Ulrike Minge

Obscuritas


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im Gegenteil, Magnus und Archimederius mussten sich schon seit jeher gut kennen, jedoch ohne dass Magnus jemals den Respekt, den der Lehrmeister verdiente, außer Acht ließ. „Er ist wie mein eigener Sohn, den ich nie hatte“, erklärte Archimederius kurz in Gedanken versunken, während er Magnus die Schulter tätschelte und seine Augen noch so viel mehr erzählten. Doch schnell kehrte der Wissenschaftler in ihm zurück und wandte sich an den letzten in der Runde.

      „Auch schön dich wiederzusehen, Hubertus! Du warst immer ein furchtbarer Schüler und dein Glück war es, zusammen mit Magnus unterrichtet worden zu sein“, fügte Archimederius an Hubertus mit einem Zwinkern hinzu. „Doch dies ist nun nicht von Belang“, sagte Archimederius und schaute die beiden noch einmal mit einem wissenden Lächeln an: „Wie ich euch bereits erklärt habe, sind die geschichtlichen Quellen nicht sehr ergiebig. Ich habe in all den Jahren, in denen wir nun um die Gefahr der Dunkelheit wissen, so gut wie alle Dokumente durchgelesen, manche mehrfach, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis. Vielleicht auch nur eine Andeutung, die uns eine Möglichkeit geben würde, wie wir die Sonne wieder in ihr Himmelsreich zurückbringen können. Das Einzige, was wir aus diesen, zum Teil vorzeitlichen Überlieferungen und Texten entnehmen können, ist, dass es ein bis zu diesem Zeitpunkt noch nie dagewesenes Unglück größten Ausmaßes ist. Es wird, falls dieses Thema überhaupt Erwähnung findet, immer nur von der Apokalypse geschrieben. Wobei in der einen Überlieferung diese Katastrophe epischer und zerstörerischer geschildert wird, als in einer anderen Niederschrift.

      Doch nirgends findet sich irgendein Hinweis auf die Möglichkeit, die alten Zustände wiederherzustellen. In der Schrift des Larius, die vor tausenden Jahren verfasst wurde, lange bevor die Königskriege die Erdoberfläche erschüttern ließen, wird die Apokalypse durch das Untergehen der Sonne verkündet. Dies ist unser einziger Anhaltspunkt.

      Und nur in dieser Überlieferung steht etwas von dem ältesten caesarischen Geschlecht, das auch jetzt mit dem Geschehen verbunden sein wird. Ich kenne diese Pergamente wie kein anderer, aber erst als ich sie jetzt erneut durchlas, fiel mir ein Vermerk ins Auge. Ich glaubte immer, dass es sich dabei um einen Pergamentfleck handelte, doch bei näherer Betrachtung unter meinem Tamalinoptosskop, stellte ich fest, dass es nicht nur ein einfacher Fleck war. Es ist ein Symbol. Über die Jahre ist es stark verblasst und durch die Pergamentalterung verzerrt worden. Es ist ein Teil des Wappens der Choclair-Linie.“

      Bei diesen Worten weiteten sich Margrets Augen.

      Sie wusste zwar, dass die Familie, aus der ihr Vater Arthur entstammte, alt und ehrwürdig war, doch dass sie in der ältesten Überlieferung zu finden ist und sie als Letzte in diesem Stammbaum steht, vermochte ihr ein Ausmaß des Ganzen ankündigen.

      „Ja Margret, genau dies ist der Grund, weswegen dein Mitwirken möglicherweise unablässig sowohl für unser Vorhaben, als auch für unser Ziel sein wird“, antwortete Magnus Margret, die sich zum allerletzten Mal schwor, nicht nochmals durch ihre Mimik entlarvt zu werden. Die Smaragdkäferlinger hatten die Gabe, in ihr wie in einem offenen Buch lesen zu können und ihr so alle Geheimnisse zu entlocken.

      „So liebste Margret, nachdem sich hoffentlich bei dir das erste Erstaunen gelegt hat, ist es nun an mir, dir den zweiten Teil meiner Erkenntnisse mitzuteilen“, fuhr Archimederius in einem verschwörerischen Tonfall fort, als würde nun etwas seine Seele belasten.

      „Es geht um den Ort, der genannt wird, um mit dieser Reise zu beginnen. Magnus und Hubertus, ich hoffe, ihr habt es Margret schon erzählt! Es handelt sich um die Unterwelt oder den wie nach seinen Bewohnern benannten Ort: Schattenheim.

      Jenen Ort, den die Schattenwesen ihr zu Hause nennen.

      Den Ort, den irgendwann jeder von euch Menschen und Caesariern einmal besuchen wird. Doch im Zusammenhang mit unserem Weg dort hinunter ergeben sich einige Probleme. Ein Wissenschaftler, der es sich damals zur Aufgabe gemacht hatte, die Unterwelt zu erforschen, schrieb eine derartige Abenteuerreise auf ein Pergament, demnach der Weg Orte und unüberwindbaren Hindernisse der unsrigen und der alten Welt enthält. Ich habe für dich ein paar Dinge zusammen getragen, die dafür sehr hilfreich sein könnten. Zuallererst eine Kutte aus schwarzem Stoff, die euch sowohl auf dem Weg dorthin, als auch an dem Ort von größtem Nutzen sein wird.

