Urs Rauscher

Das Multikat


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Boden liegen beigefarbene Teppiche, vor den Fenstern flattern weiße Vorhänge im Wind. Es gibt einen Balkon, der aufs Meer hinaus geht. Während die beiden übereinander herfallen und er sie schließlich von hinten nimmt, hören sie das Meer rauschen.

      Sie beschließen nach dem Sex, dass sie in diesen vier Wänden nur noch nackt herumlaufen. Hier, wo man durch das Fenster wehende Palmen sieht, fühlt man sich wie Adam und Eva. Er kommt sich vor wie im ersten Backpackerurlaub mit Anfang zwanzig. Er war auf einer Insel in Thailand und hatte ein schwedisches Mädchen kennengelernt. Sie mieteten sich eine Hütte am Strand und hatten mehrfach am Tag Sex. Er kam sich damals vor wie der attraktivste junge Mann des Planeten. Das war lange vor Di Caprio und The Beach. Bevor dieser Film alles versaut hat.

      Eine Weile noch liegen sie unbekleidet im Bett und schlürfen Cola aus der Minibar, dann bemerken sie, dass der Bettsport sie hungrig gemacht hat. Der Jetlag macht es unmöglich, dass ihr Zeitgefühl und die Uhrzeit auf dem Display des Blu-Ray-Players übereinstimmen, und obwohl dieses erst sechs Uhr anzeigt, ziehen sie sich an, um das Restaurant des Hotels aufzusuchen.

      Seit sie sich geliebt haben, verstehen sie sich wieder bestens. Er ist sogar bereit, ihr nachzusehen, dass sie ihn zum Surfen zwingt. Er findet, Sex, und nicht etwa Reden, ist der richtige Weg, mit Frauen zu kommunizieren. Es handelt sich alles um ein großes Missverständnis. Ebenso wenig, wie er mit seinen besten männlichen Freunden schlafen will, will er häufig mit seiner Freundin reden. Zumindest über die alltäglichen Dinge. Sprechen sie über das Schreiben, Übersetzen oder Reisen, verstehen sie sich blendend. Auch was Filme, Kunst und Kultur angeht, ist sie sein bester Gesprächspartner und er sucht oft derartigen Austausch mit ihr. Er will jedoch nicht wissen, was diese Ausnahmen für den Sex mit Männern bedeuten würden.

      Stallmeister ist befriedigt. Noch vorher auf der Fahrt hat er sich gewünscht, er wäre zehn oder fünfzehn Jahre jünger und noch einmal alleine hier unterwegs. Er würde in Honolulu oder einer anderen Stadt in einem Backpacker-Hostel einchecken, dort Leute aus aller Welt kennenlernen, die ganze Nacht mit ihnen feiern und trinken, und schließlich mit einer Schwedin, Norwegerin oder Finnin den ganzen Schlafsaal wachhalten. Wenn es gar nicht anders ginge, auch mit einer Australierin.

      Weil Kerstin sich noch eine Weste überzieht und die Haare zusammenbindet, ist er vor ihr auf dem Flur. Er hört ein Knarren und in seinem Augenwinkel bemerkt er eine Bewegung. Als er sich nach links dreht, sieht er einen dicken Mann im Hawaiihemd über die Dielen schleichen und die ersten Treppenstufen nach unten nehmen. Die Halbglatze verschwindet rasch im Boden. Er ist sich sicher, dass der Mann gelauscht hat.

      Er sieht den Mann weder in der Lobby noch auf der Terrasse, die aufs Meer hinausgeht und auf der zwei jüngere Pärchen ihre Drinks einnehmen. Die Sonne sinkt schnell der Meeresoberfläche entgegen, sieht er mit einem Blick durch die Glasfront. Er schlussfolgert aus ihrem Stand, dass die Bucht nach Nordwesten zeigt. An die Terrasse schließt im Gebäudeinneren das Restaurant mit zwanzig bis dreißig Tischen an. Der Saal wirkt durch seine vielen Fenster licht und freundlich. Wie man allein aus Holz ein so großes Haus bauen kann, ist ihm ein Rätsel. Doch ihm gefällt es. Er zieht das Braun dieses Naturstoffes dem Weiß von Marmor oder verputztem Stein vor. Es ist wärmer und organischer. Zumindest wären das Kerstins Worte.

      Im Restaurant müssen sie feststellen, dass noch kein Essen serviert wird. Eine junge Frau afroasiatisch-ozeanoeurasischer Abstammung bescheidet ihnen, dass sie frühestens in zwei Stunden wiederkommen sollten. Also beschließen sie, das Areal um das Hotel zu erkunden. Auf der einen Seite gibt es bis zum Grundstück des Nachbarhotels einen kleinen Golfplatz mit neun Löchern. Der Rasen ist akkurat geschnitten und Stallmeister zählt sogar drei kleinere Sandbunker. Ein Mann in weiß mit Tropenhut zieht hier alleine seine Kreise. Auf der anderen Seite fügt sich ein Poolbereich an. Das Becken ist mehrbuchtig und leuchtet azurblau. Um den Pool stehen in Grüppchen bunte Liegen. Auf einer liegt ein knutschendes Paar. Im Wasser treibt ein dicker alter Mann auf einer roten Luftmatratze. Obwohl kein Hawaiihemd Bierbrust und Wanst des Mannes versteckt, ist sich Stallmeister sicher, dass es sich um den Voyeur von vorhin handelt. Pools in Strandnähe sind für ihn eine Perversion wie Laufen auf Laufbändern oder Fahrradfahren auf Hometrainern. Es sei denn, es handelt sich um Endless-View-Pools, die einem den Eindruck vermitteln, der Pool ginge ins Meer über. Auf die Topless-View, die der Alte ihnen bietet, und bei der es so aussieht, als würden Kopf und Bauch ineinander über gehen, kann er hingegen gerne verzichten.

