Elmar Zinke

Elbland


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Griffe an ihre Schulter.

      Ihr Blick härtete sich ins Feindselige: „Was mag wohl in der Werkstatt so interessant und wichtig sein, dass mein Schwager dort mehr Zeit verbringt als am Kamin mit seiner Familie“.

      Egon Wagner schnippte den Bierbügel auf, schlürfte den ausströmenden Schaum ab.

      Lisbeth lachte mit kalter Wut: „Dort versteckt sich der Teufel“.

      Die Tür zur Werkstatt riegelte er sofort hinter sich ab, horchte eine Weile auf verräterische Laute hinter der Wand. Oppenheim schlief im verschlissenen Ohrensessel, sandte piepende Töne aus. Egon Wagner breitete die Pferdedecke über ihn, stellte die Bierflasche auf der Werkbank direkt neben die halbfertige Babywiege. Mit dem Löschen des Lichtes und der Rückkehr ins Wohnhaus wartete er eine halbe Stunde, Oppenheims mehrmalige Stöhnschreie förderten Egon Wagners Angst.

      Am Tag vor seinem Einberufungsbefehl an die Ostfront mistete Egon Wagner am Vormittag die Kühe vollständig aus. Er sorgte für Vorrat, indem er zwei Wände des Stalles hoch mit Strohballen stapelte, im Anschluss half er Grete und Lisbeth in der Herstellung von Butter und Käse. Die Gespräche kreisten um die Eisverdickung des Flusses, die Nachricht von zwei Gefallenen im Dorf, die stark schwindenden Vorräte an Heizmaterial. Als sie Egon Wagners Rückkehr an die Front anschnitten, schossen aus Grete jene Tränen, die sie bis dahin mühsam unterdrückte. Egon Wagners Umarmung seiner Frau kündete von ungelenker Leidenschaft.

      Das Türklopfen trennte die Körper, alle Gesichter im Raum sahen sich sprachlos an. Egon Wagner eiste sich aus der Erstarrung los, Schulzes Gegenwart an der Haustür löste Herzstiche aus.

      „Die Hoftür stand sperrangelweit offen“, gab sich Schulze arglos.

      „Wahrlich, nicht gut in diesen Zeiten.“

      „Ich komme nicht mit leeren Händen“, flüsterte Schulze in Egon Wagners Ohr. „Ich bringe Räder für Deine Babywiege. Vom Gefährt für die Kinder meiner Schwester, das jetzt auf dem Dachboden Staub fängt.“

      Schulze griff den abgelegten Rucksack neben der Haustür auf, schulterte ihn wie ein Gewehr.

      „Wie schön“, quälte Egon Wagner hervor. „Ich schaffe sie gleich in die Werkstatt, Grete verblüffe ich am Abend.“

      „Gönne mir einen kurzen Blick auf Deine Schöpfung. Ich bin gespannt.“

      Egon Wagner impfte sich Abgeklärtheit im Menschenmöglichen ein, wahrte die Lichtarmut in der Werkstatt.

      Die vier Holzräder und die beiden Achsen packte Schulze neben die fertige Babywiege, lobte überschwänglich: „Ehrlich gesagt, das habe ich Dir nicht zugetraut. Was für ein Meisterwerk. Sogar an ein himmlisches Dach wurde gedacht. Hoffentlich lindert das Geschenk wenigstens ein bisschen den Abschiedsschmerz.“

      „Das hoffe ich auch.“

      „Aber wieso hütest Du das Geschenk nicht vor Gretes Augen? Der Schrank zum Beispiel empfiehlt sich als Versteck.“

      „Grete…“

      Egon Wagners Stimme versagte ihren Dienst, Schulze wählte den direkten Weg zum Schrank. Die zeitlupenhafte Drehbewegung des Türschlüssels quälte Egon Wagner, in furchtsamer Kauerstellung gelangte Oppenheim zum Vorschein.

      „Für die Babywiege reicht der Platz nicht mehr aus“, wahrte Schulze die Fassung, verriegelte die Tür.

      „Ich…“

      Egon Wagner fand auch nach mehreren Anläufen keinen Zugang zu einem vollständigen Satz.

      „Wo kommt der Polack nicht abhanden?“

      „Im Keller für die Kartoffeln und die Futterrüben“, stammelte Egon Wagner nach fieberhafter Überlegung. „Die Tür kriegt niemand von innen auf.“

      Egon Wagner führte die beiden anderen Männer über den Hof, Schulze hielt seine entsicherte Pistole auf Oppenheims Nacken. Im Keller herrschten Minusgrade, ein u-förmiges Türeisen sicherte dem Bolzenriegel stabilen Halt.

      „Gehen wir in die Küche und regeln die Angelegenheit“, sagte Schulze unterwegs ohne jede Zurechtweisung.

