Und Jane! Welche Schrecken, welche Drangsalierungen musste sie erdulden, wenn er verschwunden blieb und ihr keine Nachricht zukommen lassen konnte. Er fühlte, dass seine Lage ungleich leichter zu ertragen war als die ihre, denn wenigstens wusste er, dass die Frau, die er liebte, sicher in ihrem Hause war.
Es war nur gut, dass Tarzan die Wahrheit nicht ahnte, sie hätte ihn um den Verstand gebracht. Als er sich vorsichtig durch den Dschungel bewegte, hörte er ein Geräusch, das er nicht zu deuten wusste. Behutsam ging er in die Richtung, aus der die sonderbaren Laute kamen, und entdeckte einen Panther, der von einem umgestürzten Baumriesen begraben worden war. Als er sich näherte/versuchte das Tier, sich zu befreien. Tarzan beobachtete es aufmerksam. Aus der Tatsache, dass die Bestie alle Glieder bewegte, konnte er schließen, dass weder das Rückgrat verletzt, noch ein Glied gebrochen war. Zwei Meter vor der hilflosen Kreatur stehend, legte Tarzan einen Pfeil auf den Bogen. Er war entschlossen, das Tier, das dem Hungertode preisgegeben war, durch einen wohlgezielten Schuss von seiner Qual zu befreien. Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Warum nicht dem Panther das Leben wiedergeben?
Er schob den Pfeil wieder in den Köcher und trat näher an das Tier heran, wobei er einen leisen, schnurrenden Laut ausstieß. Das Brüllen des Tieres verstummte, die gelben Lichter wandten sich Tarzan zu.
Tarzan pachte den mächtigen Baumstamm mit beiden Händen. Langsam, Zoll für Zoll, hob er ihn an, bis der Panther darunter hervorschlüpfen konnte. Tarzan ließ den Stamm wieder zu Boden fallen und wandte den Kopf. Ein grimmiges Lächeln lag auf seinem Gesicht, denn er wusste wohl, dass er vielleicht ein Narr gewesen war, die mächtige Bestie zu befreien. Jede Sekunde erwartete er den Sprung Sheetas, der ihm den Tod bringen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Der Panther rührte sich nicht von der Stelle, beobachtete nur den Mann, der sich aus dem Gewirr von Ästen zu befreien suchte.
Tarzan hätte sich auf die Bäume retten können, denn kein Panther vermochte so hoch zu klettern wie er. Aber er tat es nicht. Er wollte feststellen, ob es auch bei wilden Tieren so etwas wie ein Gefühl der Dankbarkeit gab. So ging er langsam auf die Bestie zu, und der Panther wich seitlich aus, so dass Tarzan Vorbeigehen konnte. Es kostete Tarzan die ganze Überwindung, weiterzugehen und das Raubtier in seinem Rücken zu wissen. Erst nach einer halben Minute drehte er sich um. Sheeta folgte ihm tatsächlich wie ein Hund seinem Herrn. Tat er es aus Anhänglichkeit, oder um eine leichte Beute vor sich zu haben, wenn sein Magen sich melden würde?
Stunden vergingen, immer klarer wurde es, dass Tarzan in Sheeta einen Freund gewonnen hatte. Spät am Nachmittag hörte Tarzan einen Rehbock sich nähern und stieg auf den Baum, um das Tier von dort aus mit seiner Schlinge zu erlegen. Sein Vorhaben gelang. Mit leisem, schnurrendem Laut rief er den Panther herbei, und beide sättigten sich an der von Tarzan erlegten Beute.
Mehrere Tage lang durchstreifte das sonderbare Paar den Dschungel. Wenn einer Beute machte, rief er den anderen herbei. Auf diese Weise kamen sie oft zu guten und ausreichenden Mahlzeiten, die sie noch fester aneinanderbanden.
Bei einer Gelegenheit, als sie sich einen eben erlegten Eber schmecken ließen, schlich Numa, der Löwe, durch das hohe Gras näher. Mit ärgerlichem, warnendem Brüllen sprang er zu, um die beiden von ihrer Beute zu trennen. Tarzan schwang sich in das Geäst eines nahen Baumes. Er löste das Seil von seiner Schulter und ließ die Schlinge über Numas mächtigen Schädel gleiten. Ein gewaltiger Ruck spannte das Seil und zog den Löwen unaufhaltsam näher, bis nur noch seine Hinterläufe den Boden berührten. Zugleich rief Tarzan den Panther herbei und ließ sich vom Baum herabgleiten.
Der Löwe kämpfte wutentbrannt um seine Freiheit, kam aber nicht los, da Tarzan das Ende des Seils um einen Ast geschlungen hatte. Sheeta und Tarzan griffen zu gleicher Zeit an, jeder von einer anderen Seite. Dutzende von Malen bohrte sich der Steindolch in den Körper Numas, während Sheeta mit Fängen und Pranken das Werk vollendete.
Sekunden später erschollen über dem Dschungel die Siegesschreie Tarzans und Sheetas. Als die letzten Töne verklungen waren, unterbrachen einige bemalte Krieger ihre Tätigkeit, die darin bestanden hatte, das lange Kriegskanu auf den Strand zu ziehen. Sie blickten einander fragend an, dann wandten sie die Köpfe in die Richtung, aus der die sonderbaren Schreie gekommen waren.
