Ulrike Minge

Obscuritas


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zwang sich zur Ruhe und die rasende Angst legte sich und Wut breitete sich heiß in ihrer Brust aus. Jegliche Entscheidungen wurden ihr von einer anderen Macht abgenommen.

      Sie versuchte sich zu orientieren, schaute sich nach Anhaltspunkten um, an die sie sich wie an einen Strohhalm hätte klammern können. Aber sie sah nichts, nichts außer der dichten Dunkelheit. Sie war an Dunkelheit gewöhnt, aber diese fühlte sich anders an, wie ein Lebewesen, das atmete und jeden Quadratmillimeter ausfüllte. Ein seltsames Pulsieren ging von diesem Geschöpf aus und verschluckte nahezu jeden einsamen Lichtstrahl den die Kerze entsendete.

      Margret machte einen Schritt vor den anderen, stolperte beinahe wegen einer Spalte im Grund. Bald stellte sie fest, dass sie nur in eine Richtung gehen konnte. Die Zeit war schon lange für sie stehen geblieben, also konnte sie auch nicht sagen, wie lange sie schon durch die Dunkelheit wanderte.

      Dann geschah das, was sie am meisten fürchtete: der Gang teilte sich. Die Entscheidung lag bei ihr, sie war auf sich selbst gestellt. Rechts ein Durchgang, ebenso wie links. Beide vollkommen identisch.

      Das einzige, was ihr in diesem Moment einfiel, war die Kerze zu heben und sie in jeden von den beiden Gängen zu halten. Ein Windzug würde die Kerzenflamme zum Flackern bringen.

      Doch was hätte sie davon?

      Sie wusste weder, wo sie war, noch wo sie hin sollte, ein Flackern würde ihr nicht helfen.

      Sie konnte sich nur blind entscheiden.

      Margret wusste nicht warum, aber ihr Gefühl ließ sie in den rechten Gang hineingehen, der erneut in einem größeren Raum endete, an dessen Ende der dunkle See lag, den Hubertus erwähnt hatte. Margret erkannte ihn an der Reflektion, die von seiner Oberfläche ausging.

      Keine Wellen brachen sich am Ufer, das aus Geröll bestand.

      Totenstill lag die Oberfläche vor ihr.

      Sie sah im Dämmerlicht die eingesunkenen Steine, glatt an der Oberseite, sodass ein Überqueren des Gewässers für Margret kein Problem zu sein schien. Doch viel Zeit blieb ihr nicht mehr, die Kerze war beinahe nur noch ein Stummel. Margret betrat den Steinstrand, sodass ein Knirschen unter ihren Füßen geboren wurde.

      Vorsichtig ging sie in Richtung des Wassers. Da stand sie nun direkt vor dem See, ein Gedanke huschte ihr durch den Kopf und sie bückte sich, hob einen der Steine auf, der glatt und leicht in ihrer Hand lag. Wog ihn nochmals kurz ab und schmiss ihn in Ufernähe hinein. Was Margret sah, wollte nicht zu ihren Erinnerungen passen. Der Stein platschte nicht hinein, sodass kleine Tropfen hochspritzten, sich hohe Wellenberge und Täler bildeten, um sich so weit wie möglich auszubreiten. Sondern sie vernahm nur ein schmatzendes Geräusch, als der Stein die Oberfläche berührte, eintauchte und eine Wölbung an der Stelle hinterließ.

      Dick, wie schwarzes Blut.

      Doch Margret hatte keine andere Wahl, sie musste über diesen See. Sie nahm allen Mut zusammen, ging noch ein Stück weiter an den See heran, sodass sie mit einem weiten Schritt den rechten Fuß auf den ersten Stein setzte. Als sie jedoch ihr Gewicht darauf verlagerte, begann der Fels zu schwanken und in die Flüssigkeit einzusinken.

      Ihrer Kehle entrann ein dumpfer Laut, sie zog ihren Fuß zurück und der Stein stieg wieder auf. Flache, träge Wellen breiteten sich aus und Unruhe durchzog den See.

      Es ging weder vor noch zurück. Sie ging am Ufer entlang in der Hoffnung den See zu umrunden, doch an den Rändern zog sich das Felsgestein empor.

      Sie konnte nur geradeaus über die Steine.

      Also versuchte sie es erneut, den Fuß auf den ersten Stein zu setzen, um zu sehen, wie viel er einsinken würde.

      Zu ihrer Verblüffung tauchte er nur einige Zentimeter ein, sodass er kurz über der Oberfläche verharrte. Sie balancierte mit beiden Füßen auf dem Stein, um von dort den nächsten zu erreichen, der sich weiter links von ihr befand.

