Urs Rauscher

Das Multikat


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seinen Akzent nie ablegen können. Zudem hat er Probleme mit Präpositionen. In the club, at the club, on the club. Er wird diese Makel nie loswerden. Eher wird er vorher surfen wie Slate Kelly, oder wie dieser Typ auch immer hieß, von dem die Amis dauernd anbetungsvoll sprechen, wenn es ums Surfen geht.

      Plötzlich kommt ein Jeep hupend um die Ecke gefahren. Kerstin und er schrecken gleichzeitig auf, und der Gepäckträger sieht sich an seine Arbeit erinnert und verschwindet im Eilschritt. Als der Jeep näher kommt, stellt er fest, dass der Fahrer ein Schild aus dem Dachfenster hält. Der Wagen mit den abgedunkelten Scheiben wird langsamer und Kerstin und er erkennen zur gleichen Zeit, was auf dem Schild steht: Stahlmeister. Kerstin fängt wild an zu winken und der Jeep bleibt vor ihnen stehen. Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab, kann aber durch die Scheiben niemanden ausmachen. Es dauert, bis der Fahrer das schwarze Visier herunterlässt.

      Ein asiatisches Gesicht von etwa Anfang dreißig zeigt sich ihnen. Es wird von einem einladenden Grinsen beherrscht.

      „Guuten Tag“, sagt der Mann mit leicht amerikanischem Tonfall. „Sin sie Herr und Frau Stahlmeister?“

      „Stallmeister“, verbessert er.

      „Ich heiße Flunk“, informiert Kerstin den Fahrer. „Wir sind nicht verheiratet.“

      „Oh. Okay. Dos makt nix. Gor nix. Ik heiße Sofarius. James Sofarius. Oigentlik hoiße ik James Nguyen, aber ik hobe dön Namen geändert.“ Sein Grinsen wird größer. „Weil ik bün vörhoiratet.“

      „We can speak English, if you would like to“, bietet ihm Kerstin in feinstem British an.

      „Oh, noin“, sagt Sofarius und schwingt sich aus der Fahrertür. „Ik dorf mein Deutsch nikt vörgessen. Nikt olle Deutschen spröken so goil wie Sie.“

      „Okay“, sagt Kerstin etwas indigniert. Sie kann es nicht leiden, wenn sie ihre Sprachfähigkeiten nicht zeigen darf.

      Sofarius macht den Kofferraum auf und verstaut ihr Gepäck darin. Kerstin hat alleine schon drei Koffer. Bei ihm tut es ein Backpack.

      Als sie im Auto sitzen - drei Personen finden vorne Platz -, bietet er ihnen das Du an. „Ik bin euer Fohrer und Roiseloiter. Ik hoiße James, ober ühr könnt mik Jim nönnen. Olle nönnen mik hier Jim.“

      „Okay, Jim“, sagt Kerstin mit leicht verlegenem Lächeln. Der asiatische Amerikaner grinst unbefangen zurück.

      „Wir fohren nach Wimea Beach. Das böste Surfgebiet auf Oahu. Die Fohrt würd etwa oine Stunde dauern.“

      „Okay, Jim“, sagt Stallmeister.

      „Görne. Ik liebe Deutschland. Ik liebe die Deutschen.“

      „Kommst du aus Vietnam?“, fragt Stallmeister, der einige Male in Vietnam unterwegs war. Fast alle Menschen in Vietnam heißen mit Nachnamen Nguyen. Das macht alles einerseits einfacher, andererseits auch schwieriger. Soweit er weiß, kommt der Name von einem Königsgeschlecht. Ein König aus besagter Dynastie muss besonders produktiv gewesen sein.

      Jim freut sich über die scharfsinnige Schlussfolgerung und antwortet: „Oin bisken, ja. Ober das muss ik euk genauer örklären.“

      Das Auto fährt durch die Peripherie der Hauptstadt an einer Lagunenlandschaft vorbei in das breite Tal, das die beiden Vulkankrater in der Mitte der Insel bilden. Industrie- und Wohnkomplexe werden spärlicher. Die Insel verfügt hier über eine reiche Vegetation. Auf dem Highway gleiten sie gemütlich dahin. Obwohl die Autos allesamt PS-stark sind, wird das Tempolimit sklavisch eingehalten. Er versteht nicht, warum es zwei Spuren gibt, wenn niemand überholt.

