Ana Marna

Seelenfresserin


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klingt besser“, entschied sie.

      „Finde ich tatsächlich auch. Und der Vollständigkeit halber: das ist der Name, den ich hier in Europa nutze. Roman Rothenstein. – Nun, Spinnenkind, den Hexen bist du vorerst entkommen. Doch wie stellst du dir deine Zukunft vor?“

      „Ich will Biologin werden!“

      Für einen Moment schien er irritiert, doch dann nickte er.

      „Das liegt vermutlich nahe. Lass mich raten, Spinnen werden deine Favoriten sein.“

      „Ich will alles über sie wissen!“

      „Du meinst ihre Biologie, ihr Verhalten.“ Diesmal hörte sie seinen Spott heraus. „Kleines Mädchen, ich verrate dir ein offenes Geheimnis. Vermutlich gibt es kaum jemanden auf diesem Planeten, der mehr über diese Tiere weiß als du.“

      Selina runzelte ärgerlich die Stirn.

      „Das stimmt nicht. Ich kenne noch lange nicht alle Arten, wo ich sie finden kann und wie sie leben.“

      „Hm, du willst also studieren. Dazu benötigst du Basiswissen. Bist du bereit zu lernen? Viel zu lernen?“

      Sie nickte heftig.

      „Dann lass mich dir folgendes erklären: Du hast im Prinzip zwei Möglichkeiten. Ich kann dich zu einem Ort deiner Wahl bringen. Dort kannst du dann selbst entscheiden, was du tun willst – ohne mich. Du kannst aber auch für einige Zeit hierbleiben. Diese Möglichkeit ist allerdings an Bedingungen geknüpft, die dir nicht alle gefallen werden.“

      Selina begann unbewusst an ihrer Unterlippe zu kauen. Sie hatte schlichtweg keine Ahnung, an welchen Ort sie sich bringen lassen sollte. Sie kannte niemanden.

      Ihre Mutter hatte ihr nie von einem Verwandten erzählt, und ihren Vater kannte sie nicht. Sie wusste nicht einmal, ob er noch lebte.

      Ihr war klar, dass sie kaum eine Möglichkeit hatte, offiziell zur Schule zu gehen. Sie wurde jetzt von diesen Hexen gesucht, und sobald sie wieder ein normales Leben aufnahm, würden die Hexen das mitbekommen. Straßenkinder gingen nicht zur Schule, und das würde ihr nicht gefallen. Doch die Vorstellung, bei einem Vampir zu bleiben, war genauso beängstigend, wie von den Hexen gefunden zu werden. Andererseits hatte er sie bisher fair behandelt und nicht belogen, soweit sie es beurteilen konnte.

      „Was sind das für Bedingungen?“, fragte sie zögernd.

      „Nun, zum einen wirst du diese Wohnung nicht ohne meine Erlaubnis verlassen. Du wirst mir aufs Wort gehorchen und mir zur Verfügung stehen, wann immer ich es wünsche. Doch das Wichtigste ist, dass du lernen wirst. Und zwar nicht nur über Spinnen.“

      Er zeigte auf die Bücherwände.

      „Ich kann nicht erwarten, dass du jedes Buch hier studierst, dafür ist deine Lebensspanne viel zu kurz. Doch es werden eine Menge sein, die du verinnerlichen wirst. Biologie über Spinnen steht da an letzter Stelle. Zudem erwarte ich, dass du an deiner Magie arbeitest. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich eine sehr eigennützige Person bin. Die Gelegenheit, mehr über Spinnenmagie zu erfahren, werde ich mir nicht entgehen lassen.“

      Er beugte sich vor und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen.

      „Spinnenmädchen. Ich will dir nicht verschweigen, dass ich einen kurzen Moment versucht war, dir deine Geheimnisse zu entreißen und dich dann zu töten. Doch du gefällst mir. Du suchst nach Wahrheiten und akzeptierst deren Konsequenzen. Das ist nicht vielen Lebewesen gegeben. Wenn du bei mir bleibst, wirst du vieles lernen. Mehr als du es in jeder Schule könntest. Doch es wird dich viel Schmerz, Blut und Tränen kosten. Ich bin ein unbarmherziger Lehrmeister, und du wirst mich nie wieder loswerden. Also überlege dir deine Entscheidung gut. Du wirst sie nicht rückgängig machen können.“

      Das war heftig. Doch hatte sie wirklich eine Wahl?

