Cecilia noch nicht, daß sie das auf sich nehmen könnte.
Ein Gully fällt ihr ins Auge. Die Aufschrift ist fremd. ACIERIES GENERALES LIEGE liest Schwester Cecilia auf dem Gitterdeckel. Er muß eine weite Reise gemacht haben, bevor er hier zu liegen kam. Erinnerungen aus Kindertagen fallen Schwester Cecilia ein. In solche Gullys hat sie manches gestopft, was die Eltern und Geschwister nicht sehen durften, Murmeln, die ihr ein Straßenjunge geschenkt hatte, ein Briefchen vom dicken Juan aus dem Gynmasium, ein Gedicht. Es ist Schwester Cecilia, als ob Gott selbst ihren Blick auf die fremde Inschrift des Gulligitters gelenkt hätte. Hätte sie nachgedacht, hätte sie sich vielleicht vorgestellt, was den Dingen unten im Gulli alles widerfährt, vielleicht hätte sie doch nicht getan, was sie jetzt tut. Aber nachdenken ist nicht, worauf man im Konvent Wert legt.
Sie hockt sich rasch nieder und stopft die Reste des Christkinds zwischen die Gitterbögen. Sie sind zu dick, und sie muß kräftig drücken, damit sie zerbrechen und ein Brocken nach dem andern hinunterfällt. Der Wasserspiegel tief unten bewegt sich, und Schwester Cecilia weiß, daß dieses Christkind jedenfalls von niemand mehr zu irgendwelchen heidnischen Scheußlichkeiten mißbraucht werden kann.
Als sie sich wieder aufrichtet, steht María immer noch vor ihr. María schaut ihr ins Gesicht, aber Schwester Cecilia weiß nicht, ob sie wahrnimmt. Marías Augen sind völlig ausdruckslos.
"Geh!" sagt Schwester Cecilia leise.
'Geh mit Gott' hatte sie sagen wollen. Einen Segen hatte sie dem Mädchen mitgeben wollen, wenigstens einen kleinen, damit die Sünde des Christusdiebstahls ihr nicht allzusehr angerechnet werde. Sie ist doch noch ein Kind. Aber Schwester Cecilia bringt den Namen Gottes nicht über die Lippen.
María rührt sich nicht.
"Geh doch!" ruft Schwester Cecilia so laut, daß die drei Schwestern an der Krippe hochschauen.
Langsam dreht sich María um. Langsam geht sie davon.
Nun hat sie wieder nichts mehr als ihren braunen Körper und die paar Tücher, mit denen sie ihn verhüllt. Der Körper wird ihr schneller Freier bringen, als sie und Schwester Cecilia sich träumen lassen. Der fette churrascofresser war ein böses Zeichen, ein früher Bote von Gewalt, Leid und einem Leben in ständiger Furcht - und wie soll sie der Krankheit entkommen, an der ihre Mutter gestorben ist?
Das Christkind hat es gewußt, als es die Kinderschuhe vertreten hatte. 'Wer da hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, von dem wird man nehmen, auch was er hat.' So steht es bei Markus geschrieben, im vierten Kapitel Vers Fünfundzwanzig. Und anderswo in den Evangelien. Ich mag gar nicht aufzählen wo.
Nein, diese Geschichte endet nicht mit einem Täubchen, das vorüber fliegt, mag es auch in Marías Land Brauch sein, mit versöhnlichem Taubenflug abzuschließen, was man mitzuteilen hat. Wenn Schwingen rauschen zum Schluß dieser Weihnachtsballade, der Geschichte von María, vom geraubten Christkind, von Schwester Cecilia und von der Indianerin, die so lieb und hilfreich war und so rasch die Geduld verlor, dann sind es die Flügel des Schutzengels, der María verläßt. Für immer.
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