Elmar Zinke

Elbland


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versteckst Du Dich im Schrank. In Kauerstellung bietet er genug Platz. Bin ich es, öffne ich die Tür. Pass beim Essen auf, dass kein Krümel übrigbleibt.“

      Egon Wagner klappte beide Flügel des Möbelstückes auf, räumte möglichst lautschwach die Teile der Babywiege aus. Er löschte das Deckenlicht, schloss von außen ab, als Schlüsselversteck auserkor er das eigene Nachtschränkchen. Bleich vor Erschöpfung im Gesicht kroch er unter die erkaltete Bettdecke.

      „Wo warst Du?“, fragte Grete hellwach.

      „Frische Luft schnappen und zu den Sternen blinzeln. Hoffentlich schlafe ich jetzt besser.“

      „In Deiner Werkstatt brannte Licht.“

      „Ich vergaß ein Fenster zu schließen.“

      Geradezu überfallartig warf sich Grete auf ihn, gab eine Liebeserklärung ab: „Wir gehören zusammen. Egal, was uns die Welt beschert“.

      Grete und Egon Wagner traten ihr Tagewerk im Kuhstall um fünf Uhr an. Mit einem einspännigen Pferdefuhrwerk holte die ortsansässige Molkerei die vorgeschriebene Milchmenge pünktlich um Siebenuhrdreißig mit einem Pferdefuhrwerk ab, um acht Uhr vereinte das Frühstück die Familie in der überheizten Küche. Alle tranken heiße Milch, als Seltenheit tischte Grete für jeden ein gekochtes Ei auf. Siegfried Wagner lobte das mustergültige Zustandekommen des festen Eiweißes und des flüssigen Eigelbes, führte zum Abschluss mit dem Ablecken des Eierlöffels eine abnorm lange und spitze Zunge vor, bot erneut seine Mithilfe im Kuhstall an. Die dankende Ablehnung begründete sein Bruder mit der Empfindsamkeit der Tiere gegenüber unvertrauten Menschen und der Gefahr einer nachlassenden Milchleistung mit absehbaren Folgen.

      „Bleibt im Haus, in der warmen Stube“, fügte er im Tonfall des Achtsamen hinzu. „Jedenfalls, so lange mein Urlaub dauert.“

      Das Ertönen der schrillen Hofklingel schreckte allein Egon Wagner. Er griff nach Mütze, Schal und Wattejacke, der Himmel entrollte sein Blau großflächig.

      Dem hämmernden Pochen rief er beherzt entgegen: „Bin schon unterwegs“.

      Vor der Tür erwarteten ihn der Ortsgruppenführer der NSDAP Richard Schulze sowie vier Soldaten in Gestapouniform und mit lässig herabhängenden Maschinenpistolen, der Mann am Steuer des Lastkraftwagens mit Holzgasantrieb harrte im Fahrerhaus aus. Schulzes körperliches Gutaussehen steckte in ziviler Kleidung, der Bürstenschnitt der schwarzen Haare unterstrich eine jugendliche Erscheinung, der längliche Kopf barg lebenslustige Augen und eine formvollendete Nase.

      „Heil Hitler, Egon“, rief Schulze mit den Händen in den Hosentaschen. „Wir suchen nach drei Arbeitstieren, die dem Baron letzte Nacht wegliefen. Bei Dir fanden sie nicht zufällig Unterschlupf.“

      „Pferde halten wir nicht, tut mir leid“, wagte Egon Wagner einen Scherz. „Nur Kühe und Kleinvieh.“

      „Das glaube ich Dir gern“, wahrte Schulze seinen unverfänglichen Ton. „Aber lass uns kurz nachsehen. Reine Routine.“

      „Pflicht ist Pflicht“, mühte Egon Wagner hervor.

      „Im Duett ausschwärmen, alles durchkämmen und Beute machen, aber die Tiere möglichst nicht erschießen“, befahl Schulze mit schneidender Heiterkeit. „Für jeden Polack, den wir lebend zurückbringen, spendiert der Baron als Finderlohn eine Kiste Champagner.“

      „Ich bitte nur um eines“, druckste Egon Wagner. „Die Kühe lieben keine fremden Menschen, erst recht keine hektischen Umtriebe. Also…“

      „Den Stall drehen wir nicht um“, feixte Schulze dazwischen. „Eine deutsche Kuh muht, wenn ein dreckiger Polack in ihrem sauberen Stroh liegt, sich womöglich am Euter satt säuft.“

      Schulzes Hand schwang windmühlenartig mehrere Umdrehungen, die Soldaten stürmten mit den Gewehren im Anschlag der Scheune entgegen.