      Jim erklärt ihnen auf Nachfrage, warum er deutsch spricht. Er sei in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen, bis zur sechsten Klasse. Er sei tatsächlich Vietnamese, Halbvietnamese, wie er betont. Sein Vater, so sagt er, sei bei der Army gewesen, nachdem er 1975 mit den amerikanischen Truppen aus Vietnam geflohen sei und die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Er habe sich revanchieren wollen für die Hilfe, die die USA einem eingefleischtem Kapitalisten wie ihm habe zukommen lassen. Deshalb habe er sich auf Lebenszeit verpflichtet. Die USA hätten sich bei ihm mit dem Anzetteln von weiteren Kriegen revanchiert. Er sei überall in der Welt stationiert gewesen, unter anderem auch in Deutschland. Dort habe er eine andere Soldatin geheiratet, eine waschechte Idahoerin. Zwei ihrer Kinder seien in Heidelberg geboren worden, darunter Jim. Später habe sein Vater auf Hawaii Dienst tun müssen, in Pearl Harbour. In Honolulu habe Jim seinen Abschluss in Wirtschaft gemacht und sei schließlich geblieben. Sein Deutsch, Spanisch und Arabisch hätten ihm beim Vorankommen in der Touristikbranche sehr geholfen. Später habe er eine Frau Sofarius geheiratet, die eingebürgerte Tochter eines niederländischen Waffenfabrikanten. Es habe das junge Ehepaar in den Norden, nach Wimea verschlagen, wo er seit einigen Jahren als Touristenbetreuer arbeite. Man schanze ihm die deutschen und spanischen Urlauber mit Surfambitionen zu. Araber kämen eher selten zum Surfen hierher. Jim will von ihnen wissen, woher sie kommen. Als er erfährt, dass sie in München leben, ist er sichtlich erleichtert. Jim mag Menschen aus der Ex-DDR nicht. Er hält sie für Kommunisten, kann man seinen Worten entnehmen. In Vietnam sei er genau aus diesem Grund nie gewesen. Am meisten aber hege er Abneigungen gegen Vietnamesen, die schon während des Krieges in die DDR gegangen seien. Diese hätten noch nicht einmal für ihre Sache gekämpft. Zeit seines Lebens habe sich sein Vater gewünscht, es würde ein weiterer Krieg mit Vietnam ausbrechen, bei dem er sein Land befreien könne. John Rambo sei seine liebste Filmfigur. Deswegen heiße Jims Bruder auch John. Jims Vater sei nun als General in Afghanistan und lausche in der Nacht den heimeligen Einschlägen von Mörsergranaten. Er halte die Taliban für fanatische Kommunisten und könne nicht ruhen, ehe sie vom Erdboden getilgt seien. Kerstin und Stallmeister hören zu und lassen die befremdlichen Ausführungen unkommentiert. Ik liebe die Westdeutschen.

      „Euer Hotel is söhr goil“, sagt Jim. „Wimea Beach Resort. Der Boss is moin Freund. Ihr wördet euk söhr wohlfuhlen.“

      „Das freut uns“, verkündet Kerstin. Stallmeister freut es auch. Außerdem findet er den Hotelnamen sehr originell.

      Jim hat ein ärmelloses weißes Hemd an und trägt eine Jeans. Sein Auto ist klimatisiert, weshalb Stallmeister friert. Kerstin auch. Sie hat Gänsehaut. Am liebsten würde er das Fenster aufmachen und ein wenig von der Sommerluft hereinlassen. Er kann sich nicht vorstellen, dass der großmäulige Halbamerikaner draußen nicht sofort einem Schweißausbruch anheim fällt.

      Das Tal öffnet sich und er vermutet, dass die Küste nicht mehr allzu weit ist. Jim ist ein sicherer, ein leidenschaftlicher Fahrer. Sein Fahrstil gleicht einer Demonstration. Elegant lenkt er seinen riesigen Jeep zwischen Lastwägen und Bussen hindurch, nimmt Kurven und beschleunigt. Bald fahren sie vom Highway ab und gelangen auf eine Art Landstraße. Hier hat Jim noch mehr Gelegenheit, seine Fahrkunst zur Schau zu stellen. Sie Kerstin zur Schau zu stellen.

      Nach circa zwanzig Minuten biegt Jim scharf rechts ab. Auf einem Straßenschild liest Stallmeister die Namen Waialua und Haleiwa, auf dem nächsten Wimea. Zu seiner Linken sieht er nach kurzer Zeit das Meer liegen. Nach abermals zehn Minuten kommen sie in Wimea an. Jim drosselt die Geschwindigkeit und durchfährt den Ortskern. Der Ort erstreckt sich entlang des Strandes. Er hält vor einem Reisebüro, steigt aus und verschwindet im Inneren. Nach wenigen Minuten kommt er zurück und wendet den Wagen. Es geht zurück zu der Bucht, die Stallmeister beim Vorbeifahren schon für ihr Ziel gehalten hat.

      Das Hotel liegt in einem Palmenhain direkt am Strand, auf der linken Seite der Bucht. Andere Hotels umgeben es. Es gibt Strandrestaurants und kleinere Geschäfte. Jim begrüßt den Hotelpagen und den Rezeptionisten. Das Gepäck wird hineingebracht und die Formalitäten an der Rezeption erledigt. Jim sagt, er habe noch viel zu tun, komme aber vor der Abendessen noch einmal, dann könne man einiges besprechen. Er verabschiedet sich und lässt zum Abschied den Motor aufheulen.

      Nun steht Stallmeister mit Kerstin in ihrem Zimmer und ist sichtlich beeindruckt. Es wundert ihn, dass bisher noch nichts Außergewöhnliches geschehen ist. Es gab keine Behinderungen, Zwischenfälle, Unglücke. Alles ist reibungslos verlaufen. Das Hotelzimmer sucht seinesgleichen. Es hat ich gelohnt, so viel Geld auszugeben.