Elmar Zinke

Elbland


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Direkt an ihrer Seite übertrug sich ihre Gluthitze in voller Länge auf ihn, Küsse starteten im Sanften und Seichten, fanden rasch in die Welt des Ungestümen. Seine Hand löste den Bindegurt ihres Nachthemdes mit Spitzenbesatz in Bauchnabelhöhe, netzte sich in ihrer Empfangsbereitschaft. Seine Leibesfülle streifte ihre frauliche Erscheinung allein im Augenblick der körperlichen Verbindung, nach dem Hochstemmen des Oberkörpers entpuppte er sich als zielstrebiger und zuverlässiger Liebhaber. Keiner beanspruchte Sonderstellungen, wie jedes Mal wuchtete er seine Hundertzehnkilo nach der schonenden Verabschiedung aus ihr sofort zur Seite, atmete hörbar die Nachlust heraus.

      „Erlaubst Du mir das Rauchen?“, fragte er zeitversetzt.

      „Natürlich“, säuselte sie. „Was fragst Du jedes Mal.“

      Die silberne Schatulle mit einer Hand voll Zigaretten und einer Streichholzschachtel lagen griffbereit im Nachtschränkchen, die ersten Züge sog er tief in sich, den Rauch blies er ausschließlich durch die Nasenflügel ins Rabenschwarze.

      „Vielleicht begrüßen wir unser Kind schon im Frieden“, drückte er seine Zuversicht leise aus.

      Ihre Finger streichelten seine buschigen Brusthaare, sie sagte: „Auch im Krieg entsteht neues Leben. Nicht zuletzt unsere Kühe verschonen unser Kind vor Hunger und all die Grausamkeit der Zeit schlägt um unser kleines Dorf hoffentlich einen Bogen.“

      „Die ganze Welt kämpft gegen das Deutsche Reich“, wahrte er das Hoffnungsfrohe. „Hitler…“

      „Egon, ich bitte Dich um eines“, unterbrach sie ihn schroff. „Rede in Gegenwart Deines Bruders nicht schlecht über den Führer. Das beschwört tödliche Gefahren herauf.“

      „Das setzt voraus, dass meine Überzeugung dieses Haus verlässt. Hältst Du meinen Bruder für fähig, dass er das eigene Fleisch und Blut verrät?“

      „Die Gedanken sind nicht frei“, sagte sie abgeklärt. „Nicht einmal in den eigenen vier Wänden. Dein Bruder glaubt an den Endsieg und sieht in jedem Andersdenkenden einen Todfeind. Mit zwei gesunden Beinen stellt er zweifelsohne eine schwarze Uniform zur Schau.“

      Er rauchte schweigsam bis zum kleinstmöglichen Zustand, auferlegte sich eine Selbstzensur, löschte den Zigarettenstummel auf dem Etuideckel. Ein inniger Mundkuss verabschiedete sie in die Nachtruhe. Alpträume und Harndrang rissen ihn mehrmals aus dem Tiefschlaf, er überwand sich zum Toilettengang, Erleichterung trat im vermehrten Wachzustand ein. Der Rückweg übersandte ihm bedächtige Klopfzeichen aus Richtung Hauseingang. Er dachte an die Windstille des Abends, erschöpfte sich in gefahrlosen Vermutungen. Die Türgeräusche steigerten ihre Lautstärke, in der Eingebung eines drohenden Überfalls zückte er ein Fleischmesser.

      Er klinkte die Tür spaltbreit auf, raunte voller Argwohn: „Wer ist da?“

      „Ein Mann, der um Hilfe fleht“, ertönte eine helle Männerstimme.

      „Wie kommen Sie auf unser Grundstück?“

      „Durch ein offenes Fenster auf der Rückseite des Nebengebäudes.“

      Egon Wagner stieß seine Vergesslichkeit auf, fragte weiter: „Wo kommen Sie her?“

      „Aus dem Arbeitslager des Barons. Bitte gewähren Sie mir Einlass. Es herrscht bittere Kälte und ich trage wenig Kleidung. Ich beantworte jede Frage mit der Wahrheit. Ich bin ein guter Mensch, noch nie tat ich etwas Böses.“

      Aus Egon Wagner wichen Ablehnung und Misstrauen, er beäugte das gut sichtbare Schattenzittern, gab den Weg frei.

      „Folgen Sie mir, aber leise.“

      In der Küche zündete Egon Wagner das schwache Licht am Spülbecken an, hielt eine brennende Kerze auf dem Tisch in der Raummitte für angebracht, zur Verbesserung der Lichtausbeute schob er sie an den Tischrand. Der fremde Mann trug eine gestreifte Häftlingskleidung aus dünnen Leinen, durchlöcherte Sandalen, beidhändig umklammerte er eine Pudelmütze aus grober Wolle. Am kahl geschorenen Kopf hingen abstehende Ohren, aus tiefen Höhlen lugte das Gütige dunkler Augen. Wagner schätzte seinen gleich großen Gegenüber auf Mitte Vierzig, eigens fielen ihm das Langfingrige der Hände und die gekrümmte Nase auf.

