Urs Rauscher

Das Multikat


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auch. Vielleicht sollten die beiden ja heiraten.“

      „Sei nicht so gemein.“

      „Wieso nicht? Ich finde, die beiden passen super zusammen.“

      Kerstin schüttelt den Kopf. „Ich finde, er hat jemand besseren verdient. Schlimm genug, dass er in seinem Alter alleine ist.“

      „Folgerichtig, würde ich sagen.“

      „Du hast ihm auch nicht gesagt, dass du ein Buch schreibst. Du bist ein negativer Lügner, er ein positiver.“

      „Was soll das heißen?“

      „Die einen sagen zu viel, die anderen zu wenig.“

      „Dann bist du auch einer.“

      Kerstin blickt verdutzt, als sie auf der Terrasse stehen bleiben und kurz aufs Meer hinausschauen. „Warum?“

      „Du hast nicht gesagt, dass du Kohl kennst.“

      „Ach Kohl.“ Sie winkt müde ab. „Das ist doch ein alter Hut.“

      „Ja. Du hast Recht. Vergessen wir Kohl. Vergessen wir Markstahler.“ Er schaut hinauf in den Sternenhimmel.

      Kerstin betrachtet den Großen Wagen. „Lass uns ficken.“

      Der Satz bringt etwas bei Stallmeister in Wallung. Er geht jetzt schneller. „Ja“, sagt er fliegenden Schrittes.

      Nach dem benebelten Quickie sind sie schlafbereit. Sie rollen voneinander weg und wünschen sich süße Träume. Die Schwere des gaumenfeindlichen Biers legt sich auf seinen Schläfen- und Frontallappen. Bald schläft er ein.

      Mitten in der Nacht wacht er auf. Kerstin ist in der Traumwelt. Das Anbranden der Wellen wiegt sie in ihrem erholsamen Urlaubsschlaf. Er hat einmal gelesen, dass die Polynesier meinen, das Rauschen sei der Atem des Meeres. Apropos Atem. Er meint wahrzunehmen, dass das Geräusch der Gezeiten von einem anderen Ton unterlegt wird. Jemand atmet und es ist nicht Kerstin. Er durchquert den Raum. Jemand atmet durch das Schlüsselloch. Stallmeister geht in Sprungstellung. Mit ein, zwei Schritten sollte er bei der Türe sein. Er spannt die Glieder an, ist mucksmäuschenstill. Dann rennt er los, er springt. Die Dielen federn und geben ein dumpfes Knarren von sich. Er drückt die Klinke herunter, aber kriegt die Türe nicht auf. Sie ist von innen abgeschlossen. Hastig dreht er den Schlüssel im Schloss und reißt die Türe auf. Als er den Kopf hinaus in den Flur steckt, hört er etwas die Treppe hinunter poltern.

      Er geht zurück ins Zimmer, zieht sich Schuhe und Shorts an, und sieht nach, wer oder was da die Treppe hinuntergefallen ist. Wenn es ein Ding war, muss es noch dort liegen. Wenn es ein Mensch war, auch. Es sind mindestens 20 Stufen.

      Unten liegt nichts. In der Lobby ist niemand. Auch nicht im Speisesaal oder auf der Terrasse. Er steigt die Terrassentreppe hinunter in den Garten und läuft dort in Richtung Palmenhain. Auf halber Strecke hört er über sich Schritte auf den Holzbohlen der Terrasse. Dann schlägt eine Tür. Er geht ein paar Meter in Richtung Treppe zurück, sagt sich dann aber, dass es zu spät ist.

      Stallmeister stellt fest, dass er sich unweit von Nicolas Behausung befindet. Kerstin schläft. Es gibt keine Hundeleiche mehr zu entsorgen, und damit keinen Grund, das gestrige Angebot von Nicola auch heute auszuschlagen. Er schleicht zu ihrem Bungalow und sieht, dass drinnen noch Licht ist. Also betritt er die Veranda und klopft vorsichtig. Dann klopft er lauter. Er erkennt, wie die Vorhänge des Fensters zurückgezogen werden, hört Schritte und sieht schließlich die Tür aufgehen. „Was willst du hier?“ Nicola hat gerötete Augen und In-Ear-Kopfhörer auf. Sie pult sie sich aus den Ohren.

