Selena Mayfire

Yuri


Скачать книгу

Mitschwestern wurden alle getötet." - "Das tut mir Leid", sagte ich. "Wieso?", fragte die Meliade namens Gwendolin. "Es ist ja nicht deine Schuld." Sie lächelte mild und entblößte eine Reihe strahlend weißer, perfekter Zähne. "Also, Zauberer Mendrick, wonach hast du denn so verbissen gesucht, bevor ich aufgetaucht bin?" - "Ich brauche Rosmarin für einen Dorfbewohner", sagte ich, "es geht ihm nicht gut. Er benötigt einige Kräuter, die ihm zur Beruhigung verhelfen können." - "Ich glaube, ich weiß, wer dir Rosmarin geben kann", freute sich die Meliade, "ihr Name ist Pau und sie ist eine gute, einfache Kräuterhexe. Sie lebt in einer unterirdischen Erdhöhlenwohnung, die sie selbst erschaffen hat. Dort findet sie niemand der feindlichen Truppen. Sie wirkt ein wenig ruppig, aber sie ist in Ordnung. Ich kann dich zu ihr bringen." Ich verzog die Mundwinkel. "Ich bin nicht sicher, ob sich deine Kräuterhexe über meinen Besuch freuen wird... oder ob ich mich darüber freuen werde. Ich bin nicht sonderlich begeistert von Hexen." - "Ach!", lachte Gwendolin nur und deutete mir, ihr zu folgen.

