Urs Rauscher

Das Multikat


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gibt.

      Dr. Leibesfülle streicht sich über die Glatze. „Ich glaube, er ist Vietnamese, also vietnamesischer Herkunft. Auf jeden Fall ist er Amerikaner und spricht deutsch. Ein netter Kerl.“

      „Sicher“, sagt Stallmeister.

      Der Mann lächelt offenherzig. „Surfen Sie zum ersten Mal?“

      „Ja.“

      „Sie auch?“, spricht der Dicke Stallmeisters unverkennbar beschäftigte Freundin an. Unverfroren. Frech? Unverfroren.

      Sie hebt den Kopf. „Ja.“

      „Dann bin ich ja nicht der einzige Anfänger.“ Er grinst.

      Stallmeister lässt die Feststellung unkommentiert. Als er gerade meint, dass er nun Ruhe hat und seine Finger die Surfzeitschrift beinahe berühren, kommt ihm der Mann erneut von der Seite: „Mein Name ist übrigens Trogbert. Dieter Trogbert. Sie können mich Dieter nennen.“

      „Angenehm“, sagt Stallmeister und zieht die Hand vom Zeitschrifteinstapel zurück. „Sie können mich Herr Stallmeister nennen.“

      Trogbert grinst schief, ringt sich aber dann ein Lächeln ab. „Ich bin Architekt. Was machen Sie denn, wenn Sie nicht gerade surfen, Herr Stallmeister?“

      „Ruhe vor zu gesprächigen Menschen suchen“, gibt Stallmeister bissig zurück.

      Trogbert lässt sich nicht abschrecken: „Na?“

      „Ich bin Journalist.“

      „Ach? Worüber schreiben Sie denn?“

      „Ich bin Reisejournalist.“

      „Aha. Sie kennen sich hier aus, was?“

      „Richtig geraten.“ Stallmeister hofft, damit das Gespräch endgültig abzuwürgen. Dass er Schriftsteller ist, verschweigt er deswegen.

      „Warten Sie mal“, sagt Trogbert und schließt nachdenklich die Augen. „Stallmeister.... hm.... Da gab es doch mal einen Schriftsteller. Ich hab da mal so ein Buch gelesen. Ich komme deswegen drauf, weil es da auch ums Reisen ging. Wie hieß der noch mit Vornamen? Max? Markus? Mark? Mark! Mark Stallmeister, jetzt hab ich's. Sie heißen nicht zufällig Mark mit Vornamen?“ Er sieht ihn drängend an.

      „So heiße ich“, gibt sich Stallmeister geschlagen.

      „Dann sind Sie es?“

      „Ja.“

      „Das ist ja eine Ehre. Ist mir noch nie passiert. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich nicht mehr gut an das Buch erinnern kann.“

      „Das macht nichts“, sagt Stallmeister und freut sich. Er hasst nichts mehr als Gespräche über seine alten Machwerke. „Ich war jung und brauchte das Geld.“

      „Jungendsünden, was?“, sagt Trogbert amüsiert.

      „So ist es.“

      „Aber erfolgreiche Jugendsünden.“

      „So ist es.“

      „Und Sie?“, Trogbert lässt Kerstin nicht in Ruhe.

      Sie sieht abermals auf. „Ich bin Übersetzerin.“

      „So? Das passt ja. Der Schriftsteller und die Übersetzerin.“

      „Der Journalist“, verbessert ihn Stallmeister.

      „Dann eben der Ex-Schriftsteller und die Übersetzerin“, beharrt Trogbert.

      „Der Ex-Schriftsteller und die Ex-Dolmetscherin“, präzisiert Kerstin.

      Trogbert guckt interessiert. „Ach? Ex-Dolmetscherin?“

      Stallmeister sieht Kerstin gekränkt an: „Ex-Schriftsteller?“

      Dann kommt endlich Jim. Er weht in die Lobby hinein.

      „Hallo, moine Froinde!“, singt er. „Soid ühr guut ausgeschlofen? Heute göht ös sum Surfen! Endlik! Euer Fohrer Justin wortet schon auf euk!“ Er wedelt mit Papieren und grinst, als müsse er ihnen noch etwas verkaufen.

      Stallmeister und Kerstin stehen auf. Trogbert erhebt sich mühsam und schwingt dann seine Badetasche in einer Hand.