      „Möchten Sie eine Tasse warme Milch?“

      „Oh, sehr gern“, sagte der Neuankömmling, dankte das Angebot zusätzlich mit Blicken.

      Egon Wagner erhitzte einen halben Liter auf dem Gaskocher, tischte das Getränk in einem roten Emailletöpfchen mit Griff auf. Der Andere wärmte seine Hände am Gefäß, schlürfte die Milch ohne Unterbrechung, sein Gesicht drückte unfassbares Glück aus.

      „Wie heißen Sie? Aus welchem Land stammen Sie? Wieso sprechen Sie ein so gutes Deutsch?“

      „Ich bin Pole und Tischler von Beruf. In jungen Jahren ging ich in Deutschland auf Wanderschaft. Vor allem im schönen Badener Land zog ich von Meister zu Meister und lernte viel, auch die deutsche Sprache. Ich verliebte mich in dieses Land, aber als die Deutschen Hitler zu ihrem Führer wählten, kehrte ich aus Vorsicht in die Heimat zurück, nach Krakau.

      „Und Ihr Name?“, beharrte Egon Wagner nach längerem Schweigen.

      „Ich nenne mich Miroslaw Podolski, aber auf der Urkunde meiner Geburt steht Simon Oppenheim.“

      „Das heißt, Sie sind Jude“, äußerte Wagner ergriffen.

      „Ich führte im Haus des Barons ein gutes Leben“, sagte Oppenheim bedrückt. „Durch meine deutsche Sprache war ich als Übersetzer wertvoll für die Herrschaften. Auch mein Beruf und mein handwerkliches Geschick standen hoch im Kurs. Beim Bau der Festhalle beförderten sie mich zum Vorarbeiter, die Frau des Hauses lud mich sogar zu Kaffee und Torte ins Wohnzimmer ein und sättigte ihre Neugier auf mein Leben. Und ich gestehe, sie legte eine Neugier ohne bösartige Hintergedanken an den Tag. Aber mein Schicksal war nicht aufzuhalten, denn ein Jude trägt mindestens ein äußeres Erkennungsmerkmal und unter der Dusche gelangt es für Andere zum Vorschein. Einer von Meinesgleichen übte Verrat, wahrscheinlich legte meine gehobene Stellung die Lunte für Neid und Missgunst. Die Frage, ob ich ein Jude bin, kam dem Baron ohne Hass, ohne Erregung über die Lippen und doch wusste ich, dass er die Frage auf Leben und Tod stellte. Um mir die Peinigung des Auskleidens zu ersparen, lieferte ich an Ort und Stelle das Geständnis ab. Zumal ich beileibe nicht wie ein Moslem aussehe.“

      „Aber Sie leben“, bekundete Egon Wagner herzergriffen.

      „Die Uhr des Todes tickt erst wenige Tage und das Schicksal öffnet mir vielleicht eine neue Tür. Heute Nacht legte eine Bombe einen Teil unserer Unterkunft in Schutt und Asche. Ich floh und jetzt schmecke ich eine bessere Welt. Nach mehreren Jahren trinke ich wieder heiße Milch, mein Lieblingsgetränk.“

      Egon Wagner steckte den Kopf zwischen die Hände, schloss die Augen, rang mit dem niederdrückenden Gefühl der Handlungsunfähigkeit.

      „Ich habe eine Frau, mein Bruder und dessen Familie leben hier. Oppenheim, Sie setzen uns alle entsetzlicher Gefahr aus. Der Baron lobt die preußischen Tugenden, wie Anstand, Ehre, Gerechtigkeit und Frömmigkeit, aber in Wahrheit paktiert er mit dem Teufel. Seine Tochter heiratete einen SS-Offizier. Das zahlt sich jetzt aus. Seinesgleichen suchen spätestens mit dem Morgengrauen nach Ihnen. Mit Fahrzeugen, mit Hunden, mit blutdürstiger Abscheu. Mein Gott, Sie sind ein Mensch wie wir.“

      „Bitte nur wenige Stunden“, flehte der Jude mit gefalteten Händen. „Mit einem Laib Brot und Milch ziehe ich nächste Nacht weiter.“

      Egon Wagner horchte angestrengt ins Haus hinein, öffnete ein Fenster zur Dorfseite. Überall beruhigte friedliche Stille.

      „Gut, eine Nacht“, stimmte er zu.

      Mit hochkant gestelltem Zeigefinger vor den Lippen mühte sich Egon Wagner hoch, legte eine dicke Wattejacke um die Schultern, wickelte einen Brotkanten und ein faustgroßes Käsestück in Zeitungspapier, ging voraus. In der Werkstatt gewahrte er das Geschlossensein sämtlicher Fenster, beide Männer schoben eine schräg stehende Matratze hinter die Werkbank, unter einer Kiste mit Werkzeug fand sich eine Decke.

      „Ich