      „Für mich hast Du bestimmt eine Tasse Deiner hochgelobten Milch übrig.“

      „Natürlich“, zwang sich Egon Wagner zu Freundlichkeit.

      „Ihr Wagners genießt wirklich einen guten Ruf in der Molkerei“, sagte Schulze im Gehen. „Eure Milch ist schön fett, die Kannen stehen immer pünktlich zur Abholung bereit und nie fehlt ein Liter am Soll für die Volksgemeinschaft.“

      Ein flüchtiger Seitenblick führte Egon Wagner das Verschwinden der Soldaten in der Scheune vor Augen, mit weiterhin pochendem Herzen druckste er: „Danke. Das höre ich gern“.

      In der Küche spülte Grete die winzigen Essenreste von den Tellern, das grob gesäuberte Geschirr legte sie in eine Zinkwanne mit heißen Wasser, sauberes Porzellan trocknete auf einem Spülbrett.

      Mit dem Auftauchen Schulzes in der Küchentür unterbrach sie die Arbeit, verhehlte nicht ihr Misstrauen: „Was verschafft uns die Ehre des Ortsgruppenführers?“

      Schulze beäugte sie unverblümt hingerissen, sagte: „Die Pflicht beschert mir unsagbares Glück. Eure Gegenwart.“

      „Dem Baron liefen letzte Nacht drei Fremdarbeiter weg“, gelang Egon Wagner eine wertfreie Stimme.

      „Und Sie glauben, sie verkrochen sich in unserem Stroh?“, wandte sich Grete unerschrocken an Schulze.

      „Das glaube ich nicht, allerdings liebt mein Glaube das Wissen. Zu unser aller Beruhigung.“

      „Grete, Richard trinkt gern eine Tasse heiße Milch.“

      Wortlos ging sie zum Herd, löffelte im Topf die Haut von der erkalteten Milch. Sie beobachtete das Warmwerden, schenkte das Getränk für den ungebetenen Gast in eine Tasse des Sonntagsgeschirrs. Egon Wagner kämpfte mit tiefer Atmung gegen seine Angstzustände an, ein Bild in nächster Nähe mehrte sie. Sein Bruder querte mit Krücken den Hof, pausierte vor zwei Soldaten, die ausgestreckte Hand wies in Richtung Werkstatt.

      „Wie lange dauert Dein Genesungsurlaub noch?“, wandte sich Schulze gelassen an Egon Wagner.

      „Gut eine Woche.“

      „Die Schusswunde, hindert sie noch?“

      „Nein, alles bestens“, entwich Egon Wagner fahrig. „Alles ist gut verheilt. Die zwei Monate auf dem Hof wirkten Wunder.“

      „Geht es zurück nach Frankreich? Helden wie Dich braucht allerdings mehr die Ostfront.“

      Die Worte entlockten dem Anderen ein notdürftiges Lächeln: „Ich erwarte den Marschbefehl jeden Tag. Allerdings…“

      Er unterbrach sich durch das Erscheinen eines Soldaten im vorgerückten Alter und passungenauem Stahlhelm.

      Der Untergebene bezeugte militärische Haltung, sagte überlaut: „Nichts gefunden, Herr Oberleutnant. Allerdings ist im Quergebäude eine Tür zugesperrt.“

      Schulze blickte ungelenk zu Egon Wagner.

      „Kein Problem“, sagte Egon Wagner rasch. „Das ist mein eigenes kleines Reich. Nur ich habe Zutritt.“

      „Dann machen wir Zwei uns auf den Weg“, wandte sich Schulze Egon Wagner zu, dem Soldat befahl er streng: „Alle Aufsitzen!“.

      Schulze nahm Egon Wagner schulterumarmend ins Schlepptau, Grete reichte ihrem Mann eine wärmende Jacke. Vor der Tür wartete ein Tag mit vorteilhaft klassischen Wintereigenschaften, unterwegs verrichtete Egon Wagner Gebete, wenige Meter vor dem Eingang zur Werkstatt klatschte er einen Handballen an die Stirn.

      Fast schreiend rief er: „Oh Gott, der Schlüssel. Er liegt in der Schlafstube. Bin gleich zurück.“

      Egon Wagner eilte mit angewinkelten Armen über den Hof, Schulze zündete sich seelenruhig eine Zigarette an. Grete beobachtete das Geschehen am Küchenfenster. Minuten später betraten beide Männer die Werkstatt, das Tageslicht erhellte den Raum bis in die letzten Winkel. Schulzes Gesicht wirkte entspannt, der Matratze schenkte er mäßig Beachtung, alsbald widmete er sich den sorgsam aneinander gereihten Holzteilen auf der Werkbank.

      „Was ist es, wenn es fertig wird?“,