      Jim drückt jedem ein Papier in die Hand. „Dos is oier Ticket. Förgesst ös nikt. Ühr musst ös bei dör Surfschule obgeben.“

      Stallmeister liest den Aufruck Wimea Surf School auf dem gelben Papierstück im DIN-A5-Format. Es gefällt ihm. Er findet den Namen sehr originell.

      Jim schaut zufrieden und macht schon wieder auf dem Absatz kehrt. „Wür söhen uns heute Obend, Leute. Donn wördet ühr dön Kurs bewörten können. Wür wollen, doss ühr dön goilsten Urlaub eures Löbens hobt!“

      „Wie bewerten?“ Stallmeister sieht Arbeit auf sich zukommen.

      „Müt oinem Frogebogen“, sagt Jim mit unerschütterlichem Grinsen, sprungbereit wie eine Katze. „Nur 250 Frogen. Fur jöde Froge oine Note. Ühr musst die Bewörtung regelmäßig maken.“

      „Einmal in der Woche?“, will Stallmeister wissen.

      „Oinmal om Tag“, gibt Jim zurück.

      Stallmeister rechnet aus, wie viele Noten er im Laufe des Urlaubs vergeben wird. Er wird sich vorkommen wie ein Lehrer, der Korrekturen mit in die Ferien genommen hat.

      Jim verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Die drei gehen nach draußen vor den Haupteingang. Auf der Wendefläche des Parkplatz steht ein Golfmobil. Vorne sitzt ein Mann am Steuer. Ein alter Mann. Sie gehen auf das Fahrzeug zu. Ein sehr alter Mann.

      „Hi. I am Justin“, sagt der magere Greis mit ausgetrockneter Stimme und nickt den dreien zu. Er hat einen äußerst dünnen Hals und einen ausgeprägten Kehlkopf. Auf seiner Glatze schimmern Altersflecken. Mit zittriger Hand betätigt er Bremse und Gangschaltung seines Gefährts. „Hi, Justin“, sagt Kerstin als einzige.

      Trogbert setzt sich vorne zu dem Mann, der gut und gerne der Vater des deutschen Beinahe-Rentners an seiner Seite sein könnte. Kerstin und er sitzen hinten und halten sich an der Karosseriestange fest.

      Mit schwacher Hand lässt Jim den Motor an. Stallmeister bezweifelt, dass der Mann die Kraft hat, das Steuer zu halten. Doch dann ruckelt das lahme Golfmobil auf Rädern, die für Rasenfahrten gemacht sind, über die Hotelzufahrt auf die Hauptstraße. Kerstin und Stallmeister gucken sich befremdet an. Kaum sind sie auf der Straße, beginnen die ersten Autos zu hupen. Kerstin fragt den Fahrer, ob man nicht über den Strand auf die andere Seite der Bucht fahren könne. Der Mann, dessen Nacken über den Faltenwurf einer Schildkrötenhaut verfügt, bescheidet ihr mit krächzendem No, dass es sicherer ist, wenn sie die Straße benutzen.

      Nach zehn Minuten Todesangst und dem Einatmen abgasgetränkter Zugluft vorbeirauschender PKWs, biegen sie links auf eine Seitenstraße ab. Kerstin umklammert voller Erleichterung ihren Freund. Trogbert gibt sich Mühe zu lachen. Vor einem einstöckigen Gebäude aus Bambusstäben bringt Justin sein Opa-Mobil zum Stehen. Er wartet, bis sie ihre Sachen herausgenommen haben, dann tuckert er grußlos davon.

      Sobald sie vor der Surfschule stehen, kommt jemand heraus. Es ist eine junge, sportliche Frau mit kurzen blonden Haaren. Sie trägt ein Bikinioberteil und einen bis zur Hüfte hinunter gerollten Neoprenanzug. „Da sind Sie ja“, freut sie sich.

      Mit holländischem Akzent spricht sie weiter: „Ich bin Antje, Ihre Surflehrerin. Wenn Sie wollen, können sie mich auch duzen.“

      Kerstin macht einen Schritt auf sie zu und reicht ihr die Hand: „Kerstin.“ Die beiden lächeln sich gegenseitig einschätzend an.

      Jetzt macht Antje einen Schritt auf Stallmeister zu und hebt fragend die Augenbrauen.

      „Mark“, sagt er widerwillig. Das mit dem Duzen geht ihm hier deutlich zu schnell.

      „Dieter“, sagt Trogbert verschmitzt, als sie sich den Architekten