      „Ich habe nachgedacht.“

      „Worüber?“, fragt sie ungehalten. Likörgeruch schlägt ihm aus dem Bungalowinneren und dem Inneren ihres Mundes entgegen.

      „Dein Angebot von gestern.“

      „Welches Angebot?“

      „Dass du... dass wir beide... Du weißt schon“, stottert er.

      „Nein. Auf keinen Fall.“

      „Warum?“

      „Das war doch gestern. Heute ist mir nicht danach... “

      „Aber es hat sich doch seitdem nichts geändert“, gibt er flehend zu bedenken. „Dein Hund war doch gestern auch schon tot.“

      Ihr Gesicht verdüstert sich. „Woher willst du wissen, dass sie schon tot war?“

      Er rudert zurück: „Das weiß ich nicht, aber ich vermute es, ich... “

      „Woher willst du es also wissen?“ Sie kommt auf ihn zu. „Was weißt du darüber?“ Sie trommelt ihm wütend auf den Brustkorb. „Hast du was damit zu tun?“

      „Nein. Nein. Natürlich nicht. Es war ein Badeunfall, ein natürlicher Tod, wenn man so will.“

      „Janina hat nie gebadet! Nie! Sie ist ermordet worden.“ Sie weicht von ihm zurück, um ihn mit bösen Augen zu durchbohren.

      „Natürlich war es kein Badeunfall. Natürlich war es Mord.“

      Sie schluchzt. „Ja.“

      Er scharrt mit seiner Sohle auf dem Holz. „Wenn wir hier Trübsal blasen, kommt sie auch nicht mehr zurück.“

      Über diese Bemerkung denkt sie nach. „Stimmt. Aber mir ist trotzdem nicht danach. Komm, wir trinken was.“ Schnell ist sie im Bungalow und kommt mit einer Flasche Likör heraus.

      Stallmeister verzieht das Gesicht. „Keinen Likör, bitte.“

      „Das ist alles, was ich zum Trinken da habe. Du musst mit mir trinken. Schließlich ist meine engste Gefährtin gestorben.“

      „Okay“, gibt er nach. „Gläser?“

      „Ich hab keine Gläser. Wir müssen aus der Flasche trinken.“

      Sie setzen sich auf die Verandatreppe. Die Flasche ist halbleer.

      „Auf Janina!“, sagt er feierlich und hebt sie.

      Stallmeister muss den Inhalt fast ausspucken.

      „Und?“

      „Köstlich. Was ist das?“

      „Eierlikör. Ganz normaler Schweizer Eierlikör. Ich habe ein paar Flaschen davon mitgebracht.“

      „Aha.“ Er würgt das Zeug hinunter. „Und das trinkst du einfach so aus der Flasche?“ Mit verzogenem Mund sieht er sie an.

      „Ja“, sagt sie und bekommt einen Schluckauf.

      „Wie viel?“

      „Jeden Tag eine Flasche“, hickst sie.

      Er nimmt die Flasche wieder entgegen und nippt daran. „Nicht schlecht. Gutes Pensum.“

      „Ja“, sagt sie und reißt ihm die Flasche aus der Hand, um den Rest hinunterzustürzen. Stallmeister ist erleichtert.

      Rasch steht sie wieder auf zwei Beinen. „Ich hol noch eine Flasche.“

      Er hebt die Hände. „Wegen mir muss das nicht sein.“

      „Komm. Du musst mit mir trinken!“

      Bevor sie sich wieder neben ihn setzt und ihm die zweite Flasche reicht, nimmt sie noch einmal einen großen Schluck. „Ich kann nicht schlafen heute“, erklärt sie und stößt auf. „Ich werde schlechte Träume haben. Wegen dem Janinas Tod.“

      „Glaubst du wirklich?“

      „Ja. Ganz sicher. Auf dieser Insel werden die Träume für einen gezogen. Und zwar so, wie die Tiere die Welt erleben.“

      „Du meinst gewoben.“

      „Nein. Gezogen.“ Sie hickst wieder. „Der Traumzieher ist ein Gott in der polynesischen Mythologie. Er zieht die Träume wie Kerzenmacher Kerzen. Der Zweck der Träume ist es, zu erfahren, wie Tiere unsere Welt erleben. Wenn ein