Urs Rauscher

Das Multikat


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es in der ganzen Stadt keine Ampel gebe, erwähnte Kim. Er fahre mich jetzt nach Trongsa, meinem Ziel, teilte er mir mit. Dann fahre er zurück hierher und komme mit seiner Frau nach. Trongsa werde mir sehr gefallen.

      Ich ließ den Blick ziellos über die Landschaft schweifen. Bis auf die gelegentlich in meinem Geist auftauchende Vorstellung von meinem ersten Bankauszug in Deutschland gefiel mir gar nichts. Beate vermisste ich bereits. Je länger wir fuhren, desto einsamer und unwohler fühlte ich mich, denn desto näher kamen die Ausläufer der Schneedecken, welche wie weiße Hussen über die Spitzen der Berge gelegt worden waren. Ich hatte Angst, ihre Eiseskälte könne über Kilometer hinweg in die Täler abstrahlen und sah mich schon auf dem örtlichen Markt Schafe kaufen, die ich dann mit einem Messer von Kim schlachtete und häutete, so dass ich mir aus ihrem Fell wetterfeste Kleidung schneidern konnte.

      Nach unendlich vielen Serpentinen kamen wir schließlich in das kleine Nest, das mich beherbergen sollte. Es lag an einem bewaldeten Hang oberhalb einer großen, langgezogenen Klosterfestung, die ein wenig an den berühmten Palast in Tibet erinnerte, an dessen Namen jedoch ich mich nicht mehr erinnerte. Die wenigen Häuser drängten sich dicht an dicht. Kim hatte schon auf der Fahrt gemeint, sie seien im Trongsa-Stil gebaut, was mir zwar einleuchtete, aber als Orientierung nicht bedeutend weiterhalf. Sie waren allesamt mehrstöckig. Die Fenster hatten hölzerne Rahmen aus aufwendigem Schnitzwerk. Die Absätze der beiden obersten Stockwerke waren aus lohfarbenem Fachwerk, die unteren ausnahmslos weiß. Die flachen Giebeldächer standen weit über die Mauern hinaus. Die Stadt verfügte über keine richtige Straße, sondern nur über Fußgängerwege zwischen den Häusern, und so parkte Kim seinen Wagen am Ortseingang auf einem staubigen Platz zwischen einem Gatter mit Kühen, einem mit Schafen und einem abgeernteten Gemüsebeet.

      Es ging ein durchdringender Minusgrade-Wind und ich wünschte mich sofort in das unbeheizte Taxi zurück, oder in den Klimaanlagen-Kühlschrank Boeing 737, oder in die kuschelig warme Rauchbox in Dubai. Meine Jacke war hier zu einem nutzlosen Lumpen degradiert.

      Um zu meiner Unterkunft zu gelangen, mussten wir den gesamten Ort durchqueren. In einem solchen Eck der Erde erwartete ich eine neugierige Beäugung meiner Person, aber die blieb aus. Sogleich schloss ich darauf, dass hier häufiger Touristen vorbei kamen. Kurze Zeit später sah ich mich bestätigt: Ein weißer Mann sprach mit seiner Frau schwäbisch. Ich hüllte mich in Schweigen und tat so, als wäre ich ihrer Sprache nicht mächtig; was gewissermaßen auch stimmte. Kim konnte meine Zurückhaltung sofort lesen und sprach nicht mit mir, bis wir außer Hörweite waren.

      Nach dem Ortsausgang ging es noch einmal etwa fünfhundert Meter leicht den Berg hinauf, dann standen wir vor einem einstöckigen Holzhaus unterhalb eines Birkenhains, das eher nach einer amerikanischen Blockhütte aussah, als nach einer Datscha im Trogsa-Stil. Daran hatte also Steigbügel gespart. Kim reichte mir den Schlüssel und sagte, dass diese wunderbare Villa nur für mich und ganz allein für mich sei und dass ich dort machen dürfe, was ich wolle. Er komme in zwei Tagen zurück. Bis dahin könne ich die Stadt erkunden. Ich sagte ihm, dass ich das Dorf ganz sicher erkunden werde.

      Als ich auf das Häuschen zuschritt, hielt ich den äußerst kleinen Schlüssel, den mir Kim gegeben hatte, in der Hand. Ich nahm die zwei Stufen auf die Veranda mit Schwung, was sich sofort als Fehler herausstellte: Eines der Holzbretter war so morsch, dass es durch den Aufschlag meines Körpers zerbrach. Ich konnte gerade noch den Fuß wegziehen, bevor mein Bein auch noch in dem Loch verschwand. Mein Schleichen in Richtung Tür wurde von einem vieltönigen Knarren untermalt. Die Tür verfügte über kein eingebautes Schloss, sondern nur über eine festgenagelte Vorrichtung, durch die man ein Vorhängeschloss gezogen hatte. Dieses öffnete ich und ließ die Türe nach draußen aufschwingen.

