Urs Rauscher

Das Multikat


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was sei der Unterschied?

      Beim Fremdgehen teile man einen Menschen mit einem anderen, umsonst.

      Und was sei daran so schlimm? Man werde doch selbst auch mit jemandem geteilt.

      Dass sei es ja gerade.

      Was?

      Das Teilen sei das Problem.

      Wieso?

      Teilen sei Kommunismus. Er könne seine Frau mit niemandem teilen. Das würde die Prinzipien der freien Marktwirtschaft verraten.

      Ob es etwas anderes wäre, wenn er seine Frau verkaufen würde, will Stallmeister wissen.

      In gewisser Weise sei dies etwas anderes.

      Ob er Jims Frau theoretisch kaufen könnte, hakt Stallmeister nach.

      Gut möglich.

      Und praktisch?

      Der Preis müsse stimmen.

      Wie hoch sei dieser denn?

      Der Preis sei Kerstin.

      Also doch Swingen?

      Ja, aber mit der Garantie, das niemand etwas gratis bekomme, dass der Wert für alle Geschäftsteilnehmer gemehrt werde.

      Stallmeister sagt, dass er sich das überlegen müsse.

      Ansonsten, mein Jim, könne er es bei der Schweizerin versuchen.

      Wie er darauf komme?

      Die sei äußerst promisk. Jeden Abend habe sie einen anderen.

      Wirklich?

      Jetzt vielleicht nicht mehr.

      Warum nicht mehr, fragt Stallmeister mit aufgestellten Ohren.

      Jim sagt, jeder im Hotel wisse, dass sie den Hund ausgehungert und dann nachts jaulen gelassen habe, um Männer anzulocken. Wie die Sirenen in der Odyssee.

      Stallmeister sagt nichts mehr.

      „Aber jetzt etwas Anderes“, meint Jim.

      „Was denn noch?“

      Ob Stallmeister mit ihm eine Line Koks ziehen wolle. Er habe geiles Kokain bei sich.

      Stallmeister lehnt ab.

      Dann bitte er zumindest um den ausgefüllten Fragebogen.

      Er sagt Jim, er könne sich den Fragebogen sonstwohin stecken.

      Statt um seine Nase in den Schnee zu stecken, geht er aus anderem Grund auf die Toilette. Dass Antje und ihr männlicher Kollege Robin zusammen auf den Örtlichkeiten verschwunden sind, macht ihn argwöhnisch. Drinnen muss er feststellen, dass sich beide in die Damentoilette zurückgezogen haben. Sie sprechen nicht holländisch miteinander, sondern ein Deutsch mit starker österreichischer Färbung. Er nennt sie Anja, sie ihn Robert. Es geht um die Surfschule und darum, dass deren Betreiber bald aus dem Urlaub zurückkommen würden.

      Am nächsten Tag weigert sich Stallmeister, den Kurs zu besuchen. Stattdessen lässt er sich am Pool ein Bier nach dem anderen bringen. Er lässt Antje von Justin ausrichten, dass sie gerne mit ihrem Freund abends kommen könne, ihn und Kerstin aber würden sie nicht mehr in der Surfschule zu Gesicht bekommen.

      Von da an artet der Urlaub ein wenig aus. Er schreibt keine Zeile an seinem Roman. Stattdessen krakelt er Seite um Seite im Buch seines Alkoholismus voll. Trogbert ist immer dabei. Antje und Robin sprechen mit noch stärkerem holländischem Akzent im Deutschen als zuvor, so dass Nicola diesen sporadisch auch annimmt.

      Immer wieder kehrt er nachts zu ihr zurück, aber nie will sie mit ihm schlafen. Sie wehrt seine Versuche ab und überredet ihn, mit ihr Likör zu süffeln. Er trinkt nun nicht nur tagsüber und abends, sondern auch die ganze Nacht. Den Schlaf holt er manchmal auf der Luftmatratze von Trogbert nach, wenn dieser zu einer größeren Sitzung entschwindet.

