Urs Rauscher

Das Multikat


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war meine engste Verwandte. Wenn ich hier einen Traum vom Traumzieher gezogen bekomme, dann einen mit ihrem Tod.“

      Stallmeister, der eigentlich nicht abergläubisch ist, wird ein wenig mulmig zumute. Er hofft, dass Nicola nicht in ihrem Traum von einem Mann mit einem Stein erschlagen wird, der aussieht wie er selbst. „Ach, du wirst sicher so träumen wie in der Schweiz. So wie du letzte Nacht geträumt hast.“

      „Das ist es ja grade. Gestern Nacht habe ich geträumt, ich wäre eine Hündin und würde in einem Schwimmbad mit Nadeln gequält.“

      „Wie bitte?“

      „Und am Morgen habe ich gewusst, dass im Hotelpool Tiere gefoltert wurden“, raunt sie.

      „Ist nicht wahr. Von wem denn?“

      „Ich glaube, es war der Architekt. Er hat eine Hündin mit Nadeln gestochen, weil sie ihn beim Sonnenbaden nassgespritzt hat.“

      „Ach. Das war doch nur ein Traum.“

      „Auf Hawaii ist ein Traum nicht einfach nur ein Traum.“ Sie zieht gierig an ihrer Pulle.

      „Und wenn wir das erlebt haben, vergeben uns die Tiere dann?“

      „Ja. Unsere Schuld ist abgegolten. Wenn wir danach um Vergebung bitten.“

      „Am nächsten Tag?“

      „In den nächsten Wochen. Wir müssen ein tägliches Ritual machen. Das Ho?oponopono.“

      „Popo... Was?“

      „Ho?oponopono.“

      „Und wenn wir das Pono Pono gemacht haben... “ Stallmeister überlegt. „Wird uns dann Vergebung zuteil?“

      „Wenn wir es richtig gemacht haben.“

      „Also wenig Chancen für den Architekten?“

      „Sehr wenig.“

      „Sehr gut.“

      Sie reden noch ein bisschen über Polynesien und Asien, dann ist sie total besoffen. Er musste sich nicht vor dem Likör drücken, weil sie ihm ständig die Flasche aus der Hand genommen hat. Nun ist sie so zu, dass der Zustand absoluter Müdigkeit mit dem absoluten Rausches zusammenfällt. Er legt sie auf ihrem Bett ab.

      Zurück im Hotelflur hört er eine Tür ins Schloss fallen. Er tritt an die Zimmertür von Trogbert und lauscht. Jemand im Inneren imitiert auf äußerst amateurhafte Weise ein Schnarchen.

      Nach dem Frühstück lässt sich Justin das Golfmobil zum Strand hinuntertragen und fährt dann unter den Anweisungen Stallmeisters den Strand entlang. Er hat sichtlich Spaß auf seiner neuen Rennstrecke.

      Der Surfkurs ist eine Enttäuschung. Sie kommen zu nicht sonderlich viel. Immerhin hat Stallmeister Gelegenheit, einmal auf dem Board ein Stück hinauszupaddeln. Kerstin traut sich nicht. Trogbert legt sich auf sein Brett ins seichtere Gewässer und prustet Salzwasser aus. Dann rudert er im Rückwärtsgang durch die Gegend. Er scheint sich blendend zu amüsieren. Antje bleibt an Land und studiert die Trockenübungen ein. Die Schweden sind nicht noch einmal gekommen, auch die Japaner bleiben dem Kurs fern. Der angebliche Assistent von Antje ist ebenso wenig zu sehen. Nach etwas mehr als einer Stunde brechen sie die Ausbildung für diesen Tag ab und laden Antje zum Abendessen in ihr Hotel ein.

      Den Rest des Tages verbringen Kerstin und Stallmeister am Pool. Trogbert weicht ihnen nicht von der Seite. Später taucht Nicola auf, gibt sich aber verkatert und wortkarg. Sie trägt eine Sonnenbrille und röstet ihren käsigen Körper in der Sonne. Trogbert hat das Surfbrett gegen eine Luftmatratze eingetauscht, ansonsten macht er dasselbe wie zuvor im Meer. An seinem Rücken sowie an Oberschenkeln und Oberarmen schmücken den beleibten Rentner blaue Flecken.

      Zum Abendessen kommt Antje und gesellt sich zu den drei Deutschen und der Schweizerin, die sich zum Zeichen der Trauer einen schwarzen Lidschatten gemalt und die Lippen dunkel geschminkt hat. Nach ein paar Drinks lösen sich Erstarrung und Befangenheit in alkoholseligem Geplauder auf. Antje sagt, dass ihr Partner später dazustoßen werde.