      Kräuterhexe Paus unterirdische Höhlenwohnung glich einem riesigen Dachsbau und man gelangte über eine banale Strickleiter hinunter, die unter Schnee und Moos verborgen war. Magische Wandfackeln spendeten Licht, sowie unzählige Teelichter, deren Kirschduft den modrigen Geruch des feuchten Holzes überdeckten. Aus Reisig und Holz waren an den Höhlenwänden Regale gebaut; ein simpler Schlafsack aus Riesenwildschafwolle diente als Schlafplatz. "Madame Pau", rief Gwendolin ins dunkle Ende der Erdhöhle hin, "teure Freundin, hier ist Gwendolin! Ich habe dir einen Gast mitgebracht." - "Bei Tante Walpurgas stinkenden Socken!", ertönte Madame Paus mürrische Stimme aus dem Hintergrund, "Gwendolin, ich habe dir doch gesagt, du sollst keine Fremden herbringen! Das könnte uns eines Tages teuer zu stehen kommen!" Sie hatte einen amüsanten Akzent: Den Buchstaben R bildete sie so scharf, dass er sich wie eine Klapperschlange anhörte, die wie ein Pfeil aus ihrem Mund geschossen kam. Sie trat aus dem Schatten hervor und zeigte ihr Angesicht. Die alte Hexe war sehr klein, mollig und ihr Buckel thronte wie ein kleiner Baumstumpf zwischen ihren Schultern. Sie trug eine mantelähnliche Toga aus Büffelfell und schäbige, löchrige Pantoffel. Ihre Augen waren klein und dunkel, glichen denen eines Maulwurfs. "Wer ist das?", fragte sie Gwendolin und deutete mit ihrem dicken Zeigefinger auf mich. Bevor ich etwas sagen konnte, antwortete die Meliade: "Das ist Mendrick, ein Zauberer. Er braucht ein bisschen Rosmarin." - "Zauberer!", schnarrte Pau empört und funkelte mich griesgrämig an. "Raus aus meiner Höhle! Verschwinde!" - "Er kommt nicht in böser Absicht", beschwichtigte Gwendolin sie, "er wohnt drüben im Fischerdorf. Er braucht Heilkraut für einen Freund." Pau kniff die kleinen Augen noch enger zusammen. "Fischerdorf, ja? Woher wissen wir, dass er die Wahrheit spricht?" Sie drehte sich ruckartig um und holte ein kleines Fläschchen mit roter Flüssigkeit aus einem der Regale heraus. "Bevor ich mir anhöre, was er zu sagen hat, muss er ein Wahrheitsserum trinken." Ich musste verächtlich lachen. "Was ist daran komisch?", fuhr mich die Hexe an. "Ich glaube nicht an so etwas", erwiderte ich. "Zauberer", fauchte Pau abwertend und drückte mir das geöffnete Fläschchen, kaum größer als mein Daumen, in die Hand, "wenn du nicht daran glaubst, hast du sicher auch kein Problem damit, es zu trinken." Gwendolin nickte mir zu und ich leerte nach kurzem Innehalten das Gesöff in meinen Rachen. Madame Pau blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Na?", fragte sie und grinste breit. "Spürst du etwas?" Die folgenden Worte kamen wie automatisch aus meinem Mund: "Ich habe das Gefühl, ich kriege Blähungen. Und ich schwitze wie eine Wildsau, die am Spieß gebraten wird. Aber wieso sag ich das eigentlich?" Madame Pau rieb sich zufrieden die Hände. "Es funktioniert! Nun, Zauberer, bist du uns also tatsächlich gut gesinnt?" - "Normalerweise würde ich sagen Nein, weil du eine fette, hässliche, alte Hexe bist und ich fette, hässliche, alte Hexen nicht leiden kann, aber in diesem Falle sage ich Ja, weil Yuri den Rosmarin braucht… jetzt, wo ich gerade so zu Gwendolin rüberschaue, fällt mir auf, wie hübsch sie ist… und meine Blähungen kommen wieder." Mein Gesicht wurde heiß. Ich biss mir selbst auf die Zunge, um zu reden aufzuhören. Pau kullerte mit den Augen. "Gut, das genügt." Sie reichte mir ein weiteres Fläschchen, diesmal eine blaue Flüssigkeit. "Das Gegenmittel", erklärte sie, "von deinen Blähungen will ich nichts mehr hören." Gwendolin kicherte. Ich trank und spürte, wie ich zu schwitzen aufhörte und meine Wangen wieder kühl wurden. "Also", fuhr Pau fort, entnahm mir die Fläschchen und wühlte dann in ihren Utensilien herum, "Rosmarin brauchst du, ja? Was hat er denn, dieser Yuri?" - "Alpträume und so etwas wie Panikattacken", erklärte ich, "er ist allgemein sehr beunruhigt." - "Gut, dann müsste das reichen." Sie gab mir einen Bund Rosmarin. "So, Zauberer, das ist alles, was die fette, hässliche, alte Hexe entbehren kann." - "Danke, Madame Pau", sagte ich kleinlaut. Sie blickte mich erwartungsvoll an. "Was ist denn?", fragte ich und legte den Kopf schief. "Na, wo bleibt deine Gegenleistung?" - "Oh", sagte ich und warf Gwendolin einen viel sagenden Blick zu, "Gegenleistung… davon wusste ich nichts. Ich hab blöderweise auch gar nichts bei mir." - "Zauberer", zischte Pau. Sie stützte die Hände in die Seiten und meinte dann: "Wenn ich mich hier so umsehe, finde ich, dass das alles wieder mal ordentlich von jemandem aufgeräumt und geputzt werden könnte." Ich zog die Nase kraus. "Was, von mir?" - "Na, was denkst du, Bürschchen? Willst du den Rosmarin oder nicht?" - "Ja doch", knurrte ich. "Gut", antwortete Pau, "dann komm gleich heute Abend zum Aufräumen." - "Ihr seid eine Hexe", sagte ich zu ihr, "könnt Ihr die Unordnung nicht einfach weghexen?" Pau warf den Kopf in den Nacken und lachte. "Ich bin eine Kräuterhexe, Bürschchen. Ich mixe Kräutergemische und braue Zaubertränke, aber ich fuchtele nicht mit einem albernen Holzstäbchen in der Gegend herum wie ihr einfältigen Zauberer!" - "Schon gut", murrte ich. "Dann komm gleich heute Abend. Sagen wir, gefühlte zwei Stunden nachdem der Mond aufgegangen ist, ja?" - "Meinetwegen." - "Gut. Dann bis heute Abend." - "Wiedersehen, Madame Pau."