      „Wenn ich, – wenn ich zurückkehre und freiwillig zu den Hexen gehe, werden diese mich dann am Leben lassen? Ich will ihnen doch gar nichts tun, vielleicht kann ich ihnen das ja erklären.“

      Er schien wieder amüsiert zu sein.

      „Du erwartest, dass ich weiß, wie Hexen denken? Da bin ich ein schlechter Ratgeber, denn ich kann diese Frauen wirklich nicht leiden. Sie mischen sich in alles ein und wissen immer alles besser. Mein Rat wäre: Meide die Hexen. Selbst wenn du bereit wärst, dich ihnen anzuschließen, hätten sie immer Angst vor dir, und das ist nie eine gute Basis für Freundschaft. Sie werden dich mit ziemlicher Sicherheit irgendwann töten. - Oder es zumindest versuchen.“

      Das hörte sich nicht gut an. Aber er war noch nicht fertig.

      „Wenn du es willst, bringe ich dich zu ihnen. Doch erwarte nicht, dass ich dich noch einmal vor ihnen schütze. Im Gegenteil. Wählst du die Hexen, sind wir Gegner. Unser nächstes Treffen wird dann mit Sicherheit nicht so einvernehmlich sein wie jetzt.“

      Selina holte tief Luft. Sie fühlte sich ratlos und hilflos zugleich. Woher sollte sie wissen, was die bessere Wahl war? Hexen oder Vampir? Beides war nicht das, was sie sich in ihrem Leben vorgestellt hatte. Doch bisher hatte sie ja auch nicht gewusst, dass diese Wesen existierten. Sie selbst hatte sich nie als Hexe gesehen. Tatsächlich dachte sie selten über ihre Fähigkeiten nach. Sie waren immer da gewesen. Zwar hatte sie instinktiv gewusst, dass sie besser nicht darüber redete, doch sie hatte auch nie den Drang danach verspürt. Menschen mochten keine Spinnen, sie fürchteten sie oder ekelten sich vor ihnen. Und wenn sie es recht verstanden hatte, ging es Hexen wie Vampiren genauso. Wer war gefährlicher als Gegner?

      „Wie viele Hexen gibt es denn? Und wie viele Vampire?“

      Jetzt brach er in schallendes Gelächter aus.

      „Selina Serra. Spinnenmädchen und Taktikerin. Zählst du bereits deine Gegner?“

      Noch immer hielt er ihr Gesicht umfasst.

      „Es gibt weitaus mehr Hexen als Vampire. Genaue Zahlen kann ich dir nicht nennen. Wen du mehr fürchten solltest? Mich!“

      „Dann ... dann habe ich keine echte Wahl, oder?“

      Ihre Stimme schwankte etwas.

      Er küsste sanft ihre bebenden Lippen.

      „Du bist ein kluges Kind. Nein, du hast keine echte Wahl. Nur mich.“

      „Aber – ich will nicht den Rest meines Lebens eingesperrt sein.“

      Sie drängte die Tränen zurück, die in ihr hochstiegen. So viel Schwäche wollte sie niemandem zeigen. Seine Lippen wanderten an ihren Hals und verharrten dort.

      „Das wirst du nicht, das kann ich dir versprechen. Wenn du genug gelernt hast, werde ich dich gehen lassen. Die Welt wird viel interessanter sein, wenn du deine eigenen Schritte darin machst. Ich freue mich bereits jetzt auf die Gesichter der Hexen, wenn sie feststellen, dass eine Spinnenmagierin ihre Wege kreuzt. Und zwar eine, die sich wehren kann. – Was sagst du, Selina Serra, Spinnenmädchen? Wie entscheidest du dich? Für oder gegen mich?“

      Selina durchlief ein Zittern. Trotz ihrer zwölf Jahre verstand sie genau, um was es ging.

      Um nicht mehr oder weniger als ihr Leben.

      „Für dich“, flüsterte sie und schrie im gleichen Moment auf, als er seine Zähne wieder in sie stieß. Diesmal blieb er länger an ihr dran und sein Griff war anders. Besitzergreifend und fordernd.

      Zitternd schmiegte sie sich an ihn und schloss die Augen. Sie wusste nicht wirklich, auf was sie sich da eingelassen hatte, doch er hatte seine Bedingungen klar formuliert. Also würde sie ihm gehorchen und ihm alles geben, was er forderte.

      Wie hieß es in einem der Märchen, die ihre Mutter ihr früher vorgelesen hatte? Dem Teufel seine Seele verkaufen. In ihrem Fall war es wohl eher: Dem Vampir ihr Leben anvertrauen.

      Montag, 31. März 2008

       Karpaten, Rumänien

      Der