      Auch dieser gab unter ihrem Gewicht nach und versank bis auf einige Zentimeter in dem dunklen See, woraufhin sich der andere, den sie gerade verlassen hatte, ruckartig vom Untergrund löste und ein unangenehm schmatzendes Geräusch von sich gab.

      Soweit es Margret erkennen konnte, lagen noch rund zehn von diesen Hürden vor ihr, bis sie am anderen Ufer ankommen würde.

      Jetzt sah sie in einiger Entfernung ein zartes Glimmen in der Dunkelheit und als sie näher kam, erkannte sie die beiden Umrisse der leuchtenden Perlen des Herrn von Marbius. Er hatte auf einem Felsvorsprung Platz genommen, der seitlich der schwarzen Wand in den Raum ragte.

      Hubertus schaute Margret erleichtert an. „Lösch bitte die Kerze“, forderte Hubertus sie auf.

      Margret schaute Hubertus daraufhin irritiert an, tat jedoch wie ihr geheißen, sodass ihr der Geruch von aufsteigendem Rauch in die Nase stieg.

      „Bist du bereit?“, hörte Margret den Käferlinger in der Dunkelheit. Margret deutete ein Nicken an, wobei ihr einfiel, dass Hubertus sie in dem schwachen Licht der Leuchtkugeln nicht sehen konnte.

      Sie sagte voller Anspannung: „Ja.“

      Da wurden plötzlich aus den zwei glühenden grünen Leuchtkugeln an den Antennen von Hubertus zwei strahlende Perlen. Sie wechselten die Farbe in ein grelles Gelb und hüllten die Umgebung in gleißendes Licht, sodass ihre Körper schemenhaften Schatten warfen. In der glatten Oberfläche, umgeben von grob behauenem Gestein, waren zwei Handabdrücke gedrückt.

      „Setz bitte deine Hände in die Vertiefung“, wies Hubertus sie an.

      Margret spreizte ihre Finger auseinander, sodass sie ihre Hände genau in den Abdrücken versenken konnte. Sie versuchte sich innerlich darauf vorzubereiten, was sie wohl empfinden würde. Dachte an das erste Tor und an die starre Kälte. Aber sie schreckte zurück, als ihre Haut die Oberfläche berührte, denn das Gestein war nicht kalt. Es war heiß, wie Feuer und brannte sich Schicht für Schicht tiefer in ihre Haut. Margret wollte reflexartig ihre Hände wegziehen, aber sie waren verschmolzen mit dem Gestein.

      „Sprecht mir bitte nun nach!“, forderte Hubertus, Margret bejahte mit einem Kopfnicken, während ihr die sengende Hitze in den Kopf stieg, ihre Sinne benebelte und Tränen in die Augen trieb. Von Hubertus ging nun ein behändes tiefes Brummen aus und er erzählte, wie in Trance:

      Bringt uns fort, von diesem Ort.

      So reisen wir ohne Gestalt

      nutzen uns ergebene Naturgewalt.

      Zum Schloss des Prinzen, schnell und geschwind,

      auf leisen Schwingen, in den Armen des Winds.

      Margret presste zwischen wallenden Schmerzen die Worte hervor. Unter ihren Handflächen glühte es feuerrot. Eine brennende Flüssigkeit schwemmte durch ihren Körper. Sie schlug den Kopf in den Nacken und auf einmal wurde es wieder schwarz um sie herum, so als wäre Hubertus‘ Licht schlagartig erloschen. Keinen Atemzug später breitete es sich von der Mitte ihres Herzens in den gesamten Körper aus. Margret stand erleuchtet in einer gleißenden Aura. Ihre Beine wurden taub, jegliches Gefühl wich aus ihrem ganzen Körper. Dann spürte sie nichts mehr und sank herab.

      Kapitel 7

      EIN TRAUM

      Margret dämmerte in einen grauen Nebel dahin, nicht in der Lage die Lider aufzuschlagen, um zu sehen, wo sie sich befand. Doch ihre Gedanken kreisten und drehten sich wieder und wieder auf rasanten Bahnen. In ihrem Magen stieg Übelkeit auf.

      Es war viel zu kalt.

      Margret glitt auf der Zeit.

      Sie schwebte auf den Wolken zu den Plätzen und Orten, die sie zu gerne in den Gemälden besucht hätte.

      Ihr Blick schärfte sich und sie sah, dass sie schwebte. Nein, sie flog mit weiten Schwingen.

      Schlug kräftig, glitt auf einem Luftpolster in den blauen Himmel, um gleich darauf in einen Sturzflug überzugehen und auf den von Grün übersäten Boden hinabzustürzen. Es war die Erfüllung