Urs Rauscher

Das Multikat


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die Tür. Gedämpft konnte ich noch hören, wie Sing loszeterte und er sie daraufhin anschrie.

      Von diesem Kulturschock musste ich mich erst einmal erholen. Ich ging in die Touristenbar, wo ich vor Janine sicher war und kippte einen Wodka. Diese Bar zeichnete sich dadurch aus, dass sie neben Reisschnaps auch noch ein russisches Wässerchen auf der Getränkekarte führte. Und Limonade. Und alles, was man aus diesen drei Substanzen mischen konnte. Ein alternder Ire mit wirrem Blick sprach mich an, aber ich ging nicht darauf ein, sondern sinnierte über Sinn und Unsinn meiner Reise.

      Warum musste ich um meine Ehe kämpfen, seit ich hier war? Warum konnte ich bisher noch nicht schreiben? Warum war ich so dumm, mit Frauen wie Janine oder Sing nicht zu schlafen? Ich wusste nicht ein noch aus. Ich würde Steigbügel auf Schadensersatz verklagen müssen. Drei Millionen. Mindestens.

      Vollkommen zu torkelte ich nach Hause. Draußen auf der Straße fiel mir Janine in die Arme, die aber zu besoffen war, um mich zu erkennen, und ich schleppte mich den Berg hinauf zu meinem Schwarzwaldhaus.

      Kim blieb in der Folge wohlgemut. Kein Wässerchen konnte seinen Frohsinn trüben. Zwar bot er mir seine Frau nicht mehr an, versteckte sie aber auch nicht vor mir. Ein wenig zweifelte ich daran, dass er die Wahrheit gesprochen hatte. Und das hatte einen Grund. Denn nach der Geschichte mit Janine war ich misstrauisch.

      Dieses Misstrauen erwies sich als begründet.

      Eines Abends sah ich einen älteren Mann, der ebenfalls von einer jungen Frau begleitet wurde. Ich kannte den Mann aus der Bar und hatte schon einige Worte mit ihm gewechselt. Er war einer der wenigen hier, die halbwegs englisch sprachen. Ich folgte ihm zu seinem Haus, sprach ihn an und zwang ihn somit, mich zum Abendessen einzuladen. Es wäre unhöflich gewesen, mich abzuweisen. Die Frau kochte uns Momos und Schafskopf. Ich musste fast erbrechen. Nach ein paar Schnapsshots und weinseligen Umarmungen bat ich den Mann, er möge mich doch bitte mit seiner Frau schlafen lassen.

      Er wies die Bitte brüskiert zurück.

      Ich sagte, wir seien doch Freunde.

      Er sagte, ja, das seien wir, aber die Bitte sei unverschämt.

      Aber Freunde gäben sich doch in Bhutan einander die Frauen.

      Woher ich das hätte, wollte er wissen.

      Von Kim, lautete meine Antwort.

      Die seine lautete, dass er nun alles verstehe.

      Als ich nichts verstand und ihn daraufhin fragte, was es denn damit auf sich habe, dass Kim mir seine Frau angeboten hatte, erwiderte er, jeder im Dorf wisse, dass Kim dafür bezahlt wurde, mir ein halbes Jahr lang seine Frau für die Nacht herzugeben. Das habe dieser im Suff selbst verraten.

      Ich wollte schon gehen, doch er hielt mich zurück. Die Frau, die für uns gekocht habe, sei gar nicht seine Frau, sondern seine Tochter. Ich könne jederzeit mit ihr schlafen. Gerne auch sofort. Als er sie zu uns rief, floh ich.

      Zunehmend fühlte ich mich unwohler in diesen Gefilden. Von Tag zu Tag wurde es kühler und dunkler. An das, was Janine unter Klettern verstand, war bald nicht mehr zu denken. Das Wetter wurde unwirtlicher und Janine begann schon morgens zu trinken. Tagelang, wochenlang gelangte ich von einem Kater zum Suff und wieder zum Kater. Wir quartierten uns beinahe ganztags in der Bar ein. Ab und zu leistete uns Kim Gesellschaft. Er besorgte mir Schaffelle und daunengefüllte Lederjacken. Rührend kümmerte er sich um mich, während ich immer mehr dahinvegetierte und die gleichbleibend aggressiven Werbeversuche von Janine abwehrte. Mein Laptop wurde von einem Tag auf den anderen durch einen älteren ausgetauscht. Mein Schreibpapier kam abhanden und ich klaute mir vom Barmann neues. Von den ursprünglich drei Stühlen in meinem Zimmer kamen zwei in kurzer Folge weg. Die Kugelschreiber auf dem Schreibtisch nahmen über Nacht Reißaus. Mir blieb nur noch der in meiner Jacke.

      Bald führte ich diese Geschehnisse auf mein nachlassendes Gedächtnis zurück und gab mir selbst die Schuld. Zur Strafe trank ich noch mehr. Ich verlor noch ein paar Wochen.

      Dann jedoch schaffte ich es, das Ruder herumzureißen, die Wende herbeizuführen, mich selbst zu erlösen.

