Urs Rauscher

Das Multikat


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ihn schwadronieren. Manchmal übertreibt er, zum Beispiel, wenn er den Golfplatz zu einem vollständigen Parcours erklärt oder das Schwimmbecken für Wettkämpfe geeignet bezeichnet. Oder das Restaurant mit seinen blumigen Worten zum besten macht, über das die Insel verfügt.

      Der Manager verabschiedet sich. Jim bittet die beiden hinaus auf die Terrasse. Es gehe um den Surfkurs. Schließlich beginne dieser am nächsten Tag in der Frühe. Bei einem Bier und zwei Cocktails besprechen sie die Details.

      „Oire Surfschule is direkt of dör onderen Soite von dör Bukt. Oin Hotel-Ongesteller würd euk dorthün brüngen. Ös gübt nok oine ondere Person ous eurem Hotel, die mitmakt. Okay?“

      „Okay“, sagt Kerstin mit Nachdruck.

      „Okay“, sagt Stallmeister schlapp.

      Jim sieht einem nach dem anderen fest in die Augen. Euer Kurs göht zwoi Woken. Ühr wördet oine Menge lörnen.“ Er lächelt. „Das würd goil. Vieloikt könnt ühr wörklik surfen, at the end of the day, ik moine, nak dön zwoi Woken.“

      „Hoffentlich“, sagt Stallmeister. „Wird es gut.“

      „Surfen is dos Autofahrn dör Hawaianer. Wönn ühr surfen könnt, soid ihr ein bisken Hawaiianer. Ik konn auk surfen, ober nikt so goil.“ Er grinst entschuldigend.

      „Hauptsache, du kannst Autofahren“, meint Stallmeister.

      „Ja, das kann ik wirklik“, sagt Jim im Brustton der Überzeugung. „Ik bin oin goiler Autofahrer.“

      „Dann.“ Kerstin lächelt zum ersten Mal ihr spöttisches Lächeln. „Bist du kein richtiger Hawaiianer, Jim.“

      „Oh noin! Ik bün oin Vietnam... Wie sogt mon? Vietnamiker?“

      „Vietnamese.“

      „Ja. Vietnamese. Holbvietnamese! Good morning, Hawaii!“ Er hebt sein Cocktailglas und die drei stoßen miteinander an.

      „Ouf oinen goilen Urlaub!“, meint Jim feierlich.

      „Jetzt aber bitte kein geil mehr, Jim“, meint Kerstin und gibt Stallmeister durch ihren Blick zu verstehen, dass sie sich mit ihm gegen den schmierigen Amerikaner verschwören will.

      Die Amerikaner schaffen es, dass das Bier zwar nicht nach Bier schmeckt, dafür aber um so stärker auf seinen Geist einwirkt. Sie schaffen es, dass man noch nicht mal den Alkohol schmeckt.

      „Tschuss. Büs morgen“, sagt Jim und ist so schnell weg wie er gekommen ist. Stallmeister bestellt sich ein weiteres Bier. Er muss sich erst einmal von diesem Auftritt erholen. Während die Sonne untergeht, lästern er und Kerstin über Jim.

      Mit dem Einbruch der Dunkelheit gehen sie hinein ins Restaurant. Die Fenster sind geöffnet und es geht ein lauwarmes Lüftchen. Aus den Boxen an der Decke kommt das Gitarrengedudel von John Jackson, dem Surfer, der behauptet, Musik zu machen. Draußen, hinter der Küstenlinie, verschluckt das schwarze Meer alles Licht; keine Yacht, kein Fischerboot ist mehr zu erkennen. Hotelbedienstete bewegen sich auf den Steinplatten im Gras. Fackeln leuchten ihnen den Weg. Der Pavillon ist jetzt der letzte Außenposten vor dem Nichts.

      Sie isst Fisch, er Hummer. Sie sind so mit Essen beschäftigt, dass sie kaum ein Wort wechseln. Während sie so dasitzen, ab und zu an ihren Getränken nippen und sich verliebt anschauen, bemerken sie nicht, dass sich jemand an ihren Nachbartisch gesetzt hat. Erst als die Person sich mehrfach räuspert, dreht sich Stallmeister um. Es ist der alte Sack, der berühmte Erfinder der Dreistigkeit. Sein Hawaiihemd hat jetzt eine andere Farbe. Er steckt in sehr kurzen Shorts und trägt Sandalen. Vorne auf seiner Halbglatze prangt eine Haarinsel. Stallmeister wägt ab, ob er das Gewicht des Mannes über den Fenstersims gewuchtet bekäme.

