Ulrike Minge

Obscuritas


Скачать книгу

der nun seine Skepsis nicht mehr verdeckte.

      „Nein, Meister der Squirel!“, versuchte Hubertus das Anliegen zu erklären, „Es geht nicht um ihre faszinierenden Leuchtkäfer, sondern vielmehr um die Aufgabe, um die sich jeder Squirel kümmert: die Libellen.

      Es ist so: nach langen Forschungen haben unsere Gelehrten herausgefunden, dass der Beginn unserer Reise Schattenheim sein sollte, wo wir hoffen einen Anhaltspunkt zu finden.“

      Als dies der Squirelmeister hörte, zog er seine Stirn runzelnd zusammen, doch Hubertus fuhr unberührt fort: „Der Weg in die Unterwelt ist jedoch verständlicherweise durch einige Hindernisse erschwert, denn nur jener, der einen bestimmten Gegenstand mitbringt, dem wird die Erlaubnis erteilt, an Bord des Bootes zu kommen, das die Passagiere zum Tor der Unterwelt bringt. Dieser Gegenstand ist eine Erinnerungslibelle, eine ganz bestimmte, um genauer zu sein: eine Todeserinnerungslibelle“, endete Hubertus und atmete gespannt ein.

      Darauf versteinerte die Miene des Squirelmeisters, man sah ihm förmlich an, wie seine Gedanken kreisten, bis er sich zu Squid drehte, sich zu ihm herunterbeugte, ihm etwas in das Ohr flüsterte und kehrt wendend im Innern des Hauses verschwand, ohne ein weiteres Wort an sie zu wenden.

      Squid kümmerte sich diesen Tag um die Besucher und bestand darauf, sie für eine Nacht bei sich einzuquartieren, da erst in einigen Stunden der Besuch der Felder möglich sei. Er führte sie durch die Stadt und erzählte hier und da vom Treiben und den Aufgaben, denen die Squirels den lieben langen Tag nachgingen.

      Die Zeit, die sie in Squirelton verbrachten, kam Margret endlos vor, bis Squid nebenbei in einem Satz erwähnte, dass die Tage siebenundvierzig Leuchtwürmchen lang waren. Hubertus erklärte ihr daraufhin, dass die Squirels die Zeit in Leuchtwürmchenleben zählten. Siebenundvierzig Leuchtwürmchenleben entsprachen rund dreißig Zeitstunden auf der Erde. Das bedeutete nicht, dass ein Leuchtwürmchen nur eins Komma fünf sechs sechs sechs sechs sechs sechs sechs sieben Stunden lebte, sondern dass in dieser Zeit gleichmäßig eins starb, aber gleichzeitig ein Neues geboren wurde.

      Die Nacht dauerte hingegen nur sechzehn Leuchtwürmchenleben, wobei da aber der Lebenszyklus länger dauerte, da ihre Leuchtkraft eingespart wird. Also war eine Nacht nur achtundzwanzig Stunden lang. Bei den Squirels gibt es professionelle Zeitmesser, Wissenschaftler, die die ganze Zeit damit beschäftigt sind, die Population der Leuchtwürmchen zu kontrollieren, um die genaue Zeit berechnen zu können.

      „Das ist eine komplizierte Wissenschaft und manchmal hängen sie der realen Zeit etwas hinterher, weil die Berechnung der aktuellen Zeit zu lange gedauert hatte“ Hubertus, der Margret eindeutig ansah, wie ihre Gedanken versuchten Squids Erklärungen zu folgen, musste sich ein Schmunzeln verkneifen.

      Dieser Lebenszyklus wurde nicht von den Bewohnern bestimmt, erzählte ihnen Squid, sondern vom Eintreffen der Erinnerungslibellenschwärme, die den Beginn des Tages symbolisieren.

      Nachdem Margret und Hubertus von Squid in das kleine heimelige Haus eingeladen wurden, verbrachten sie dort einige Stunden bei Leuchtwürmchenlicht.

      In der Zeit, in der sie dort verweilten, lernten Margret und Hubertus viel über das Leben der Squirels, denn Squid war in äußerster Erzähllaune. Sie erfuhren, wie das Leben mit den Leuchtwürmchen funktionierte. Außerdem erklärte Squid, dass fast jeder, der in Squirelton lebte, einen Namen mit dem Silbenbeginn „SQU“ trug. Wie zum Beispiel auch Squid, ansonsten hießen sie Squir, Squod, Squar, Squarella oder Squinda. Bis irgendwann keine Namen mehr den Bewohnern eingefallen waren und nun die neuen Generationen sogar schon Zahlen hinter dem eigentlichen Namen tragen mussten.

      „Das ist wirklich manchmal sehr kompliziert, herauszufinden, ob man nun mit Squod dem Dritten oder Squod dem Fünften spricht. Noch dazu, sind sie einem tagelang böse, wenn man sie falsch anspricht. Das ist wirklich zum Libellen flöten.“ Um seine Worte zu unterstreichen, haute er mit der geballten Faust auf den Tisch.

