Urs Rauscher

Das Multikat


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sie auf ihrem Rücken?

      Die Tinte, die Farbe.

      Sie habe Farbe auf dem Rücken?

      Das Tattoo.

      Ach, so, ich meine ihr Tattoo, das solle ich doch gleich sagen.

      Warum sie ein Surfbrett tätowiert habe, wollte ich wissen.

      Das sei kein Surfbrett, sondern ein versteinerter Fisch, eine Reminiszenz an ihre berufliche Nähe zu den Bergen. Auch in den Felsen hier gebe es versteinerte Fische. Sie könne sie mir zeigen.Ich lehnte ab.

      Tag für Tag wiederholte sich dieselbe Leier. Jedes Mal wollte ich mich weigern, mit ihr klettern zu gehen, und jedes Mal beharkte sie mich dann mit so unangenehmen Fragen, dass ich doch einlenkte. Ich durfte um keinen Preis meinen Auftrag preisgeben, durfte mich aber auch nicht länger von ihr ablenken lassen. Es war ein Teufelskreis, in den mich Steigbügel gebracht hatte. Ich wollte mit ihm telefonieren.

      Stattdessen telefonierte ich nach einer Woche mit Beate. Kim war mittlerweile mit seiner Frau gekommen und arrangierte das Telefonat von der örtlichen Poststelle aus. Es ging ungefähr so:

      „Hallo, Schatz“, sagte ich.

      „Hallo.“

      „Wie geht's dir?“

      „Gut“, log ich. Mir geht es doch immer gut. Wie geht es dir?“

      „Auch gut“, log ich weiter. „Ich komme voran“, trieb ich die Lüge voran.

      „Bist du da sicher?“

      „Ja, klar.“

      Ein Seufzen. „Ist dein Ausweis auch sicher?“

      „Ja. Wieso?“

      Beate: „Du weißt doch, dass diese Schriftstellerin damals in Usbekistan verschwunden ist.“

      „Ja, ich kenne die Geschichte. Sie ist ja wieder aufgetaucht.“

      „Ja, aber erst nachdem ihr Ehemann dorthin gereist ist und sie jahrelang gesucht hat. Ich habe keine Lust, dich zu suchen.“

      „Schon verstanden.“

      „Und dass du mir ja nicht wie diese Frau jemand Einheimischen heiratest. Keine Bhutanesin, Schatz!“

      „Bhutanikerin, heißt das.“

      „Dann eben keine Bhutanikerin!“

      „Nein.“

      „Dass du mir nicht unsere Sprache verlernst.“

      „Nein.“

      „Und in der Landwirtschaft arbeitest.“

      „Nein, Schatz.“

      „Und kein Schweinefleisch mehr isst.“

      „Keine Sorge. Ich esse noch Schweinefleisch“ Ich dachte an die tägliche Portion Momos.

      „Ach. Ich vermisse dich.“

      „Ich dich auch“, sagte ich ausnahmsweise die Wahrheit.

      „Du bist auch nicht krank, ja?“

      „Nein“, sagte ich mit Nachdruck und fragte schnell: „Ist eigentlich noch was von dem Bourbon da?“

      Schweigen. „Ja, wieso?“

      „Heb den Rest bitte für mich auf, ja?“

      Das war das Ende des Gesprächs. Die nächste Woche verlief wie die vorhergehende. Nur dass noch zwei verstörende Dinge geschahen. Das erste war ein Vorfall mit Janine, als ich wieder einmal mit ihr trinken war. Wir waren immer noch nicht miteinander im Bett gelandet, obwohl sie es immer so anstellte, dass es beinahe dazu kam. Dafür tranken wir umso mehr. Sie hatte sich aus dem Schnapskater die Dauerausrede geschmiedet, warum sie nicht klettern konnte, und ich nahm meinen Kater zum Anlass, ihr morgens länger aus dem Weg zu gehen. Trotzdem hatte ich noch keine Zeile zu Papier gebracht. Ich hoffte, das Zusammensein mit meiner Kletterlehrerin würde mich irgendwie inspirieren. Jedenfalls tranken wir fast täglich. An jenem Abend, sagte sie, dass sie auf die Toilette gehen müsse. Sie nahm jedoch diesmal nicht das Schminktäschchen aus ihrer Handtasche, sondern nahm die Handtasche gleich ganz mit. Das machte mich stutzig. Ich folgte ihr auf die Toilette und horchte an der Tür. Es gab nur ein Pissoir in diesem Raum und ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wie sie dort Wasser ließ, aber das war nun nebensächlich. Durch das Schlüsselloch konnte ich hören, dass sie telefonierte. Sie musste ein Satellitentelefon dabei haben. Aber das war nicht alles. Sie sprach auch noch ganz unmissverständlich niederländisch mit ihrem Gesprächspartner in Europa, und zwar so, dass selbst ich ihre Aussprache als völlig akzentfrei erkennen konnte. Durcheinander und erschüttert schlich ich zu meinem Sitzplatz zurück.