      „Wer ist dieser fremde Mann, der mit Euch über den Hof lief?“, empfing Grete die Männer zurückhaltend im menschenvollen Raum.

      „Darüber wird zu reden sein“, sagte Schulze gelassen. „Vorerst bitte ich um eine heiße Tasse Milch.“

      Schulze schlürfte vom eilig Herbeigebrachten einige Schlucke, in seinen Augen wuchs ein Lächeln.

      „Egon, besser ich regle die Angelegenheit mit Deiner Frau.“

      „Ich bleibe hier“, begehrte Egon Wagner auf.

      In Schulzes Haltung lag nichts Bedrohliches, als er entgegnete: „Egon, Wiederholungen treffen nicht meinen Geschmack. Aber in der Einzelfallregelung drückt der Gehobene im Menschengeschlecht sein wahres Wesen aus. Also noch einmal in gebotener Klarheit für alle. Alle außer Grete räumen postwendend den Raum. Sonst erschieße ich auf der Stelle Egon Wagner wegen Hochverrats.“

      Siegfried Wagner humpelte angsterfüllt los, seine Blicke drängten Lisbeth zum sofortigen Hinterherlaufen. Egon Wagner verharrte in Reglosigkeit, in unaufhörlicher Wechselseitigkeit sammelte er die stummen Worte von Grete und Schulze ein. Mehr noch als Schulzes Augen forderten jene von Grete ihn zur lebensechten Einschätzung des Kräfteverhältnisses auf. Egon Wagner beugte sich auch seinen Selbstvorwürfen, Lisbeth schloss sich ihm an. Aufreizend wackelte ihr Hintern, mit ihrer Sturzeinlage auf der Türschwelle rechnete niemand.

      Das Alleinsein mit Grete bedachte Schulze ohne ein sichtbares Überlegenheitsgefühl. Er setzte sich geradezu scheu, drehte die Milchtasse mit dem Henkel zu Grete, die ihn abwartend ansah.

      „Das Amt bürdet mir die Pflicht auf, Deinen Mann standrechtlich zu erschießen“, erklang seine Stimme wie gedrückt. „Im Grunde gehört jedem von Euch eine Kugel aus meiner Pistole, da ein Feind der deutschen Volksgemeinschaft bei Euch Unterschlupf fand. Tue ich es nicht, bin ich eine Drecksau, wie Ihr es seid. Verdiene auch ich eine Kugel. Was aber vermag die Festung eines jeden treuen deutschen Volksgenossen, die unabdingbare Pflichterfüllung, zu stürmen? In Schutt und Asche zu legen? Es ist die Liebe, wunderschöne Grete. In meinem Falle Deine Liebe zu mir. Lass Dir gesagt sein, in Deiner Gegenwart überfallen mich betörende Wonneschauder. Diese auszukosten in reizvoller Abfolge, macht alles andere vergessen. Sogar, was rede ich, den Treueschwur auf den Führer. Im Klartext heißt das, zwei wertvolle Menschen besiegeln einen Pakt von Liebe oder Tod. Vollbringe ein jeder von uns sein Opfer für die Liebe und das Leben.“

      Grete wahrte im Schweigen ihre aufrechte Körperhaltung, mit gefalteten Händen und ohne Furchtmerkmale näherte sie sich ihrer Antwort: „Zu Befehl, Herr Ortsgruppenführer.“

      Kapitel 2

      Doktor Anton Wagner vermisste auf dem Weg zur Arbeit außer seinem neuen Freund nichts auf der Welt. Das halbfertige Stillleben eines Supermarktes und eine Ansammlung niedriger Gebäude prägten den Friedrichweg, ab hier strolchte seit mehreren Wochen ein augenscheinlich herrenloser Hund um den Historiker, spätestens nach der Einmündung in die Wismerkgasse stellte der Vierbeiner ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit und Wiedersehensfreude unter Beweis. Wagner taufte das Tier Otto, zuweilen kantete die Kreuzung zwischen Border Collie und Retriever nach der Namensnennung treuherzig die Ohren ab. Otto leistete unterschiedlichen Verhaltensanweisungen Folge und Wagner dachte, ich liege richtig im Glauben. Der Hund schenkt dem Namen Gehör.

      Im zunehmenden Unwohlsein, dass eine Menschenhand dem Tier leidvolles zufügte, senkte Wagner an diesem Montag sein Schrittmaß. Vergebens pfiff er lautstark, mit leiser, gedehnter Stimme rief er den Hund beim Namen. Im Kommandoton, mit Dehnungen und deutlicher Silbentrennung und zumeist gekoppelt mit Rundumblicken wiederholte er die Rufaktion.

      Die Einsicht gegenwärtiger Erfolgsarmut und der beständige Glaube an das Halbsoschlimme leiteten den Mittvierziger zur Fleischerei Wohlfahrt, die sich an der Ecke zur Zufahrtsstraße