      Zwischen den langen Baumstämmen, die die Hotelterrasse tragen, schlendern sie hinunter zum Strand. Dieser liegt ein Stück tiefer, da das Gelände zum Meer hin abfällt. Direkt dort, wo ein schmaler Streifen Sand das Dünengras ablöst, gibt es zwischen Palmen einen Pavillon mit Grill und kleiner Bar. Sie betreten ihn und blicken hinaus aufs Meer. Die Sonne bereitet sich auf ihren blutfarbenen Einschlag in die spiegelnde Scheibe des Ozeans vor. Gischt hält sich auf rasenden Wellen. Die Tische sind schon gedeckt. Zwei an die Brüstung gerückte Stühle dienen ihnen als Sitzgelegenheit. Sie küssen sich und er ist glücklich. Vorerst.

      Er stellt sich vor, wie sie hier sitzen und eine Tusnamiwelle sich vor ihnen aufbäumt. Er würde gerne wissen, wie die Menschen empfanden, kurz bevor sie selbst zu einem Teil des Naturereignisses wurden, das sie kurz bewundern durften. Er war zu der Zeit des großen Tsunamis an der Westküste Sri Lankas. Sein Urlaub war mit dem Unglück natürlich gestorben.

      Wenn die beiden Vulkane der Insel ausbrechen, dann fließt die Lava durch das Tal, einerseits in Richtung Honolulu und andererseits in Richtung Waimea. Es wäre eine Flutwelle, die einen aufs Meer spült statt aufs Land. Sofern man nicht vorher in Asche aufgeht.

      Die milde Abendsonne wärmt sein Gesicht. Sie hören das Atmen der Brandung. Weiter draußen türmen sich Wellen auf.

      Kerstin lehnt den Kopf an seine Schulter. “Vielen Dank für dieses schöne Geschenk.“

      „Bitte, bitte.“ Er streichelt ihre Haare.

      „Ich freue mich so auf unseren Urlaub.“

      „Ich mich auch“, sagt er und braucht dabei nicht zu lügen.

      „Sind nicht so viele Leute hier“, bemerkt sie.

      „Aber der Surfkurs ist angeblich ausgebucht.

      „Wie soll das gehen?“

      “Wahrscheinlich sind dort auch Leute aus anderen Hotels.“

      Sie nickt und meint: „Unser Hotel ist einfach traumhaft. Komisch, dass trotzdem so wenig los ist.“

      „Bei den Preisen?“

      Weil Jim gemeint hat, er würde vor dem Abendessen noch einmal zu einer Besprechung vorbeikommen, machen sie sich auf den Rückweg. Stallmeister erblickt hinter dem abgezäunten Poolbereich zwischen Grüppchen von Palmen mehrere Bungalows mit Veranden und weißen Dächern. Auf der Wiese davor spielen Kinder und auf einer Liege bräunt sich eine Frau. Sie ist splitterfasernackt. Er ermahnt sich, dass er doch gerade Sex gehabt hat.

      Die Hotelterrasse ist über eine kleine Holztreppe zu erreichen. Von ihr aus gelangen sie in die Lobby und lassen sich dort auf einem roten Ledersofa nieder. Kerstin blättert in amerikanischen Tratsch-Zeitschriften. Stallmeister wird von einer starken Müdigkeit übermannt, vielleicht ist es der Jet-Lag. Er ist kurz davor, einzudösen, da schreckt ihn eine laute Stimme auf: „Hey. Moine Froinde! Wie göht es euk? Olles okay? Göfällt euk dos Hotel?“

      Er muss sich erst sammeln, bevor er antworten kann. „Oh, ja. Das Hotel ist fantastisch.“

      Jim sieht daraufhin Kerstin an.

      „Wundervoll“, bestätigt sie.

      „Great. Söhr goil, moine ik. Dorf ik euk Bill vorstellen, dön Manager vom Hotel?“ Hinter ihm tritt mit einem Mal ein Mann hervor. Er ist noch kleiner als der Halbvietnamese und noch schmaler. Einen Anzug in einer solchen Größe gibt es nicht von der Stange. Die Haare sind graumeliert und das Gesicht sonnengeröstet. Er kommt ihnen einen Schritt entgegen und gibt ihnen die Hand. Kerstins Blick sagt, dass Stallmeister so höflich sein und aufstehen soll.

      „Hello Guys“, sagt der Manager reichlich hemdsärmelig. „I am Andros.“ Seine Füße stecken in zu großen schwarzen Lackschuhen.