      Eines Abends begleitete mich Janine nach der Sauftour nach Hause. Ich wusste schon, worauf es hinauslaufen sollte, und wollte ihr eine Lektion erteilen. Ich ließ sie sich ausziehen, während ich so tat, als wäre ich mit Feuermachen beschäftigt. Sie wollte mich schon wieder mit ihrer Nacktheit betören. Als ich aus den Augenwinkeln sah, dass sie nur noch ihre Unterhose anhatte, schubste ich sie aus der offenen Türe, zog diese zu und schob den Riegel vor.

      Ich hatte sie abgeschüttelt. Ausgesperrt. Nach zwei Monaten zum ersten Mal. Ich hätte ihr sagen müssen, warum ich hier war, dann hätte sie mir niemals all diese Zeit gestohlen, diese kostbare, eine Drittelmillion teure Zeit. Schon klopfte es wieder an meiner Tür. Ich stopfte mir Klopapier in die Ohren und hüllte mich in den Vorhang. Es zog einfach erbärmlich in dieser Bude. Meine Hände zitterten. Ich setzte mich auf den einzigen noch verbliebenen Stuhl, und machte den Laptop an. Gerade hatte ich den ersten Satz getippt, da ging das Licht aus. Der Strom war gekappt. Durch das Klopapier hindurch hörte ich Janine meinen Namen rufen. Ich hörte die Wörter verrückt oder nackt oder verkackt. Ich presste das Papier tiefer in den Gehörgang, schichtete im Halbdunkel das Restholz auf und entfachte ein Feuer im Ofen. Der Schein fiel schwach auf das Papier, dass ich ergattert hatte. Ich legte es vor mich hin, nahm meinen letzten Kugelschreiber und fing endlich an zu schreiben.

      Der Surfkurs

      Mark Stallmeister steht am Flughafen. Er steht da mit seinem Koffer, der nicht richtig aufrecht stehen kann und den er deshalb ständig festhalten muss. Er wartet auf seine Frau. Seine Frau ist auf der Toilette. Er würde jetzt gerne rauchen, aber er darf nicht. Beziehungsweise er darf schon, aber er will nicht. Denn rauchen darf er nur in einer dieser Raucherboxen. In diesem vollkommen sterilen Flughafen in irgendeiner Stadt am Persischen Golf in irgendeinem Emirat darf man zwar rauchen, aber nur an ganz bestimmten Orten. Und an diesen ganz bestimmten Orten will man nicht rauchen. Diese Raucherboxen sind zum einen zum Bersten gefüllt und somit unendlich ungemütlich. Zum anderen ist dort der Rauch dichter als das Wasser in einem Aquarium, und ein blubbernder, blasenabsondernder Fisch will niemand sein. Womit sich das mit dem Rauchen erübrigt. Würde der Körper nicht ständig nach Nikotin schreien.

      Mark Stallmeister wird immer unruhiger. Er überlegt sich, ob er den Nikotinmangel mit ein paar Bier herunterspülen soll. Es kribbelt zunächst im Unterarm, dann in der Hand. Dann breitet sich das Kribbeln vom Ellenbogen in Richtung Torso aus. Im Kopf ist es schließlich ein ganz gewöhnlicher Schmerz. Neben ihm befindet sich eine Irish Bar, beziehungsweise eine Karikatur dessen, was man in kleinen irischen Städtchen antrifft. Das Etablissement ähnelt eher einem amerikanischen Steakhouse, aber einem Steakhouse ohne Grill und ohne Fleisch, mit Bier statt Softdrinks. Das Bier kostet ein paar Denar oder Dirham oder Petrodollar, was nach nichts klingt, aber in Wirklichkeit die zehn Euro gut und gerne überschreitet. Stallmeister weiß das, seitdem er in einem Kiosk eine Cola für fünf Euro gekauft hat. Die Bedienungen sind weder Amerikaner noch Iren, auch keine Araber, sondern die Dienstleistenden in diesem Land, vornehmlich Inder, Indonesier oder Pakistanis.

      Mark Stallmeister ist viel gereist. Er kann in der Regel die Herkunft der Menschen bestimmen. Er kann einen Inder von einem Indonesier unterscheiden. Bei Pakistanis und Indern wird es schon schwieriger. Kommt der eine aus dem Sindh und der andere aus Gujarat, muss er raten. Ansonsten aber liegt er mit seinen Schätzungen meistens richtig. An diesem Flughafen fällt es ihm schwer. Diese Menschen leben manchmal seit Generationen hier, heiraten untereinander. Für ihn sind sie einfach nur Emiratis, auch wenn sie keine Araber sind. Sie sind Bewohner des Landes, jedoch ohne Hoffnung auf Staatsbürgerschaft. Eines Tages werden sie die Araber einfach verdrängen. Doch noch ist alles in der natürlichen Ordnung.

      Er kennt diese Ordnung noch nicht sehr lange. Früher, als er mehr gereist ist, gab es noch keine Zwischenstopps in den Emiraten. Sie sind Produkte des ersten Golfkriegs, also streng genommen eine Erfindung von George Bush Senior. Seit diesem Golfkrieg boomen die Emirate erst so richtig. Er mag die Zwischenstopps hier nicht. Sie können ewig dauern. Vor allem, wenn die Frau ewig auf der Toilette ist.