      Draußen angekommen sagte ich zu Gwendolin: "Die erwartet doch nicht im Ernst, dass ich heute Abend zu ihr komme, oder?" Gwendolin sah mich entrüstet an. "Natürlich tut sie das! Es ist deine Gegenleistung!" - "Meine Güte", antwortete ich, "was will sie denn machen, wenn ich nicht komme? Mich anspucken?" - "Sie könnte dich vielleicht verfluchen." Ich gluckste amüsiert. "Daran glaube ich nicht." - "Etwa genauso wenig, wie du an die Wirkung des Wahrheitsserums geglaubt hast?", fragte Gwendolin spitz. Ich biss mir auf die Unterlippe und schwieg. "Danke übrigens für dein Kompliment vorhin", fuhr Gwendolin belustigt fort. "Welches Kompliment?" - "Dass du mich hübsch findest." - "Ach, das... ja, ja." - "Ich finde dich auch nicht übel", erwiderte die Meliade, "für ein Menschenwesen siehst du eigentlich sogar ganz ansehnlich aus." - "Na, vielen Dank", brummte ich und steckte den Rosmarin zu meinem Zauberstab in die Tasche. "Hör zu, Gwendolin, ich muss jetzt zurück ins Dorf. Danke für deine spontane Hilfe." - "Aber gern! Auf Wiedersehen, Zauberer!" - "Lebwohl." Und ich ließ die Meliade im Wald zurück.

      Kapitel 3 - UNERWARTETER BESUCH

       PAULINE.

      Endlich kam Mendrick in die Hütte geschneit. Ich fiel ihm um den Hals. "Mendrick! Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Wo warst du so lange?" - "Ich wurde aufgehalten", sagte er, zog seinen Mantel aus und überreichte mir zehn Zweige Rosmarin. "Großartig!", sagte ich froh und stopfte die Zweige zu den anderen Kräutern in das kleine Kissen, das ich in Zwischenzeit mit Kimama genäht hatte. "Wo hast du so viel Rosmarin gefunden?", bemerkte Kimama. Yuri ließ sich mit prüfendem Blick auf das Kräuterkissen nieder und schaute an die Decke. "Ich hab ihn nicht gefunden", meinte Mendrick, "ich bekam ihn geschenkt." - "Geschenkt? Von wem?" - "Einer Kräuterhexe namens Madame Pau. Sie haust in einer Erdhöhle nahe der großen Waldlichtung. Eine Meliade hat mich zu ihr gebracht." Ich horchte auf. "Welche Sachen du erlebst, wenn du nach draußen gehst", sagte Kimama beeindruckt. "Eine Meliade?", wiederholte ich. "Die sind selten hier im nördlichen Schmetterlingswald." - "Ich weiß", antwortete Mendrick, "sie floh aus dem Westen des Waldes, weil Truppen der Schneekönigin die Baumhäuser ihres Stammes zerstört haben." - "Wie grausam", seufzte Kimama. "Was ist eine Meliade?", fragte Yuri. "Meliaden sind Waldnymphen", erklärte meine Großmutter, "sie sind gute Waldgeister und mit den Seelen der Pflanzen und Bäume verbunden." Yuri gab sich mit dieser Antwort zufrieden, nickte und drehte sich zur Seite. "Denkst du, dass du ein bisschen schlafen kannst?", fragte ich ihn. "Ich bin sehr müde", erwiderte er, "aber ich habe Angst vor meinen Träumen." - "Hab keine Angst", beruhigte ich ihn, "das Kräuterkissen wird helfen. Mein Großvater Nathaniel war ein sehr guter Medizinmann." Kimama lächelte. Es dauerte