Elmar Zinke

Elbland


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erfasste ihn. Sie ist göttlich schön, dachte er und vergegenwärtigte sich die Zeit.

      In den zehn Minuten Wartezeit bis zum Miteinander versank er in maßvolle Verbitterung. Die Neuauflage dieser Grausamkeit erspart mir hoffentlich meine Vernunft, dachte er und ohne die Möglichkeit einer Gegenwehr tischte ihm die Erinnerung auf, dass er zwei Jahre zuvor vorzeitig läutete. Die Hauseingangstür gab von innen nach, bevor der Einlasssummer ertönte. Ein stämmiger Mann in Zimmermannsmontur und mit winzigen kreisrunden Ohrringen grinste ihn frech an, in seiner Augenhöhe bog er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand kreisrund, der linke Zeigefinger stach unentwegt in das Luftloch. Arbeit im Stundentakt, wiederholte Wagner das damals Gedachte. Sie ist nicht nur schön für mich.

      Als Mons Haustür in greifbarer Nähe aufging, schreckte er furchtsam zusammen, die heraustretende Frau mit einer Einkaufstasche und einer Gehhilfe würdigte ihn keines Blickes. Wagner huschte durch die Tür, horchte an Mons Wohnungstür, die Wahrnehmung völliger Stille beruhigte ihn sichtlich.

      Die schmalgesichtige Frau erschien im schwarzen ärmellosen Kleid, dessen vorderer Spalt die Seide über die gesamte Brusthöhe teilte. Das Rückenfreie der Neuanschaffung reichte beinahe bis zur Gesäßtiefe, filigrane Sandaletten mit goldenen Absätzen hoben Mon um beinahe eine halbe Kopfgröße an. Die dunklen Augen sandten unaufhörlich Kraft und Hingabe aus, Lidstriche zauberten sie ins Größere. Die schmalen Lippen schminkte sie meist pink, grundsätzlich beschichtete Klarlack die spatenförmigen Fingernägel. Glatt und nabellang hing das rostbraun gefärbte Haar herunter, die einseitige Bündelung leistete einen Zusatzbeitrag zu Wagners Gefühlsaufschwung.

      „Ich lange auf Dich warten“, schmollte Mon unterschwellig, auch die sofort einsetzende lächelnde Milde und der gehauchte Mundkuss zählten zum Brauchtum der Begrüßung.

      „Wie schön Du bist.“

      „Kleid nur für Dich.“

      Weiße Wände, leichte Holzmöbel und eine Vielzahl von Topfpflanzen bestimmten die Dreizimmerdachwohnung mit einer Wohnküche und zwei Bädern, auffällig überspitzte Mon ihre Vorliebe für die Farbe Rot. In der Oberfläche der Küchenmöbel behagte ihr die vorherrschende Farbe kirschrot, im Schlafzimmer strafften die vier Holzsäulen des Bettes ein kirschrotes Segel dicht unter der Decke. Wandfächer aus Stoff mit zwei blutroten Drachen kleideten das Arbeitszimmer aus, im Arbeitsbad markierte die kaminrote Klobrille den hervorstechenden Farbpunkt. Im Vorausgehen in ihre Welt des Wohnens und Arbeitens setzte Mon kleine Schritte, die reale Sprache des schmalen Rückens und der breiten Hüfte übersetzte Wagner vollkommen richtig.

      „Du trinken Weißwein oder nicht dürfen?“, sagte sie im Wohnzimmer. „Wegen Arzt für Zähne.“

      „Beim Zahnarzt war alles gut.“

      „Dann alles gut“, lachte sie innig, holte aus dem Kühlschrank Wagners Lieblingsmarke Chateau Bonnet, Jahrgang Zweitausendneunzehn. Wie üblich schenkte er für sie die Hälfte seiner Menge ein, wie immer nippte sie am Glas. Anders als sonst schüttete Wagner die Gesamtmenge in sich.

      „Nicht alles gut?“

      „In der Zeit mit Dir ist alles gut.“

      „Ich heute ganz viel Zeit für Dich. Wenn Du willst, ganze Nacht. Und frühstücken. Du holen frisch Brötchen.“

      „Ich…“

      Wagner hielt beschämt inne, Mon wusste um den unterdrückten Restsatz.

      „Alles gut“, lachte sie schrill auf. „Nix Geld mehr.“

      Ihr Mund schoss gegen Wagners Lippen, die im Überfallartigen Geschlossenheit wahrten.

      „Anton, alles gut. Für immer.“

      Zierliche ringfreie Hände begradigten die Finger seiner rechten Hand, leiteten sie zu ihrem Mund, während der Wegstrecke schabten gelegentlich ihre Fingernägel. Mon leckte jeden Finger mit zärtlicher Hingabe. Der Daumen entschwand vollends in ihrem Mund, erfuhr von der energischen Zuwendung ihrer Zunge und im allmählichen Sichtbarwerden ihrer schönen Zähne von deren lustreicher Bissfestigkeit. Seine sonderbehandelte Hand strich über ihr Kleid, die Beschaffenheit erlaubte sofortige Streicheleinheiten ihrer kleinen, festen Brüste. Im Anschluss glitt die Hand unter ihr Kleid, stellte das Fehlen ihres Slips fest. Wagner schob das Kleid hüfthoch, küsste ausgiebig ihr rundes, straffes Gesäß. Abrupt winkelte sie ihren Körper über die leicht klebrige Ledercouch, mit heruntergelassener Hose drang er von hinten in ihre rasierte Scheide.