Fünftes Kapitel: Mugambi
Nachdem Tarzan die ganze Küste der Insel durchstreift und von mehreren Punkten aus Vorstöße ins Innere unternommen hatte, war er überzeugt, das einzige menschliche Lebewesen auf der Insel zu sein.
Am Tag, der dem Kampf mit Numa folgte, stießen Tarzan und Sheeta auf den Stamm Akuts. Beim Anblick des Panthers wandten sich die großen Affen zur Flucht, aber nach einiger Zeit gelang es Tarzan, sie zurückzurufen. Es war ihm in den Sinn gekommen, dass es ein interessantes Experiment sein müsste, diese beiden Erzfeinde aneinander zu gewöhnen. Seine Absicht den Affen mitzuteilen, fiel ihm trotz des beschränkten Wortschatzes, über den sie verfügten, nicht schwer. Schwieriger war es, den Panther davon zu überzeugen, dass er mit Tieren jagen müsse, die er sonst als seine Beute zu betrachten pflegte. Unter den Waffen Tarzans befand sich auch ein langer, fester Knüppel, mit dem Tarzan Sheeta auf die empfindliche Nase schlug, sobald das Tier Anstalten traf, sich auf seine neuen Bundesgenossen zu stürzen. So lernte auch Sheeta seine Lektion, und tagelang jagten Mensch, Panther und die großen Affen gemeinsam im Dschungel, erlegten gemeinsam ihre Beute und sättigten sich gemeinsam an ihr. Zuweilen trennten sich die Tiere für einen Tag von Tarzan, um ihren eigenen Instinkten nachzugehen, immer wieder aber fanden sie sich ein, um das gemeinsame Leben fortzuführen.
An einem jener Tage war es, dass Tarzan durch die Baumwipfel zur Küste wanderte und von einem Paar scharfer Augen beobachtet wurde. Diese Augen gehörten einem dunkelhäutigen Krieger, der auf dem Hügel einer nahen Halbinsel versteckt lag und Tarzan beobachtete. Sekundenlang musterte der Schwarze die hellhäutige Gestalt verwundert, dann wandte er sich um und gab ein Zeichen. Gleich darauf blickte ein zweites Augenpaar auf Tarzan herab, dann noch ein anderes und noch andere, bis ein gutes Dutzend wilder Krieger erstaunt den Bewegungen des weißhäutigen Mannes folgte.
Die Schwarzen lagen so, dass der Wind ihre Witterung nicht zu Tarzan trug; zudem wandte er ihnen den Rücken, so dass er nicht bemerkte, wie sie sich vorsichtig auf den Strand hin vorarbeiteten, auf dem er sich ausgestreckt hatte.
Die Krieger waren hochgewachsen, ihre Gesichter waren grotesk bemalt, in den Haaren trugen sie bunte Federn, an Armen und Beinen schwere Metallringe. Einmal, am Fuß der Anhöhe, richteten sie sich behutsam auf, um geräuschlos weiterzuschleichen, wobei sie drohend die schweren Keulen schwangen.
Sie hatten den ahnungslosen Tarzan fast erreicht, als sein Instinkt ihm sagte, dass er nicht mehr allein am Strand sei. Mit einem blitzschnellen Satz kam er auf die Beine und wandte sich seinen Gegnern zu, die mit erhobenen Knüppeln und gellenden Schreien auf ihn einstürmten.
Rechts und links stürzten die Feinde getroffen zu Boden. Die übrigen zogen sich zurück und beratschlagten in sicherer Entfernung. Dann griffen sie wieder an; diesmal machten sie Gebrauch von ihren langen Kriegsspeeren. Sie waren zwischen Tarzan und dem Dschungel, es schien kein Entkommen für ihn zu geben.
Aber Tarzan verlor nicht die Nerven. Im Gegenteil, ein breites Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Er legte den Kopf in den Nacken und stieß einen gellenden langgezogenen Schrei aus, der die Schwarzen zum Halten brachte. Sie musterten einander fragend, denn sie waren überzeugt, dass keine menschliche Kehle einen derart wilden Schrei hervorzubringen vermochte. Aber ihr Zögern dauerte nur Sekunden, dann rückten sie weiter vor. Wieder wurden sie durch Geräusche, die aus dem Dschungel drangen, aufgehalten. Die Schwarzen wandten sich um und erstarrten. Der Anblick, der sich ihnen bot, hätte auch tapferere Männer als die Wagambi erstarren lassen.
In wilden Sprüngen setzten Dutzende von großen Affen durch den Dschungel und stürzten sich, hoch aufgerichtet und mit mächtigen Fäusten auf die breite Brust trommelnd, auf die entsetzten Wilden. Tarzans Tiere waren gekommen, waren seinem Ruf gefolgt.
Bevor die Wagambi sich von ihrer Überraschung erholt hatten, sahen sie sich zwischen zwei Feuern. Zähnefletschend griffen die Affen von der einen Seite an, während Tarzan und Sheeta das Entkommen der dunkelhäutigen Krieger nach der anderen