und kehrte ins Haus zurück, um von Jane zu erfahren, dass sie nicht nach ihr gerufen habe. Misstrauisch geworden, eilten beide auf die Straße zurück und sahen nur noch, wie der Diener den kleinen Jack in das Taxi reichte und dann selbst hineinsprang. Der Wagen fuhr an und war Sekunden später verschwunden.
Mehr wusste Lady Greystoke nicht zu berichten, aber sie begriff sofort, als Tarzan ihr von der Flucht Nikolas Rokoffs erzählte. Während beide noch überlegten, welche Schritte sie nun unternehmen sollten, läutete das Telefon. Tarzan nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Lord Greystoke?«, fragte eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung.
»Ja.«
»Ihr Sohn wurde entführt«, fuhr die Stimme fort. »Ich allein bin in der Lage, ihn wieder zurückzubringen, weil ich das Komplott kenne, das geschmiedet wurde. Genauer genommen, habe ich sogar eine ausschlaggebende Rolle dabei gespielt. Jetzt versucht man, mich um das Geld zu bringen, das man mir vorher versprach. Ich bin also bereit, Ihnen zu helfen, wenn Sie mir versprechen, keine Anzeige gegen mich zu erstatten. Was sagen Sie dazu?«
»Wenn Sie mich zu meinem Sohn führen, brauchen Sie nichts zu fürchten«, erwiderte Tarzan.
»Gut«, erwiderte der andere. »Sie müssen aber allein zu unserm Treffen kommen. Es ist genug, dass ich auf Ihr Wort vertraue. Ich kann nicht das Risiko eingehen, von anderen erkannt zu werden.«
»Wo und wann treffen wir uns?«, fragte Tarzan.
Der andere nannte ein kleines, hauptsächlich von Seeleuten besuchtes Lokal am Hafen.
»Kommen Sie heute Abend gegen zehn Uhr dorthin«, sagte er abschließend. »Es hat keinen Sinn, früher dort zu sein. Ihr Sohn ist inzwischen in Sicherheit, und ich führe Sie dann zu seinem Versteck. Ich warne Sie noch einmal davor, nicht allein zu kommen und die Polizei zu benachrichtigen. Ich beobachte Sie und bin über jeden Ihrer Schritte im Bilde. Sehe ich, dass Sie picht allein gekommen sind, so gebe ich mich nicht zu erkennen, und die letzte Chance, Ihren Sohn wiederzubekommen, ist dahin.«
Ohne eine Erwiderung abzuwarten, legte der Mann auf.
Tarzan wiederholte seiner Frau den Vorschlag des unbekannten Anrufers. Sie bat, ihn begleiten zu dürfen, aber er lehnte ab, weil es gegen die Vereinbarung gewesen wäre. Zwei Stunden später trennten sie sich - Tarzan, um sich auf den Weg nach Dover zu machen, Jane, tun ins Haus zurückzukehren und sich ihren düsteren Ahnungen zu überlassen. Je länger sie über den geheimnisvollen Anruf nachdachte, umso mehr kam sie zu der Ansicht, dass eine Falle dahinter steckte. Ihr Herz begann dumpf zu hämmern. Sie sah nach der Uhr. Es war zu spät, den Zug nach Dover, mit dem Tarzan fuhr, noch zu erreichen. Aber es fuhr noch ein anderer Zug, der sie zeitig genug zu dem Treffpunkt bringen würde, den der Fremde mit Tarzan vereinbart hatte. Sie rief ihr Mädchen und den Chauffeur und gab ihre Anweisungen. Zehn Minuten später trug der Wagen sie in rasender Fahrt zum Bahnhof.
Es war dreiviertel zehn, als Tarzan die schmutzige Hafenkneipe in Dover betrat. Lärmende Stimmen dröhnten, Rauch hing wie ein Nebelmeer unter der niedrigen, vom Alter geschwärzten Decke. Eine vermummte Gestalt drängte sich an ihm vorüber und flüsterte ihm zu: »Kommen Sie mit, mein Lord.«
Tarzan wandte sich um und folgte dem anderen auf die nur dürftig erhellte Gasse. Der Fremde ging mit zielsicheren Schritten in die Dunkelheit voran, einem Kai zu, auf dem sich Kisten und Ballen stapelten. Hier blieb er stehen.
»Wo ist der Junge?«, fragte Greystoke.
»Auf dem kleinen Dampfer, dessen Lichter sie dort drüben sehen«, erwiderte der andere.
Vergebens suchte Tarzan in der Dunkelheit die Gesichtszüge des Fremden zu erkennen. Hätte er geahnt, dass es Alexis Paulvitsch war, der seinen dunklen Bart geopfert hatte, so hätte er größere Vorsicht walten lassen.
