war dunkel. Er schaltete das Licht an. Auf der Fußmatte lag etwas.

      War er etwa immer noch in diesem trance-ähnlichen Zustand?

      Wohl kaum, denn Rinaldo gab ein klägliches Wimmern von sich und schlich zurück in die Wohnung.

      Das, was da lag, war eine schwarze abgetrennte Hundepfote. Sie lag auf einem Blatt Papier, das in einer Plastikhülle steckte, so dass nur ein einziges Wort zu erkennen war:

      BEWARE !

      Elsterhorst nahm ein Tempotuch, hob beides widerstrebend auf und legte es behutsam auf seinen häuslichen Schreibtisch. Um diese Zeit wollte Elsterhorst nicht auf dem Präsidium erscheinen, schon gar nicht nach diesen nächtlichen Erlebnissen.

      Er machte sich Kaffee, setzte sich an seinen Schreibtisch und grübelte. Rinaldo lag mit offenen Augen in seinem Korb.

      Beware! Hüte dich! Beware of the Dog! Hüte dich vor dem Hund! Dieses Schild hing in England an jeder zweiten Gartentür.

      Es war eine Warnung, vielleicht sollte es sogar eine Drohung sein.

      England! Da hatte er sich mit der etruskischen Liga angelegt. Einen Toten hatte es gegeben, und der Drahtzieher der ganzen Angelegenheit war für unbestimmte Zeit ins Gefängnis gekommen. Sollte er etwas mit dem Mord zu tun haben? Oder ging es um die römischen Funde?

      Auch damals war ja alles durch ein solches Ereignis ins Rollen gekommen. Dann hatten sie Judith entführt. Und Rinaldo hatte er damals sozusagen als Andenken aus London mitgebracht.

      Von dunklen Ahnungen getrieben ging er zum Telefon, wählte Judiths Nummer. Das Telefon läutete ins Leere. Er glaubte diese Leere fast zu spüren. Angsterfüllt. Wie damals.

      Was war das eigentlich alles? Ein Albtraum? Ein Deja- vue Erlebnis oder – schreckliche Realität?

       Schlag-Zeilen

      Als Elsterhorst am nächsten Tag zu Fuß zu seiner Dienststelle ging, glaubte er an einer Sehstörung zu leiden oder in die Schrecken der vergangenen Nacht zurückgekehrt zu sein. Von jedem Kiosk, von jedem Zeitungsständer, wo eine bestimmte Boulevardzeitung verkauft wurde, kam ihm Rinaldo entgegen. Buchstäblich. Denn er war offenbar im Lauf fotografiert worden Und in seiner Schnauze trug er die menschliche Hand.

      Grausiges Hundespiel

      so die Überschrift. Und der Text musste auf jeden noch grausiger wirken, der nicht Zeuge des Geschehens gewesen war:

      „Die Szene, die sich gestern auf dem Südfriedhof in München ereignete, hätte aus einem Hitchcock Film stammen können. Ein Polizeihund apportierte eine menschliche Hand und legte sie einem Polizisten zu Füßen. Zeuge dieses Vorfalls waren eine junge Mutter und ihr achtjähriger Sohn.

       Der Polizist entriss dem Kind das Handy und verständigte eine Polizeistreife. Mutter und Kind blieben hilflos zurück, als der Polizist – ohne sich um die beiden zu kümmern, mit dem Dienstwagen davon fuhr. Die Frau erlitt einen Schock. Ob das Kind psychologisch betreut werden muss, ist nicht bekannt.

      Elsterhorst ließ sich nur ungern als Polizisten bezeichnen. Nach Schock oder Nervenzusammenbruch hatten die beiden auch nicht ausgesehen.

      Wie kamen Bericht und Foto an die Zeitung, fragte er sich, und wieso war er nicht auf dem Bild? Es hätte sich doch gut gemacht, einen hartherzigen Kommissar auf diese Weise vorzuführen.

      Oder wollte sich da jemand ihn für eine ganz persönliche Rache aufsparen? Ihn- oder auch den Hund?

      Er blickte auf Rinaldo, der auf dem Foto wie ein Höllenhund wirkte.

      Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, als ihn ein neuer Schlag traf. Offenbar hatte in der Nacht nicht nur sein Unterbewusstsein gearbeitet. Auch Journalisten und die Presse waren tätig gewesen.

       Handfetischist gefährdet Münchner Bürger

       Wie aus ungenannter Quelle bekannt wurde, ist außer der „Südfriedhofshand“ eine zweite menschliche Gliedmaße gleicher Art in einer Kiste gefunden worden. Außerdem wurde auf dem Viktualienmarkt der Statue von Karl Valentin die Bronzehand abgetrennt. Das lässt darauf schließen, dass ein Fetischist am Werk ist, der sich auf Hände spezialisiert hat. Wo bleibt die Polizei?

       Welche Gefahr geht ....

      Der Artikel war zu lang, als dass er ihn im Vorbeigehen hätte lesen können. Elsterhorst überflog den Rest. Erhöhte Polizeipräsenz wurde gefordert, die Menschen zu Achtsamkeit, besonders bei Massenveranstaltungen, aufgerufen und vor Panikreaktionen gewarnt.

      Das Ganze krönte ein Foto von Rinaldo mit der Hand. Diesmal hatte man ihm mittels Fotomontage ein Mäntelchen umgehängt mit der Aufschrift

      Polizeihund im Dienst

      Elsterhorst blieb nicht stehen. Was war das nur für ein Fall? Nur mühsam wehrte er sich gegen eine aufkommende Depression, indem er schneller ausschritt. Er versuchte sich klar zu machen, dass sich weder in seinem Leben noch am Bild der Stadt irgendetwas geändert hatte – außer ihm. Ihm fehlte der Schwung, die Neugierde, die Spannung, die sich sonst stets zu Beginn neuer Ermittlungen seiner bemächtigte.

      Lustlos betrat er sein Büro.

      Auf seinem Schreibtisch lag ein versiegeltes Päckchen. Es kam vom Labor. Der Inhalt war – wie zu erwarten – die zweite Hand, die aus dem Forstenrieder Park. Er las das Begleitschreiben.

      Die Hand gehörte also nicht zu dem gleichen Körper wie die, mit der Elsterhorst sich bereits beschäftigt hatte und die ebenso wie die Hundepfote daheim in seinem Tiefkühlfach lag. Sie war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiblich, soweit man das von einer Hand sagen konnte.

      Elsterhorst grübelte. Zwei Hände verschiedenen Geschlechts – das bedeutete zwei Leichen. Es war unmöglich, dass ein Irrer wahllos Hände abschnitt, ohne dass die Polizei davon erfahren hätte. Und wie hätte er das auch gemacht?

      Es musste also zwei Leichen und zumindest einen Mörder geben, den er, Elsterhorst zu finden und zu überführen hatte. Vermisstenanzeigen gab es nicht – zumindest nicht, soweit sich das in der Kürze der Zeit überprüfen ließ.

      Es sah fast so aus, als wollte jemand die Polizei oder ihn beschäftigen oder zum Narren halten. Und gab es im Moment nichts, wo er anpacken konnte.

      Da stürmte, ohne anzuklopfen, Uta Möbius in sein Büro. Respektlos fasste sie ihn am Arm und zerrte ihn zur Tür.

      „Elsterhorst! Kommen Sie schnell!“

      Gerade gelang es ihm noch, sich so weit zu befreien, dass er die Hand