      Stallmeister findet im Aufenthaltsraum ein Buch im Hardcover, dessen Einband fehlt. Der Buchrücken hat so sehr gelitten, dass nur noch Fetzen die Seiten zusammenhalten. Auch die ersten Seiten sind herausgerissen, so dass er keinerlei Möglichkeit hat, den Titel zu erfahren. Dafür ist das Buch auf Deutsch verfasst. Der Inhalt ist ziemlich trivial, die Figuren überzeichnet und die Handlung konstruiert. Für Stallmeisters seit Tagen im Sinkflug befindlichen Geisteszustand ist es genau das Richtige. Kurz nachdem er es in seinen Besitz gebracht hat, ist er bereits auf Seite 60 angelangt, dann macht ihm der Cocktail einen Strich durch die Rechnung und lässt ihn zwei Stunden schlafen. Als er erwacht, bestellt er sich einen neuen Cocktail, mustert die Poolnachbarn, kriegt bei Betrachtung einer schwerst operierten Milf einen Steifen und fragt sich, wo Kerstin gerade hingegangen sein mag. Dann sagt er sich, dass er so etwas auch einmal hätte verfassen sollen, dann wäre er jetzt reich wie dieser Schundautor und könnte sich ein Hotel ohne Trogbert leisten, dafür mit kompetenten Surflehrern. Er wischt die Gedankenspiele zur Seite und widmet sich wieder dem Machwerk, das ihm beim Einnicken aus der Hand gefallen ist. Es ist zum Teil in eine Wasserlache zum Liegen gekommen und die obere Hälfte ist durchtränkt von Chlorwasser. Er macht Trogbert für sämtliche Spritzer und Tümpel rings um den Pool verantwortlich und blättert verärgert das ohnehin schon stark ramponierte Buch auf.

      Als ich aufwachte, bemerkte ich, dass es bereits dämmerte. Ich war mit dem Kugelschreiber in der Hand eingeschlummert, dieser war aus der erschlaffenden Hand gefallen und in eine Rille zwischen zwei Dielen gerollt. Im Ofen befand sich ein grauer Ascheschnee, von dem nur noch eine Ahnung von Wärme ausging. Ich selbst war furchtbar ausgekühlt, trotz des Vorhangs, in den ich mich auf dem Boden wie eine Leiche gewickelt hatte. Jetzt entrollte ich mich. Dann streckte ich meine steifen Glieder und schüttelte sie aus, um durch die Bewegung wenigstens geringfügig aufgewärmt zu werden.

      Der Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es ein wolkenloser Tag werden würde, nur dünne Dunstschlieren hingen über dem Berg. Also ging ich vor die Türe, um die ersten Sonnenstrahlen zu erhaschen, doch hier ging ein eisiger Wind, der mich den Rückzug antreten ließ. Ich sah mich nach etwas um, was ich im Ofen verbrennen könnte, hielt nach ein wenig Futter für ein Strohfeuer bis zum Erscheinen der Sonne Ausschau, aber da war nichts mehr. Abermals musste ich nach draußen und mir Holz beschaffen. Doch sowohl das Holz als auch Beil und Stumpf waren nicht mehr an ihrem Platz. Mich beschlich die dumpfe Ahnung, dass Janine sie mitgenommen hatte. Sie hatte sie verschwinden lassen.

      Allmählich machten sich Entzugserscheinungen bemerkbar. Der Alkoholgehalt meines Blutes ließ nach. Nach so vielen Wochen ausdauernden Trinkens war mein Organismus für die reibungslosen Fortsetzung seiner alltäglichen Vorgänge vom morgendlichen Schnaps abhängig. Zum ersten Mal machten sich Anzeichen eines Katers bemerkbar. Ich hatte Gliederschmerzen, die nicht von der Kälte kamen, und Kopfschmerzen, die keiner Erkältung entstammten. Ein flauer Magen meldete sich mit Aufstoßen, während eine Grundübelkeit mich ständig zum Würgen reizte. Auch literweise furchtbar kaltes Wasser aus dem Gebirgsbach und eine ausgiebige Entgiftung meiner Blase taten diesem Zustand keinen Abbruch. In meinem Koffer kramte ich nach Medikamenten, doch nach ergebnisloser Suche kam mir, dass man mir meinen Medikamentenkoffer am Flughafen abgenommen hatte.

      In diesem Zustand der Zermarterung beschloss ich, in der Hütte auf die Sonne zu warten, geschlungen in diesen dünnen Fetzen, den die Bhutaniker als geeignet für den Dienst an der Vorhangstange hielten. Allmählich entsann ich mich der Vorgänge vom Vorabend. Ich musste unaussprechbar betrunken gewesen sein. Nichtsdestotrotz hatte ich etwas geschrieben und ich meinte mich sogar daran erinnern zu können, dass ich dabei sehr zufrieden mit mir gewesen war. Heldenhaft ausdauernd hatte ich den Kugelschreiber geschwungen, bis ich vor Müdigkeit weggekippt war. Die Erinnerung weckte mein Interesse an dem Produkt meiner Selbstüberwindung. Ich hatte etwas zu Papier gebracht! Stolz erfüllte mich und ich stürzte voller Vorfreude zum Papierhaufen, der über den Schreibtisch verteilt war.

      Das erste Stück Text, das ich in Händen hielt, war nicht zu verstehen. Wörter reihten sich aneinander, die aus syntaktischen und logischen Gesichtspunkten nicht nebeneinander gehörten. Sämtliche Sätze, wenn sie denn welche sein sollten, ergaben keinen Sinn, dazu war die Schrift so ungelenk und krakelig, dass ich zunächst der Überzeugung war,