»Er ist im Augenblick unbewacht«, fuhr der Russe fort. »Die Entführer glauben sich sicher vor Entdeckung. Es befinden sich nur zwei Besatzungsmitglieder an Bord, die sich über den von mir gespendeten Gin hergemacht haben dürften. Wir können also unbemerkt auf das Schiff gelangen, das Kind an uns nehmen und wieder verschwinden.«
»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Tarzan ungeduldig.
Der Fremde brachte ihn zu einem kleinen Boot, das am Kai lag. Die beiden Männer sprangen hinein, und Paulvitschs Ruderschläge trugen sie schnell näher an die Kincaid. Eine Strickleiter hing über die Bordwand des Schiffes herab, und die beiden Männer stiegen schnell an Deck. Der Russe deutete auf einen Niedergang.
»Der Kleine ist dort drin versteckt«, flüsterte er. »Es ist besser, Sie holen ihn. In den Armen eines Fremden könnte er zu schreien beginnen. Ich bleibe hier oben als Posten zurück.«
Tarzans Sehnsucht nach seinem Kind war so groß, dass er den sonderbaren Umständen kaum Beachtung schenkte. Es entging ihm, dass das Schiff unter Dampf lag, obwohl sich niemand an Deck aufhielt. Er beeilte sich, der Aufforderung des Unbekannten zu folgen, und betrat den Niedergang. Kaum war er vier Stufen hinabgestiegen, als die schwere Tür hinter ihm zufiel. Sofort wusste er, dass er in eine Falle gelaufen war. Weit davon entfernt, seinen kleinen Sohn zu retten, musste er nun auch noch um sein eigenes Leben fürchten. Er wandte sich um und versuchte die Tür, die hinter ihm zugefallen war, zu öffnen, aber sie widerstand allen seinen Anstrengungen. Er riss ein Zündholz an und musterte seine Umgebung. Er sah einen kleinen Raum, der ihm offensichtlich als Zelle dienen sollte. Die Tür am Ende der Treppe bildete den einzigen Zugang. Außer ihm befand sich niemand in dem Raum, der kein Mobiliar aufwies. Wenn sich das Kind an Bord der Kincaid befand, war es an einer anderen Stelle untergebracht.
Über zwanzig Jahre lang hatte Tarzan den Dschungel ohne menschliche Gesellschaft durchstreift und in dieser Zeit gelernt, die Dinge zu nehmen, wie sie kamen. Auch jetzt begann er weder zu toben, noch sein Schicksal zu verwünschen, sondern harrte gelassen der Dinge, die da kommen würden.
Plötzlich durchlief ein Beben den Schiffsrumpf, und er hörte das Geräusch der Schrauben. Das Schiff hatte Fahrt auf genommen! Wohin, welchem Schicksal trug es ihn entgegen? Während er noch nach der Antwort suchte, vernahm er über den Maschinengeräuschen einen andern Laut, der sein Herz für Sekunden zum Stocken brachte.
Klar und schrill ertönte vom Deck der Schrei einer Frau in Todesangst.
Zweites Kapitel: Gestrandet
Kurz nachdem Tarzan und sein unbekannter Führer im Schatten des Kais verschwunden waren, eilte eine tief verschleierte weibliche Gestalt durch die schmale Gasse und betrat das Lokal, das die beiden Männer Sekunden zuvor verlassen hatten.
Sie blieb im Eingang stehen und sah sich um, dann bahnte sie sich einen Weg zwischen den lärmenden und trinkenden Matrosen und fragte das Mädchen, das an der Bar bediente: »Haben Sie einen großen, gut gekleideten Mann gesehen, der mit einem anderen Gast das Lokal verließ?«
Das Mädchen bejahte die Frage, konnte aber die Richtung nicht angeben, in die sich die beiden entfernt hatten. Ein Matrose, der die Unterhaltung mitangehört hatte, wandte sich an die Frau und erklärte, die beiden gesehen zu haben.
»Zeigen Sie mir die Richtung, in die sie gingen«, sagte die Frau und drückte dem Mann eine Münze in die Hand.
Er führte sie aus dem Lokal und schritt schnell mit ihr auf den Kai zu. Sekunden später sahen sie das kleine Boot, das sich draußen dem Dampfer näherte.
»Dort sind sie«, sagte der Mann und deutete aufs Wasser hinaus.
»Zehn Pfund, wenn Sie ein Boot finden und mich zu dem Dampfer rudern!«, rief die Frau erregt.
»Dann schnell«, erwiderte der Matrose. »Wir müssen uns beeilen, wenn wir die Kincaid erreichen wollen, bevor sie abfährt. Sie hat schon seit drei Stunden Dampf aufgemacht und offensichtlich nur noch auf diesen einen Passagier gewartet. Ich habe noch vor einer halben Stunde mit einem der Besatzungsmitglieder gesprochen.«
Schnell gingen sie zum Ende des Kais, wo ein kleines Boot vertäut lag. Der Matrose half der Frau hinein, dann schwang er sich selbst hinab und legte sich in die Riemen. Als sie an der