      Der Mann, der dann zum Nachtisch erscheint und sich mit dem Namen Robin vorstellt, sieht so gar nicht aus wie ein Surfer. Er ist nicht dick, aber er versteckt ein kleines Bäuchlein unter seinem T-Shirt und hat außerdem ziemlich dünne Oberarme. Sein holländischer Akzent ist im Englischen wesentlich ausgeprägter als im Deutschen. Er erzählt irgendetwas von Geschäften in Honolulu und Stallmeister will dieses Thema nicht weiter vertiefen.

      Als sie mit dem Abendessen fertig sind, kommt Jim in Begleitung einer sehr jungen blonden Kaukasierin. „Dos is moine Frau, Kimberley“, sagt er, während er sie vor sich stellt wie eine Schaufensterpuppe. Sie ist nicht älter als zwanzig, aber Stallmeister findet sie zumindest körperlich äußerst anziehend.

      Frau Sofarius sagt den ganzen Abend kaum etwas und sitzt nur da wie ein abgerichtetes Haustier. Sie hat ein schönes Gesicht, mehr aber auch nicht. Zwar ist sie die Tochter eines Niederländers, ist aber auf Hawaii aufgewachsen und spricht kein Wort Niederländisch. Zur geringen Überraschung Stallmeisters zeigen die beiden Landsleute ihres Vaters darüber keinerlei Bedauern. Auch auf Herrn Sofarius Senior kommen sie nicht zu sprechen. Ständig tuscheln und flüstern sie miteinander.

      Zu fortgeschrittener Stunde nimmt Jim Stallmeister zur Seite und will, dass dieser seine Frauenwahl lobt. Ob Frau Sofarius sie nicht eine geile Braut sei, heischt er um Bestätigung.

      Stallmeister ringt sich dieses Lob ab. Es ist die Wahrheit, aber er findet, dass Jim eine solche Zustimmung nicht verdient. Und er sagt Jim, dass er das Wort geil von nun an nicht mehr hören will.

      Ihr Vater, erklärt der Vietnamerikaner, stelle die Zahnräder für Panzer und andere Militärfahrzeuge her, und obwohl er nicht die amerikanische Staatsbürgerschaft habe, mache ihn das zum lupenreinen amerikanischen Patrioten. Nichts, so meint Jim, kennzeichne einen so als Vaterlandsliebenden wie die Unterstützung des Militärs. Eine Menge Amerikaner, die zwar Bürger dieses schönen Landes seien, aber für Waffen und Kriegsführung keinen Sinn hätten, könnten sich bei diesem rechtschaffenen Mann eine Scheibe abschneiden. Zum Beispiel die eingeborenen Hawaiianer.

      Jim erzählt ihm, ursprünglich habe er eine andere Frau heiraten wollen. Eine Einheimische, eine hübsche Polynesierin. Eine Woche vor der Hochzeit habe er sie dann nicht mehr sehen dürfen, ihre Verwandten hätten sie auf die Hochzeit nach traditioneller Zeremonie vorbereitet. Am vierten Tag sei er in das Haus seiner zukünftigen Schwiegereltern gekommen, in der Annahme, sie sei nicht da. Er habe sie doch getroffen. Sie sei gerade von einem polynesischen Tätowierer tätowiert worden, Zeichen für verheiratete Frauen. Leider habe sich das größte Zeichen in ihrem Gesicht befunden; auf der Stirn und am Kinn. Nach dieser Verunstaltung habe er die Hochzeit leider absagen müssen. Der Vater der Braut habe ihn entrüstet gefragt, ob er denn vorhabe, mit Frauen zu schlafen, die nicht im Gesicht tätowiert seien, und wie er so etwas Hässliches in seinem Bett dulden könne. Seit sie die Liebe seines Lebens entstellt hätten, habe er etwas gegen dieses Völkchen.

      Apropos Tattoos, sagt Stallmeister. Er wolle von Jim wissen, ob dieser eine Reitgerte von einem Kletterpickel unterscheiden könne.

      Natürlich.

      Und ein Steigeisen von einem Steigbügel?

      Selbstverständlich.

      Dann müsse er bald einmal auf Jims Hilfe zurückgreifen.

       Er könne sogar eine Burka von einem Tschador unterscheiden. Schließlich sei er in muslimischen Ländern aufgewachsen.

      Apropos Burka. Stallmeister fragt Jim, ob er etwas von den Burkapartys wisse.

      Jim gibt zu, dass er Kenntnis davon hat. Geschmacklos.

      Ob er schon mal bei einer gewesen sei?

      Nein, niemals. In Bordellen schon oft, aber noch nicht bei einer Swingerparty.

      Warum nicht dort? In Bordellen betrüge man seine Frau doch auch.

      Aber das Problem sei nicht das Betrügen.

      Sondern?