      Und dann Margret für dich diese Tasche, die ich für dich noch mit Dingen füllen werde, die ebenso über Leben und Tod oder über Erfolg und Misserfolg entscheiden können“, erzählte Archimederius derart versunken in die Vorbereitungen.

      „Moment!“, stieß Margret wahrscheinlich zu schnell und zu laut heraus, als dass sie die Etikette gegenüber Archimederius gewahrt hätte.

      „Was soll das bedeuten: eine Kutte für mich?“

      „Ihr habt es ihr noch nicht erzählt?“, fragte Archimederius an Hubertus und Prinz Magnus gewandt. „Ihr habt ihr erklärt, dass die Reise in den Hades gehen wird, aber ihr habt ihr nicht erzählt, dass sie in gewisser Weise alleine reisen muss?

      Margret, es ist so, dem Prinzen Hartolius sind bei diesem Problem die Hände gebunden. Zum einen ist es ist ihm nicht gestattet, das Smaragdschloss zu verlassen. Zum anderen ist es allen Wesen, die nicht menschlichen oder caesarischen Geblüts sind, verboten das Reich der Unterwelt zu betreten. Doch sei unbesorgt, Hubertus wird mit dir reisen, zwar nicht so, wie du es dir offenbar vorgestellt hast, aber er wird dich im Schutze deiner Kapuze begleiten“, vollendete Archimederius seine Erklärung.

      Auf diesen Schock sank Margret auf einem nächstgelegenen massiven handgeschnitzten Stuhl nieder, der zwar keine Rückenlehne besaß, aber gleichermaßen gut gepolstert war wie jene aus dem Konferenzsaal.

      Kaum dass Margret Platz genommen hatte, begann sich wie in Trance eine neue Gedankenspirale zu drehen, in denen die Worte: Unterwelt, Kutte, Alleine, immer wieder in die Tiefe rauschten. Sie hatte für einen kurzen Augenblick völlig vergessen, wo sie eigentlich war, die Aufregung Archimederius kennen zu lernen hatte sie vergessen lassen. Erst als sie mit einem Fühler von Hubertus angestupst wurde, wachte sie auf, wie aus einem Traum.

      In diesem Moment regte sich ein Gefühl tief unten in ihrem Bauch, unbeschreiblich für diesen Moment, sodass sie von dem alten Stuhl festen Gesichtsausdruckes aufsprang, gegen ein Gerät stieß und es zu Boden fiel, die Hände zu Fäusten geballt und sich aus weiter Ferne sagen hörte: „Was genau muss ich tun?“

      „Nicht so stürmisch, Margret!“, versuchte Hubertus zu beruhigen.

      „Es ist richtig, unsere Reise, zur Rettung der Erde, wird wahrscheinlich in der Unterwelt beginnen. Jedoch ist ein Umweg von Nöten, den wir einschlagen müssen, um an diesen Ort zu gelangen. Niemand spaziert zum Ufer des Flusses, der zur Unterwelt führt. Niemand wird aus Höflichkeit vom Fuhrmann des Bootes gebeten an Bord zu steigen, um eine Überfahrt zu machen. Jeder, der dieses Reich betreten will, muss einen Tribut zollen und einen besonderen Gegenstand mitnehmen, um dem Fuhrmann sein Ableben gewissermaßen zu beweisen. Denn Aussehen und mitgegebener Reichtum allein sind dort nichtig.

      Lange mussten wir nach der Antwort auf die Frage suchen, welchen besonderen Gegenstand der Bittsteller mitbringen muss, um den Fuß in den Kahn setzen zu dürfen. Glaub mir, es war nicht einfach, schließlich ist ein Betreten der Unterwelt sowohl für Tiere als auch für Lebende strengstens verboten.

      Denn nur an diesem Ort findet die Seele Ruhe.

      Der Gegenstand, um den es sich handelt, ist, wie wir herausfanden, kein lebloses Objekt, wie wir es anfänglich gedacht hatten. Es handelt sich vielmehr um ein Lebewesen, so wie die Smaragkäferlinger es sind, das zum Tragen einer Erinnerung auserkoren wurde. Es sind Libellen, die auf den Feldern von Squirilion leben, wobei eine jede von ihnen eine Erinnerung in sich trägt. Es sind Erinnerungslibellen.

      Alles, was wir bis jetzt wissen, ist, dass wir zu den Feldern von Squirilion und deren Beschützern, den Squirels, reisen müssen, um eine solche Libelle zu bekommen.“

      Kapitel 10

      VOR DER REISE

      Margret verbrachte noch einige Stunden bei dem Gelehrten, der sein kleines Reich ebenso schätzte, wie sie ihres unterm Dach.

      Bei