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rel="nofollow" href="#u58038043-af49-5c2a-95cb-65d54fc68b21">Kapitel 55 - FRISCHE LUFT

       Kapitel 56 - MENDRICKS MEISTER

       Kapitel 57 - IM SCHUTZ DES SCHMETTERLINGSWALDES

       Kapitel 58 - DER KOMPASS ZEIGT NACH NORDEN

       Kapitel 59 - STURM

       Kapitel 60 - GEWISSHEIT

       Kapitel 61 - SPIEGELZWILLING

       Kapitel 62 - BLANKE NERVEN

       Kapitel 63 - DIE KALTE HEXE

       Kapitel 64 - BLUTDURST

       Kapitel 65 - DER ABGRUND

       Kapitel 66 - SONNE UND EIS

       Kapitel 67 - DIE TURMSPITZE

       Kapitel 68 - HELLER SCHATTEN

       Impressum neobooks

      Kapitel 1 - SPUREN IM SCHNEE

Spuren im Schnee

       PAULINE.

      Als ich Yuri das erste Mal sah, hielt ich es nicht für möglich, dass er wieder Frieden nach Sternland bringen könnte. Er lag auf dem mit Schnee und Eis bedeckten Waldboden, durchnässt, zitternd vor Kälte, mit zusammen gekniffenen Augen, hilflos wimmernd wie ein kleines Kind.

      Ich beugte mich zu ihm hinunter, strich ihm die klatschnassen, langen Haare aus dem Gesicht und entdeckte zugleich den tiefen, blutroten Kratzer, der quer über seine linke Wange ging. Die Verletzung sah so aus, als hätte sie ihm ein wildes Tier zugefügt. Yuri hob die Lider, als ich ihm unter die Arme greifen wollte, um ihn hochzuziehen, und ich blickte in die lieblichsten, türkisgrün schimmernden Augen, die ich je gesehen hatte. Yuri schien von meiner Wenigkeit wenig entzückt, denn er fing zu schreien an, als er zu sich kam und mich registrierte. Er versuchte, um sich zu schlagen, aber alle Kraft musste zuvor seinen Körper verlassen haben, denn er konnte sich kaum bewegen. Ich versuchte vergebens ihn zu beschwichtigen und auf ihn einzureden. Er schrie weiter, bis ihm schließlich die Stimme versagte und er in meinen Armen zusammensackte. "Ich tu dir doch nichts", sagte ich leise zu ihm, "ich will doch nur helfen..." Der Schneeregen peitschte weiterhin auf uns hinab. Yuri hatte seine leicht mandelförmigen Augen immer noch weit aufgerissen und sie starrten Angst erfüllt in die meinen. Sein Körper bebte; seine bronzefarbene Haut war eiskalt. "Ruhig, ganz ruhig", besänftigte ich ihn, "ich will dir doch nichts Böses... du bist verletzt..." Jetzt veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er ließ sich, ohne sich noch einmal zu weigern, von mir hochziehen und ich stützte ihn bis in die nahe gelegene Höhle, wo er keuchend auf die Knie sank und wie ein Häufchen Elend liegen blieb.