      „Aber ich hab mir irgendwann eine geheime Taktik überlegt, um diesem Problem soweit wie möglich, aus dem Weg zu gehen.

      Ich habe festgestellt, wenn ich die Squirelfrauen mit ‚bunterschöne Dame‘ und die Squirelmänner mit ‚anmutiger Squirel‘ anspreche, komme ich über den ersten Stolperstein hinweg. Handelt es sich um ein längeres Gespräch, so erwähnen sie von selbst ihre Verwandtschaftsverhältnisse und dann muss ich nur noch eins und eins zusammenzählen und ich weiß, wer mein Gegenüber ist“, philosophierte Squid weiter seine Lebensweisheiten, stolz über seine ausgeklügelte Taktik.

      Es folgten Erklärungen von Erschütterungen, die diese Höhle einst verwüstet hatten und vieles, vieles mehr.

      „Wie kann es sein, dass Ihr so unbeschwert und offen über euer Leben berichtet? Ihr kennt uns doch eigentlich nicht!“, sprach Margret daraufhin ihren Gedanken, der sie schon seit ihrer Ankunft beschäftigte, aus.

      „Ihr sollt nicht glauben, dass wir euch nicht kennen. Es ist so, Erinnerungslibellen geben auch unter bestimmten Umständen ihre Erinnerungen insoweit frei, dass wir sie uns anschauen können. Durch Anwendung einer geheimen Hypnosetaktik entlocken wir ihnen ihre Geheimnisse und lernen somit einiges, was so auf der Erde vor sich geht. Es gibt ein Libellenhaus, in dem Squirels arbeiten und als Geschichtsschreiber tätig sind. Wir haben lange vor eurer Ankunft erfahren, dass Sie, Margret, ein Mitglied der Königswesenfamilie Choclair bist und Sie, Hubertus, ein angesehener Smaragdkäferlinger sind. Ihr werdet es nicht glauben, aber die eine oder andere Erinnerung von euch schwebt jetzt über die Felder. Hier bei uns sind alle gleich“, erläuterte Squid und grinste dabei schief.

      Als die Zeit dann fortgeschritten war, geleitete Squid Margret in einen kleinen Raum, unterhalb des Hauses, in dem erstaunlicherweise ein für Margrets Größe passendes Bett stand. Margret schossen so viele Fragen durch den Kopf.

      „Ich habe es nach dem Besuch bei dem Squirelmeister in Auftrag gegeben, nachdem klar war, dass ihr zumindest eine Nacht hier verbringen werdet“ erzählte Squid mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. „Ich werde dich in einigen Stunden wecken kommen, um euch das Wunder der Felder von Squirilion zu zeigen“, schwärmte er, während er bereits den Rückzug antrat und mit seinen kurzen Beinen die Treppe hinaufkrabbelte.

      Kapitel 12

      DAS WUNDER VON SQUIRILION

      Als Margret die Augen wieder aufschlug, stand Squid bereits mit einem großen vollgestellten Tablett vor ihr, wünschte einen guten Appetit, mahnte kurz zur Eile und wackelte aus dem Zimmer.

      Nachdem sie aus dem Bett geschlüpft war, sich kurz streckte, jenes, was auf dem Teller lag, griff und sich in den Mund schob, huschte sie nach oben, wo sie auf die beiden bereits wartenden Begleiter traf. Sie hatte so gut in diesem Bett geschlafen, wie in dem des Smaragdschlosses. Aber das, worauf sie biss, fühlte sich in der Konsistenz seltsam auf ihrer Zunge an. Sie hätte es lieber genauer in Augenschein nehmen sollen, bevor sie es aß. Es fühlte sich wie unzählige Saugnäpfe an.

      Es musste noch früher Morgen gewesen sein, denn nur wenige Leuchtwürmchen schwirrten in luftiger Höhe durch die Gegend und verbreiteten ein dämmeriges Licht.

      Alle drei machten sich bei dem schummrigen Leuchten auf den Weg. Dieser führte sie weit hinaus aus der Stadt, erst durch verwinkelte Gassen, bis sie zu einem Torbogen kamen, der wohl zu einer Stadtmauer gehörte und auf dem in für Margret nicht entzifferbaren Zeichen etwas geschrieben stand.

      Hätte Squid sie nicht durch dieses Wirrwarr an Straßen geführt, so hätten sich die beiden wahrscheinlich gnadenlos verlaufen. Margret versuchte sich immer noch die Gegend einzuprägen, durch die sie gingen, bis sie auf einem ausgetretenen Feldweg landeten, dem sie wiederum einige Zeit lang folgten. Die Welt hier unten sah für Margrets Augen so befremdlich aus.

      Während der ganzen Zeit erzählte Squid unablässig von seiner und der Geschichte der Squirels, bis sie an ein riesiges bewachsenes Feld gelangten. Geschlossene Blütenknospen hielten ihre Köpfe nach unten, als wären sie tief in ihren eigenen Träumen versunken und die großen tellerartigen Blätter schlugen sich um den Leib der Blumen, als würden sie diese einhüllen, um sie vor Kälte zu schützen. Nur wenige Leuchtwürmchen schwebten