Urs Rauscher

Das Multikat


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gesamten Staaten? Burkapartys. Das ist eine Art Swinger-Party. Ich bin sogar schon zu einer eingeladen worden. Die Männer kleben sich einen Bart um, die Frauen sind in Burkas unterwegs. Darunter sind sie natürlich nackt. Die Frauen erkennen die Männer durch ihr Sehgitter eh nicht, und die Männer die Frauen genauso wenig. Keiner erkennt keinen und so geht es gleich rund. Früher gab es ja die Schlüsselpartys, bei denen der Mann seinen Schlüssel am Anfang in eine Schale gelegt hat und am Ende von einer der anwesenden Frauen gezogen wurde, mit ihr nach Hause gegangen ist. Das war der große Spaß verheirateter Paare. Jetzt kommt man gleich an Ort und Stelle zur Sache, weiß aber gar nicht, mit wem man es getrieben hat. Das heißt, es gibt keine Eifersüchteleien, keine Peinlichkeiten, keine Schuldzuweisungen bei Geschlechtskrankheiten. Am Ende gehen die Ehepaare befriedigt nach Hause und niemand muss sich Sorgen machen. Jedenfalls keine größeren Sorgen. Die meisten Leute in Ihrem Alter sind ja sterilisiert, weil sie schon Kinder haben. Die können sich also schön austoben. Und für die erzkonservativen Südasiaten springt dabei auch noch etwas heraus: Die Burka-Hersteller in Pakistan haben riesige Bestellungen aus den USA zu bearbeiten. Verrückt, nicht?“

      „Geisteskrank“, meint Kerstin.

      „Ich habe mir gerade Jim mit Vollbart vorgestellt“, erwähnt Stallmeister.

      Der Architekt verzieht das Gesicht, halb amüsiert, halb angeekelt, fängt sich dann wieder und redet munter weiter: „So, Herr Ex-Schriftsteller, um endlich auf Sie zu sprechen zu kommen. Wissen Sie, was ich gerade lese? Nein? Sie erraten es niemals.“

      Stallmeister bläst Rauch aus. „Die neuesten Verschwörungstheorien?“

      „Nein. Ein Buch von Markus Markstahler. Den kennen sie doch?“

      Im Hintergrund spielt seichte Surfermusik. Stallmeister nickt.

      „Die Diebe in den Zeiten der Kohl-Ära. Der zweite Teil seiner berühmten Kohl-Trilogie. Haben sie die gelesen?“

      „Nur den ersten Teil.“

      „Und sie?“ Trogbert sieht Kerstin fragend an.

      „Nichts davon“, gibt sie zurück. „Trivialpseudofiktiodokumentarischer Quatsch.“

      Trogbert zuckt mit den Schultern. „Also ich finde es großartig. Bin mal auf den dritten Teil gespannt. Der kam ja erst letztes Jahr raus. Den habe ich auch dabei. Wenn ich so schnell weiterlese, schaff ich den locker auch noch im Urlaub. Das Buch ist sehr fesselnd. Wie er die Spendenaffäre mit der privaten Affäre verknüpft, ist einfach großartig.“

      „Ach. Kohl. Das ist doch ein alter Hut“, sagt Stallmeister. Er sieht Kerstin an, die ihm wissend zuzwinkert.

      Trogbert winkt ab. „Ich habe nichts gegen ihn. Ich habe ihn zwar nie gewählt, aber er war ein ordentlicher Bundeskanzler. Und, na ja, die Spendenaffäre, so schlimm war die doch auch nicht. Von wegen nicht richtig versteuert und so weiter. Ich zahle doch auch kaum Steuern. Aber das liegt wohl daran, dass ich nicht so viel verdiene.“

      „Das könnte der Grund sein“, sagt Stallmeister lakonisch. „Die brauchen Ihr mickriges Geld in einer Bananenrepublik nicht.“

      „Oder in der Schweiz“, bedauert ihn Kerstin.

      Trogbert hebt den Finger. „Wissen Sie, welches das größte Steuerparadies der Erde ist?“

      „Nein. Die Bahamas?“

      „Nein. Auch nicht die Cayman-Islands. Sie erraten es nie. Na? Es ist Pakistan. Dort werden gar keine Steuern gezahlt. Der Staat hält sich aus allem raus. Wilder Westen, sozusagen. Sollten Sie irgendwann einmal wieder einen Bestseller schreiben, können Sie ihr Geld ja dort unterbringen.“

      „Was bringen einem niedrige Steuern, wenn die Bank einen betrügt und man das Geld nie wieder sieht, weil es den Staat nicht interessiert?“, will Kerstin von ihm wissen. Und ihr Freund schließt sich ihren Vorbehalten an: „Dann kann man auch gleich sein ganzes Geld versteuern.“

      „Da ist was dran“, sagt der Architekt und sieht Stallmeisters Freundin einen Hauch zu innig an.

