Urs Rauscher

Das Multikat


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da sein.

      Ich wickelte mich aus der Bettdecke, zog die Jacke aus und schlüpfte mit meinen Doppelsocken in die Halbschuhe. Es war helllichter Tag, denn die Ritzen im Blockhaus leuchteten hell. Ich schob den Riegel zurück, um dem bhutanischen Bauersweib zu öffnen, um dem schlitzäugigen Ziegenpeter meine Aufwartung zu machen. Ich hatte keinerlei Scham, den Einheimischen ungewaschen gegenüber zu treten. Sie hatten mich ja erst in diese missliche Lage gebracht.

      Was vor mir erschien, als die Türe aufklappte, war das vollkommene Gegenteil dessen, was ich erwartet hatte: Ein ausgesprochen hübsches braungebranntes Gesicht mit Sommersprossen auf einem großbrüstigen, durchtrainierten Körper. Lange, sich über die Schulter wellende blonde Haare, lange Beine, fester Hintern. Die Frau war vielleicht Anfang dreißig, trug hautenge Thermokleidung in weiß und einen Kragen aus hellbraunem Fell.

      „Hallo, ich bin Janine“, sagte sie mit einem schweizer Akzent.

      Ich stellte mich etwas peinlich berührt vor und strich mir durch meine ungewaschenen Haare.

      „Ich weiß, wer Sie sind“, sang sie und rollte das R. „Ich werde dafür bezahlt, für Sie da zu sein. Ich bin Ihre Kletterlehrerin.“

      „Kletterlehrerin?“

      Sie lächelte entwaffnend. „Ja, Sie sollen doch klettern lernen.“

      „Soll ich das?“ Ich konnte meine Augen nicht von ihren lassen.

      „Der Assistent eines gewissen Herrn Steigbügel hat mich kontaktiert. Seit einer Woche bin ich hier und warte auf Ihre Ankunft.“ Ihre Augen waren dunkelblau. Ein Bergsee, in den ich sofort springen wollte. Vorausgesetzt er war vorgewärmt.

      „Aha. Das gehört also auch zum Programm.“

      „Ich dachte, Sie sind nur zum Klettern hier.“

      Ich besann mich auf die Stillschweigeklausel und sagte: „Ja, natürlich.“ Ich dachte nach. „Ich will klettern lernen, und ein guter Freund spendiert mir diesen Kurs.“

      Sie nickte und lächelte wieder: „Sie sind nur etwas durcheinander. Noch Jetlag, was?“

      „Ja, so kann man es sagen. Aber jetzt brenne ich auf's Klettern. Ich kann mein erstes Mal gar nicht erwarten.“

      Janine schmunzelte ob der krummen Anspielung.

      „Wann geht’s los?“, fragte ich. Mein Übereifer sollte den Verdacht verwischen, ich sei wegen etwas Anderem hier. Mein Übereifer galt ihrem Körper und dem, was sie damit an Männern und nicht an Steilwänden machte.

      „Das wollte ich Ihnen gerade sagen“, sagte sie in äußerst charmantem Tonfall.

      „Also?“

      „In zwei Stunden können wir anfangen. Kommen Sie erst mal irgendwie in den Tag. Essen Sie im Dorf etwas zum Frühstück. Ich bin in zwei Stunden wieder hier, dann auch mit allen Klettersachen.“

      „Klettern wir hier?“

      „Das ist ein Stück weit weg. Eine halbe Stunde Fußmarsch. Also brauchen wir circa eine Stunde.“

      „Warum denn das?“

      „Wir gehen nicht zu Fuß.“

      „Wie soll ich das verstehen?“

      „Ihr Freund hat uns Scherpas spendiert.“

      Ich verstand immer noch nicht, wollte es aber dabei belassen. Ich würde schon noch sehen, was sie meinte, dachte ich. Waren Esel langsamer als Menschen? Scherpas. Das hörte sich an wie Katzenfutter.

      Wir verabschiedeten uns und ich ging in die Kneipe frühstücken, wo ich auch zu Abend gegessen hatte. Als ich fragte, was es zum Frühstück gebe, sagte der Ober in schlechtem Englisch: „Momos mit Brot.“ Als ich fragte, ob es dazu Kaffee gebe, sagte der Ober: „Zum Frühstück gibt es Limonade.“

      Anschließend wartete ich nach einer kurzen kalten Katzenwäsche auf meiner Veranda auf meine Kletterlehrerin.