      „Im Schlafzimmer mehr Bumbum“, empfahl sie, als er nach verbissener Heftigkeit innehielt. „Himmelbett.“

      Die Tagesdecke des Zweimalzweimeterbettes lag sorgfältig gefaltet zwischen dem vollgestellten Nachtschränkchen und der sitzenden Buddhafigur aus Flussstein. In völliger Nacktheit gab Mon ihrem restlos entkleideten Gegenüber seine Liegestellung zu verstehen, belohnte seine Folgsamkeit mit Knabbereinheiten seiner Brustwarzen. Der bestens bewährte Reizauslöser legte die Lunte an seine innere Explosion, für den Ausbruch genügten ein Stellungswechsel und ein Mindestmaß seiner Regungen in ihr. Nach ihrem Auseinandergehen wähnte Wagner sie alsbald im Kurzschlaf, ihre Hand auf seinem Nabel stellte die körperliche Verbindung her. Er genoss das Dahindämmern im Stillliegen, der Tatbestand seiner Kündigung sickerte nur zeitweilig in seine Gedanken ein. Was wird aus uns?, mengte er an dieser Stelle die Wirklichkeitszustände und dachte alsbald mit zugeschnürter Kehle, ohne meine Dienstbezüge ergraut sie woanders noch mehr im Dienste.

      Wagner flüchtete vor seiner Wahrheit, stellte sich ans Fenster. Die Straße unter ihm sank in eine menschenleere und spärlich erleuchtete Dunkelheit, kein Geräusch drang von außen in diesen Lebensbestandteil, den er sich zwei Mal pro Woche leistete. Das Auflodern von Licht am südlichen Rand der Altstadt bemerkte er unterschwellig, ihn erfasste Zukunftsangst. Sich einstellende Wehmut blockierte die Suche nach Gegenentwürfen, Tränen kugelten über die Wangen. Ich verliere sie, dachte er fassungslos.

      „Warum Du mich lässt allein“, hörte er Mons Stimme wie aus weiter Ferne.

      „Ich gehe kurz unter die Dusche“, zwang er eine fast nüchterne Tonlage herbei.

      Das Wasser aus der Edelstahldusche stellte er in die Maximaltemperatur, dem schmerzhaften Einwirken des Wassers widerstand er mit zusammengebissenen Zähnen. Dampf umhüllte seine Nacktheit, beschlug sämtliche Glasflächen. Im allmählichen Übergang mischte er das Wasser ins Handwarme, die Gesamtoberfläche des Gesichtes kostete diesen wohltuenden Zustand längere Zeit aus. Mit einem sorgsam abgetrockneten Körper und einem weißen Frotteehandtuch um sein Mittelteil kehrte er zu Mon zurück, die in einer aktuellen Modezeitschrift blätterte, in seiner Gegenwart das Blatt zu Boden warf.

      Mit dem Senken der Augenlider brachte sie ihre verlängerten Wimpern wirkungsreich zur Geltung, sagte: „Du nicht satt. Du komm zu mir. Haben Zeit.“

      „Nutzen wir die Zeit für einen kleinen Spaziergang“, schlug er vor. „Ein gemeinsamer Ausflug ist unser neues Erlebnis.“

      „Ich nicht wissen“, hielt sie sich bedeckt. „Gehe immer nur fix zum Einkaufen zu Menschen.“

      „Die Dunkelheit schützt uns vor neugierigen Blicken, außerdem begegnen wir kaum einer Menschenseele“, beharrte er.

      „Gut. Ein bisschen. Ich ziehe Jacke mit Kapuze an.“

      Vor der Haustür kündigte sich mehrfaches Sirenengeheul an. In dichter Folge rasten Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr über das Kopfsteinpflaster in Richtung Süden, zwei Erste-hilfepaare von Rettungsfahrzeug und Notarztwagen reihten sich an. Wagners suchender Blick fand nichts Auffälliges, mit sprachloser Verblüffung folgte das Paar dem Rettungstross zum Tatort. Martinshörner hallten vielerorts durch die Stadt, die Mischung aus Sensationsgier und Argwohn füllte die Bürgersteige mit Menschen in Freizeitkleidung.

      Angsterfüllt hakte sich Mon bei Wagner unter, zeitweise umschloss sie fest seine Hand, presste ihren Körper an ihn. Aus irgendeinem Grund schob sie ihre Kapuze vom Kopf, warf ihre Haare über die Schulter. Im offenen Fenster über seiner Stammfleischerei deutete er Wohlfahrts Kopf. Wagner scheute den Blickkontakt, wechselte abrupt die Straßenseite,