      Ich machte Feuer, desinfizierte die Wunde auf seiner Wange mit der Arznei, die ich in einem kleinen Fläschchen bei mir getragen hatte, und wartete dann, bis mein guter Freund Mendrick, talentierter Jungzauberer, zurückkam. Yuri war eingeschlafen. Mendrick wirkte trotz seiner hageren Figur neben dem erschöpften Jungen wie ein starker, gesunder Recke. "Wo hast du ihn gefunden?", fragte er und wärmte seine knochigen Hände am Feuer. "Nicht weit von hier, nahe des Goldgreifnestes. Er wirkt total verstört." - "Natürlich", antwortete Mendrick, "ich wäre auch verstört, hätte ich zehn Jahre in Gefangenschaft verbracht." - "Was haben sie nur mit ihm angerichtet?", murmelte ich und spähte zu Yuri hinüber. Er schlief unruhig. "Es ist vermutlich besser, dass wir das nicht wissen", erwiderte Mendrick, "wichtig ist, wir haben ihn endlich gefunden. Lass uns hoffen, dass uns die Truppen der Schneekönigin nicht auf den Fersen sind." Er blies die Backen auf. "Dieser widerlichen Hexe wird das Lachen schon noch im Halse stecken bleiben, das verspreche ich dir, Pauline." - "Versprich lieber nicht zu viel", meinte ich. Dann schreckte Yuri aus seinem Schlaf hoch. Mendrick und ich gingen zu ihm hinüber. Ich kniete mich zu ihm. Yuri rührte sich nicht. Er funkelte uns misstrauisch an, gab aber keinen Ton von sich. Der Kratzer auf seiner Wange glänzte leicht im Licht der Flammen, das sich in seinem nassen Gesicht spiegelte. Wenigstens hatte er zu bluten aufgehört. "Mein Name ist Mendrick", sagte Mendrick sanft, "einziger Sohn des Balthaszar, Meisterzauberer aus Abeytu, der Grünen Stadt. Ich bin ebenfalls Zauberer, allerdings noch lange nicht so gut wie mein Vater. Wie ist dein Name?" Stille. Yuri machte keinerlei Anstalten, zu antworten. "Er hat guten Grund, skeptisch zu sein", meinte ich, "immerhin waren es Zauberer, die ihn von seiner Familie getrennt und der Schneekönigin ausgeliefert haben." - "Das ist Pauline", sagte Mendrick und deutete auf mich. "Mein Großvater war Medizinmann in unserem Dorf", fügte ich hinzu, "sein Name war Nathaniel der Weiße, hast du von ihm gehört?" Yuri schwieg abermals. "Du willst also nicht mit uns reden", bemerkte Mendrick dumpf und stützte sein Kinn in die Hand, "dabei stehen wir in diesem Krieg doch einzig und allein auf deiner Seite." Yuri senkte den Kopf und starrte ins lodernde Feuer. "Krieg", sagte er dann. Mir wurde es warm ums Herz beim Klang seiner schwachen, rauen Stimme. "Ja", sagte Mendrick traurig, "es ist Krieg. Die Schneekönigin hat unseren ehemaligen König, den guten Gaidemar, vom Thron gestürzt und unser einst idyllisches Land in ein düsteres Reich aus Eis und Frost verwandelt. Zum Glück gibt es noch genügend Anhänger Gaidemars, die sich der Kalten Hexe nicht beugen wollen und weiter gegen sie kämpfen werden. Dazu gehören auch wir." Yuri räusperte sich. Dann verriet er uns schließlich seinen Namen, pausierte kurz, und fragte dann: "Wie lange ist denn schon Krieg?" Ich tauschte mit Mendrick die Blicke aus. Mendrick seufzte tief. "Seit ungefähr achtzehn Jahren." Yuri vergrub das Gesicht in den verdreckten, blutverschmierten Händen. "Achtzehn Jahre..." Er wippte langsam vor und zurück. "Nein... nein... meine Familie... ich… wie lange...?" Seine Atmung wurde flacher, seine Augen begannen zu tränen. Ich legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter, doch er zuckte zusammen und wich zurück. Entmutigt ließ ich meine Hand wieder sinken. "Ist dir die Prophezeiung ein Begriff, Yuri?", fragte Mendrick behutsam. "Die Prophezeiung?", wiederholte Yuri langsam. Mendrick ließ sich im Schneidersitz nieder, holte tief Luft und begann zu erzählen:

      "Zwei Jahre nachdem die Kalte Hexe unseren ehemaligen König Gaidemar entthronte und Sternland ins Unheil stürzte, ereilte den Schamanen Nagi Tanka in den Tiefen der Lequoiawälder eine Vision, die er als Prophezeiung der Götter für den Verlauf der Zukunft deutete. Unter Einfluss spiritueller Mächte trommelte er die Waldbewohner zusammen und verkündete ihnen, dass in der kommenden Nacht ein Junge geboren werden würde, der von den Göttern die Aufgabe auferlegt bekommen hätte, eines Tages die Schneekönigin zu stürzen und Sternland zu befreien. Dieser Junge soll im Zeichen des Wolfes zu einem starken Krieger heranwachsen, der mit der magischen Fähigkeit der Transformation gesegnet sein wird." -

      "Ein Transformationskünstler, auch Morph genannt, ist ein Mensch, der sich in ein Tier, meist in den Schutzpatron seines Volkes, verwandeln kann", warf ich ein. "Ganz genau", stimmte Mendrick zu und fuhr fort, "in diesem Fall in einen Wolf, das heilige Tier der Wolfskriegerstämme in Lequoia. Nagi Tanka sprach also dem Knaben in seiner Vision diese seltenen Kräfte zu und betonte, dass jener Krieger die Schatten vertreiben und Sternland wieder ins Licht führen wird." - "Weil Nagi Tanka als der weiseste und berühmteste Seher des Landes