      „Viele Leute verdienen sich ja mittlerweile in den Emiraten eine goldene Nase“, sagt Stallmeister.

      „Sie meinen Inder?“

      „Die auch. Für indische Verhältnisse verdienen die sich sogar einen goldenen Kopf. Aber die meine ich nicht.“

      „So, wen dann?“

      „Leute wie Sie. Dort gibt es eine Art Bauboom. Geschäftsleute aus dem Westen und Fußballspieler sahnen da so richtig ab. Und Architekten: Hochhäuser, Stadien, Gaspipelines.“

      „Muss ich mir noch mal genauer ansehen, ob das was für mich wäre“, sagt Trogbert und deutet der Bedienung mit Fingerzeichen, dass er auch noch ein Bier haben will. „Aber generell bin ich dagegen, dort zu arbeiten.“

      „Wieso? Sie kommen doch überall klar“, frotzelt Stallmeister.

      „Leute werden da nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages auf unbestimmte Zeit festgehalten. Ohne Genehmigung des Arbeitgebers darf man nämlich nicht ausreisen. Macht der pleite, kann es sein, dass man überhaupt kein Ausreisevisum mehr bekommt. Manchmal dauert das Jahre. Ein Bekannter von mir sitzt dort fest. Die Botschaft kann ihm auch nicht helfen.“

      „Hört sich ja schrecklich an“, sagt Kerstin mit Bestürzung in der Stimme.

      „Ja, schauerlich“, gibt Stallmeister von sich. Es würde ihn freuen, wenn stattdessen Bekannten der Architekt jetzt dort festsäße.

      „Ist es auch. Er könnte sich freikaufen, aber das würde heißen, dass er überhaupt nichts während seiner Zeit dort verdient hätte.“

      Stallmeister presst Luft zwischen den Lippen hindurch. „Pech.“

      „Sie kennen dieses Problem nicht, was?“, fährt Trogbert fort. „Sie können überall auf der Welt schreiben.“

      „Könnte ich, ja.“ Stallmeister möchte nicht darüber reden, dass er ein Manuskript dabei hat. Er will nicht, dass Trogbert ihn darüber ausfragt. Er will überhaupt nicht übers Schreiben reden. Er will überhaupt nicht mit diesem Mann reden.

      Trogbert lehnt sich neugierig vor. „Kein Projekt dabei?“

      Stallmeister antwortet nicht.

      „Ein Freund von mir schreibt auch. Er ist damit sogar ziemlich erfolgreich, aber wahrscheinlich kennen Sie ihn nicht. Er sagt, das Schreiben mache ihn zu einem Superhelden mit überirdischen Kräften. Mit Worten kann er physische Dinge bewegen, eine ganze Welt bauen, ohne Kraftanstrengung. Verstehen Sie, was ich meine? Wenn da ein Haus stehen soll, steht da ein Haus, man muss nicht mühsam mit Händen und Maschinen das Gebäude hochziehen. Glauben Sie mir, so ein Hausbau, das ist ein Riesenschlauch. Als Architekt habe ich es noch am leichtesten. Während die anderen Steine schleppen und Fassaden anmalen, kann ich in Ruhe in meinem Sessel hocken und was essen.“

      „Das sieht man“, murmelt Stallmeister.

      „Was haben sie gesagt?“

      „Wie Superman“, habe ich gesagt.

      Trogbert guckt zunächst überrascht, dann spielt ein stolzes Lächeln um seinen Mund. „Ach so.“

      Es entsteht eine Pause, nach der der Architekt wieder das Wort ergreift: „Markstahler hat übrigens... “.

      Stallmeister steht auf. „Was dagegen, wenn ich mich zurückziehe?“ Er fordert Kerstin mit einem Blick auf, mitzukommen.

      „Wenn Sie jetzt wirklich schon müde sind... “, sagt Trogbert und nippt an seinem Bier.

      Kerstin hat seine Geste verstanden und verabschiedet sich ebenfalls mit knappen Worten von dem dicken, vollgefressenen Mann, der keine Anstalten macht, schon die Zelte abzubrechen. Er bestellt noch ein Bier und sieht sich nach anderen Gesprächspartnern um.

      „Endlich sind wir da los gekommen“, knurrt er in Kerstins Ohr, als sie sich bei ihm einhängt.

      „Warum?