      Als ich sie darauf ansprach, reagierte sie mit einem schweizer Akzent, der noch viel stärker war als zuvor. Es blieb ein Misstrauen. Zumal der Akzent bald wieder in seinen alten Zustand zurückfiel und ich jetzt immer mehr Holländisch darin auszumachen glaubte.

      Die zweite Geschichte betraf Kim. Er war, wie erwähnt, ins Dorf gekommen und hatte seine Frau mitgebracht. Kinder hatten beide wohl nicht. Seine Frau war sehr jung, ich schätzte sie auf zwanzig Jahre oder sogar jünger. Ihr Gesicht war hübsch, weil es noch unverbraucht war; sie hatte erst zehn Jahre harte Arbeit hinter sich und noch nicht dreißig. Ich vermutete, dass sie nicht seine erste Ehefrau war. Sie hieß Sing-Geng. Ich nannte sie Sing. Natürlich sprach sie kein deutsch, aber gegenüber Kim und Janine nannte ich sie so. Kim organisierte mir alles. Er kaufte für mich ein, wenn ich Lebensmittel brauchte, er hackte für mich Holz, er besorgte mir Klopapier, billigen Reisschnaps und einmal sogar eine Flasche Bourbon. Ich hielt den Bourbon vor Janine geheim, damit ich nichts davon abgeben musste.

      Wie auch immer die Vorgeschichte war, was passierte, änderte alles. Die beiden bewohnten eine Privatwohnung gleich neben dem Hotel von Janine und oberhalb der Bar für Touristen. Eines Abends lud er mich voller Stolz zum Essen ein. Seine Frau habe uns ein leckeres Käsechiligericht gemacht, sagte er, und außerdem habe er eine nagelneue Flasche Reisschnaps, die ich unbedingt probieren müsse. Überdies besitze er ein Radio. Also sagte ich Janine für diesen Abend ab und Kim zu.

      Er zeigte mir seine Wohnung, die, wie er sagte, so viel besser sei als seine Wohnung in Thimpu. Er hatte keinerlei Hemmungen mir dafür zu danken, dass er nun eine solche Wohnung bewohnen dürfe. Als Vorspeise gab es Momos. Danach gab es Käsechili, der noch schärfer war als der im Restaurant. Ich musste mich für eine halbe Stunde auf die Toilette zurückziehen, bevor ich immer noch hustend und mit geröteten Augen wieder zwischen ihnen Platz nahm. Ihnen schien der Chili nichts anzuhaben. Beide hatten sie vom Reisschnaps gerötete Wangen. Auch ich stürzte ein Glas herunter. Kim prostete mir mehrfach zu und wir tranken noch ein paar Gläser. Dann flüsterte er seiner Frau etwas zu und sie ging ins Nebenzimmer. Wir tranken weiter und Sing kam immer noch nicht zurück. Also fragte ich ihn, was mit ihr los sei.

      „Du kanns zu ia geh“, sagte er nüchtern. „Sie hab viel Fleude mit dia.“

      „Kim, was meinst du damit?“

      „Sie is nack. Sie mach Liebe mit dia und Kim bleib hia.“

      „Das meinst du doch nicht ernst! Das ist deine Frau!“

      „Und du bis mein Fleund. Fleund kann imma heilaten Flau von Fleund. Das is Blauch in Bhutaan.“

      „Brauch? Du meinst, ihr bietet euch immer gegenseitig die Frauen an?“

      „Ja“, sagte er leutselig und grinste mich an. Er erhob sich. Seine Hand wies auf das Schlafzimmer.

      „Nein, das kann ich nicht tun.“ Ich stand auf. „Außerdem ist sie viel zu jung und...“ Er hielt mir die Hand vor den Mund und schob mich zum Schlafzimmer.

      „Du machs viel Schaam auf Kim, wenn du kein Liebe machs mit Sing.“

      „Tut mir leid. Aber dann bringe ich dir eben Schande. Ich kann das nicht tun.“ Ich konnte mich aus seinem Griff befreien. Gerade noch konnte ich die unverhüllten Arme seiner jungen Frau um den Türrahmen greifen sehen,