      Modriger Geruch kam mir entgegen. Drinnen war es sehr dunkel. Ich konnte nur ein Fenster erkennen, und dieses ging zum Hang hinaus. Ein Vorhang sorgte dafür, dass noch weniger Lumen in diesem Raum herrschten. Dafür baumelte eine Glühbirne von der Decke. Nach einigem Tasten fand ich auch den Lichtschalter. Zusätzlich zog ich den Vorhang vor und sah mich um. Es gab ein Bett, so breit, dass drei Personen darin locker Platz gefunden hätten, einen Schreibtisch, so klein, dass selbst ein Erstklässler seine Hefte nicht dort hätte platzieren können und einen Ofen aus Gusseisen, so durchgerostet, dass selbst ein Erfrierender ihn wegen Brandgefahr nicht benutzt hätte. Über die Bodenbretter war ein alter, ausgeblichener Teppich gelegt worden. Es gab ein Waschbecken aus Emaille mit Wasserhahn, der aus irgendeiner Bergquelle gespeist wurde und bei Benutzung einen schwefligen Geruch absonderte. Und es gab eine Steckdose am Ende eines Kabels, das man durch ein Loch in der Wand geführt hatte. Daneben befand sich eine Schachtel mit Adaptern. Schließlich fand ich zu meiner Überraschung sogar genau den, den ich für mein Notebook und meinen Föhn brauchte, und atmete tief durch.

      Ich verließ das Häuschen, um es zu umrunden. Auf der rückwärtigen Seite meiner Unterkunft befanden sich ein Plumpsklo und das Gegenstück zum Wasserhahn innen: Ein Schlauch, der über einen Holzbügel gehängt die Dusche darstellte. Eine Brause suchte ich vergeblich, auch einen Wärmeregler. Dafür fand ich eine ausrangierte Badewanne, die auf einen Bock aus Ziegelsteinen gestellt worden war. Darunter befand sich eine Feuerstelle. Ich war mir im Moment der Betrachtung sicher, dass ich für sechs Monate auf ein heißes Bad in diesem Kannibalenzuber verzichten würde. Ein Wasserschlauch und eine Stromleitung, die vom Haus aus irgendwo im Birkenhain verschwanden, rundeten das Bild ab.

      Mir wurde klar, was geschehen war: Der Chef von Kim hatte Steigbügel reingelegt. Er hatte das Maximum an Gewinn aus dem Handel herausgeschlagen und Steigbügel konnte es nicht kontrollieren. So würde ich von meinem Auftraggeber noch eine zusätzliche Entschädigung fordern müssen. Ich wusste nicht, ob jemand für einen Kleckerbetrag wie einer Million Euro jemals so große Opfer gebracht hatte wie ich.

      Nachdem ich meine Sachen ausgepackt und in das verstaubte Regal gestapelt hatte, das mir als Kleiderschrank diente, ruhte ich mich in meine Jacke und dünne Bettdecke gehüllt auf dem brüchigen Schaukelstuhl auf der Veranda aus. Drinnen war es nicht wärmer als hier. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Vom Dorf hatte ich schon genug gesehen. Später würde ich hinuntergehen und in einem Restaurant etwas essen. Es wurde kälter und kälter. Die Sonne schenkte jetzt selbst den diamantenen Berggipfeln kein Licht mehr und ich dachte an Beate und unser Wohnzimmer zurück, an den Kachelofen im Winter und den Flachbildfernseher, das gemütliche Sofa und ein Abendessen mit Rotwein. Ein gutes Buch und einen Bourbon. Beate. Ein Bourbon. Ein Bourbon.

      Nach dem kärglichen Abendessen, dass nur aus Momos und Brot und einer ungenießbaren Limonade bestand, hatte ich mich im völligen Dunkel der Bergnacht zu meinem Haus vorgetastet, das Loch im Boden gemieden, das Loch im Schloss gefunden und mich in diesem Loch zum Schlafen gelegt, gehüllt in drei Pullover, meine Jacke und die dünne Bettdecke. Der Wind blies durch die Löcher und Ritzen meiner Trapper-Bude aus dem vorvorigen Jahrhundert und strich mir über das Gesicht. Ich fühlte mich wie ein verarmter Ledertrumpf. Erst nach Stunden schlief ich ein.

      Ich träumte davon, wie ich nach meinem sechsmonatigem Aufenthalt Bhutan verlassen wollte. Wie die Bhutaniker Deutschland mit Dänemark verwechselten, weil Angela Merkel wie die dänische Königin aussah und die dänische Ministerpräsidentin wie Romy Schneider, und auch noch zum Verwechseln ähnlich hieß. Wie die Regierung der Bhutaniker mir das Ausreisevisum verweigerte, weil der dänische Konsul bei Rückfrage durch die bhutanischen Behörden mich für einen Vertragsarbeiter bei der dänischen Entwicklungshilfe hielt und mir deshalb keine Freigabe erteilte. Wie Herr Steigbügel glaubte, ich wolle noch einen Nachfolger zu meinem ersten Buch schreiben und daher länger in Bhutan bleiben, und er deshalb einen Dankesbrief an die hiesige Regierung für die Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung schrieb. Wie mir nichts übrig blieb, als Pläne zur Flucht zu schmieden und unter großen Entbehrungen alleine die Berge zu überqueren. Wie ich über den Himalaya nach Indien wanderte. Wie ich in Indien schließlich feststellen musste, dass Indien Italien war und ich lediglich die Schweizer Alpen überquert hatte. Wie man mir noch am selben Tag sagte, dass am Vorabend das Schengener Abkommen zur Abschaffung von Personenkontrollen aufgehoben worden war. Als ich am Comer See wegen Grenzverletzung von Berlusconis Schergen festgenommen wurde, wachte ich auf.

      Noch im Halbschlaf grübelte ich darüber, warum Menschen miteinander verwechselt wurden, die sich zwar von Nahem sehr ähnlich sahen,