      Sie kam mit drei Einheimischen in traditionellen Kostümen; zwei Männern und einem Jungen von vielleicht zehn Jahren. Die drei lächelten mich unentwegt an. Der kleine Junge trug sämtliche Klettersachen auf dem Rücken.

      „Sie sind bereit?“, fragte Janine überfreundlich.

      „Soweit, ja.“

      „Dann kann es ja losgehen.“ Sie machte einem der Männer ein Handzeichen. Er bückte sich und sie schwang sich auf seinen Rücken. Er nahm sie, ohne zu klagen, Huckepack. Er schien das Gewicht locker halten zu können, während sein Sohn unter dem der Ausrüstung beinahe zusammenbrach.

      Sie machte dem anderen auch ein Handzeichen und gebot mir, mich ebenfalls auf den Rücken nehmen zu lassen. Ich ließ es geschehen, auch wenn ich Skrupel hatte.

      Janine sah es mir an. „Machen Sie sich nichts daraus“, sagte sie. „Das machen die beruflich.“

      „Der da auch?“ Ich deutete auf den Kleinen.

      „Für leichte Sachen nehmen sie Kinder, das ist ganz normal.“

      „Na dann“, sagte ich schicksalsergeben. „Unsere Kleidung ist ja auch von Kindern in Pakistan gemacht.“

      Mein Träger fing an zu schnaufen und die Karawane setzte sich in Bewegung.

      „Pakistan ist ja auch gar nicht so weit weg“, sagte Janine und rückte in eine andere Position.

      „Das stimmt“, sagte ich stöhnend. Irgendwie klemmten meine Weichteile. Mit einem Stoß in seinen Rücken befreite ich sie.

      „Jesus hat bei seinem Weg nach Golgatha noch ein viel größeres Gewicht getragen“, beschwichtigte sie mich weiter.

      „War das auch beruflich?“

      Sie lachte auf. „Wenn man so will, ja.“

      „Und was ist jetzt mit dem Katzenfutter?“, fragte ich.

      „Katzenfutter?“

      „Vergessen Sie's.“

      Über eine Stunde ging es steil bergauf, dann kamen wir an eine Felswand. Der kleine Junge machte 100 Meter davor schlapp und wir mussten die Ausrüstung holen. Die Männer ließen sich ins Gras fallen. Janine beachtete sie nicht mehr. Erst als sie zu ihr kamen und sie etwas fragten, sagte sie, sie könnten in ein paar Stunden wiederkommen. Die zweieinhalb Männer machten sich an den Abstieg.

      Meine Kletterlehrerin erzählte mir, dass dies die berühmteste Kletterwand Bhutans sei, sozusagen eine der berühmtesten der Welt. In einer der unzähligen Biographien Reinhold Messners heiße es, dass er hier Klettern gelernt habe, von einem bekannten Bhutaniker, einem Großmeister der Geiernesterplünderer. Später habe er ja dann in Pakistan seine größten Erfolge gefeiert. „Und Pakistan ist ja gar nicht so weit weg“, schloss ich augenzwinkernd und sie grinste, dass es mich fast umwarf.

      „So“, sagte sie tatendurstig. „Jetzt müssen wir uns umziehen.“

      „Ja, sagte ich. „Wenn wir dabei nicht erfrieren.“

      „Dafür kann ich nicht garantieren. Aber die Kletterausrüstung, die hält bombendicht warm.“

      „Dann bin ich ja beruhigt“, sagte ich und nahm aus ihrer Hand meine Kleidung entgegen.

      Noch bevor ich mich nach einer geeigneten Stelle zum Umziehen umgesehen hatte, begann sie schon, sich zu entkleiden. Ich sah sie entgeistert an.

      Sie lächelte. „Was schauen Sie so? Noch nie eine Frau in Unterwäsche gesehen?“

      Ich fragte mich, ob dies die Truman-Show war. Und ich war Truman und der Film ein Porno. Der Titel des Pornos lautete: True Men like Truman – How I climbed her rocks. Beate hieß eigentlich Franka und spielte meine Ehefrau. Was wie das bhutanische Hochgebirge aussah, war in Wirklichkeit der Babelsberg in den Babelsberg-Studios in Babelsberg. Und Steigbügel war der Regisseur mit einem Cameo-Auftritt. Widerlich. Erregend.

      „Keine