      Kerstin fragt ihn etwas, aber er will nicht antworten, weil er glaubt, dass sie der Mann versteht. Langsam baut sich in ihm eine Anspannung auf. Sie wird schlimmer, als er bemerkt, dass der Kerl kein Essen bestellt. Warum sitzt er dann nicht auf der Terrasse oder an der Bar? Sie wird noch schlimmer, als der Typ ihnen beiden zuprostet und Kerstin dies auch noch erwidert. Stallmeister würgt die letzten Stücke Hummer herunter, steht auf und meint: „So, ich brauche jetzt einen Wodka.“

      Kerstin sieht ihn ungläubig an.

      „Kommst du mit?“ Ungeduld schlägt ihr aus seinen Augen entgegen.

      „Ja.“ Sie erhebt sich, ohne ganz aufgegessen zu haben.

      An der Bar fühlt er sich wieder sicher. „Der Kerl gefällt mir nicht“, presst er nahe ihrem Ohr hervor.

      „Das habe ich gemerkt. Was ist mit ihm?“

      „Er ist alleine unterwegs.“

      „Und was hat das zu bedeuten?“

      „Leute, die alleine unterwegs sind, mischen sich in die Angelegenheiten anderer Leute ein.“ Er verschweigt seinen Verdacht bezüglich der Lauschattacke.

      „Er hat noch nicht mal mit uns geredet“, beschwichtigt sie.

      „Aber uns zugeprostet!“

      „Ja, und?“

      „Damit fängt es an.“

      Vielsagend hebt sie eine Augenbraue. „Da weiß jemand aus eigener Erfahrung Bescheid.“

      „Ich? Niemals!“

      „Du warst doch auch alleine unterwegs.“

      „Aber ich wollte auch alleine bleiben.“ Er spricht die Unwahrheit. Wo er konnte, hat er sich an andere Reisende gehängt.

      Sie hält ihm ihr Schnapsglas hin. „Prost.“

      „Prost.“

      Der Barmann sieht aus wie Harry Belafonte, der Sänger, der immer Bananen kaufen wollte. Nur ist er viel jünger. Kerstin unterhält sich mit ihm. Stallmeister macht das nichts aus, weil der zugegeben gutaussehende Mann zehn Jahre jünger ist als sie. Der Jüngling spielt mit seiner Rolle als Bartender. Er lässt Stallmeister zum Spaß einen Drink mixen. Das Ergebnis kommt in die Spüle.

      „Du“, flüstert ihm seine Freundin schließlich zu, schon merklich angetrunken. „Der Junge sieht aus wie Bruno Mars.“

      „Wer?“

      „Der Sänger. Der attraktive Musiker.“

      Er schüttelt schwerfällig den Kopf. „Der Sänger heißt Harry Belafonte.“

      „So ein Quatsch! Bruno Mars heißt der!“

      „Bruno Mars. So heißt doch kein Mensch!“

      „Aber Be-la-fon-te, ja?“

      Später gehen sie hinaus zum Pavillon und trinken noch zwei oder drei Drinks. Dann sind sie müde genug, um sich zurückzuziehen. Kerstin ist angesäuselt, anhänglich und sexlustig. Er ist müde, schlaff und traumsüchtig. Er schlägt ihre Bemühungen so lange zurück, bis sie dabei einschläft. Er deckt sie zu.

      Nackt liegt er auf seinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Nachtluft streicht über die wenigen Haare auf seiner Brust. In Schritt und Achseln ist er rasiert, und er nimmt sich vor, auch den letzten Rest an Körperbehaarung zu entfernen, bevor der Neoprenanzug sie ihm ausreißt. In dieser Nacht schläft Stallmeister auf dem Rücken; eine für ihn ungewöhnliche Position.

      Er träumt davon, nach Bhutan gereist zu sein, weil er dort ein Buch schreiben will. In Bhutan ist es kalt und unwirtlich. Seine Behausung im Gebirge ist schäbig und ungenügend beheizbar. Er möchte wieder nach Deutschland zurückfliegen, aber er hat sein Rückflugticket verloren. Als er mit einigem Aufwand ein neues besorgt, bemerkt er, dass sein Pass gestohlen wurde. Er lernt eine junge Dänin kennen, die als Entwicklungshelferin tätig ist und ihren Pass ebenfalls nicht mehr bei sich hat. Er verfügt über ein Telefon, aber die Nummer, unter der er Kerstin erreichen will, meldet keinen Anschluss. Auch seinen Verleger erreicht er nicht. Zusammen mit der Dänin kämpft er sich durch die Behörden des Gebirgstaates, aber es gibt keine Möglichkeit, einen neuen Pass zu erlangen. Der deutsche