er ihr auf die Strickleiter und sah ihr nach, bis sie das Deck betreten hatte. Das Geld in seiner Hand veranlasste ihn, nicht gleich die Rückfahrt anzutreten. Man bekam nicht oft einen Passagier, dem die Banknoten so locker saßen. Vielleicht hatte die Dame später den Wunsch, wieder an Land gebracht zu werden.
Bald darauf wurde der Anker gelichtet, die Schrauben begannen sich zu drehen, die Kincaid nahm Kurs auf das offene Meer. Der Matrose hörte einen gellenden Schrei vom Deck des Schiffes und zuckte die Achseln.
»Verdammtes Pech«, murmelte er. »Hätte ich ihr doch vorher das ganze Geld abgenommen.«
Als Jane Clayton das Deck betrat, schien ihr, als sei das Schiff völlig verlassen. Sie sah keine Menschenseele und machte sich daran, nach ihrem Mann zu suchen. Eine schmale Treppe brachte sie unter Deck und zur Hauptkabine, neben der die Kabinen der Schiffsoffiziere lagen. Sie riss Tür um Tür auf, aber nur gähnende Leere und Schweigen antworteten ihr. In ihrem Eifer entging es ihr, dass eine Tür einen Spalt geöffnet und gleich wieder geschlossen wurde. Sie erreichte diese Tür und fand sie ebenfalls unverschlossen. Kaum hatte sie einen Schritt in den dunklen Raum getan, als ein kräftiger Arm sich um ihre Schultern legte und sie ins Innere zog.
Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Gleich darauf legte sich ihr eine breite Hand auf den Mund, und eine spöttische Männerstimme sagte:
»Nicht doch, nicht doch! Erst wenn wir weiter draußen sind. Dann können Sie schreien, bis Sie heiser sind.«
Lady Greystoke wandte sich um und blickte in ein wohlbekanntes Gesicht. Sie zuckte zurück, als habe ein Peitschenhieb sie getroffen.
»Nikolas Rokoff! Monsieur Thuran!«, rief sie aus.
»Ihr ergebener Bewunderer«, erwiderte der Russe und deutete eine ironische Verbeugung an.
»Mein kleiner Junge - wo ist er?«, fragte Jane mit zitternder Stimme. »Geben Sie ihn mir wieder! Wie können Sie so grausam sein? Sagen Sie mir, wo mein Junge ist. Ist er auf diesem Schiff? Bitte, lassen Sie mich zu ihm!«
»Wenn Sie tun, was wir von Ihnen verlangen, wird ihm nichts zustoßen«, sagte Rokoff. »Vergessen Sie nicht, dass es Ihre eigene Schuld ist, dass Sie hier sind. Sie sind freiwillig an Bord gekommen und müssen die Folgen tragen. Ich hatte nie damit gerechnet, dass mir das Glück so hold sein würde.«
Nach diesen Worten verließ er die Kabine und verschloss die Tür hinter sich. Mehrere Tage lang sah Jane ihn nicht, ohne zu ahnen, dass Rokoff nur seekrank in seiner Kabine lag. Ihr einziger Besuch in dieser Zeit war ein mürrischer Schwede, der Koch der Kincaid, der ihr das Essen brachte. Der Mann war groß und grobknochig, trug einen langen gelben Schnurrbart und hatte ständig schmutzige Fingernägel. Sein Anblick allein genügte Jane, ihr jeden Appetit zu verderben, aber sie bemühte sich, ihre wahren Gefühle zu verbergen und ihm immer ein freundliches Gesicht zu zeigen.
Während der angstvollen Tage, die folgten, drehten sich alle Gedanken Janes um zwei Fragen - wo befand sich ihr Sohn, und was war mit Tarzan geschehen? Sie war überzeugt, dass sich das Kind an Bord des Schiffes befand, aber sie wusste nicht, wie sich Tarzans Geschick gestaltet hatte. Natürlich kannte sie den Hass, den der Russe für ihren Mann empfand, und sie konnte sich nur einen Grund denken, warum man ihn an Bord gelockt hatte. Rokoff wollte sich des verhassten Gegners ohne Gefahr entledigen und zugleich Rache dafür nehmen, dass er durch die Aussage des anderen ins Gefängnis gebracht worden war.
Inzwischen lag Tarzan in der Dunkelheit seiner Zelle, ohne zu ahnen, dass Jane sich in der Kabine über ihm befand. Der gleiche Schwede, der Jane bediente, brachte auch ihm die Mahlzeiten, aber jeder Versuch, mit ihm in ein Gespräch zu kommen, endete mit einem Misserfolg.
Wochen, die wie Monate erschienen, vergingen. Nur einmal legte die Kincaid an, um Kohle zu bunkern, und setzte die Fahrt ins Ungewisse nach kurzem Aufenthalt fort.
Rokoff hatte Jane, seit er sie in die kleine Kabine geschlossen hatte, nur einmal besucht. Dieser Besuch verfolgte den Zweck, sie zu überreden, ihm einen großen Scheck auszuschreiben, wofür er als Gegenleistung versprach, ihre Sicherheit und Heimkehr nach London zu garantieren.
»Sobald Sie mich, meinen Sohn und meinen Mann unversehrt in irgendeinem zivilisierten Hafen an Land setzen, werde ich Ihnen das Doppelte von dem, was Sie verlangen, in Gold bezahlen«, erwiderte Jane. »Bis dahin werden Sie nicht einen roten Heller erhalten.«
»Sie werden mir den Scheck geben, den ich verlange«, sagte Rokoff zynisch. »Tun Sie es nicht, so werden weder Sie, noch Ihr Sohn und Ihr Mann je wieder festen Boden betreten, ganz zu schweigen von einem zivilisierten Hafen.«
Jane blickte ihn kühl an. »Ich traue Ihnen nicht«, sagte sie. »Welche Garantie habe ich, dass Sie nur meinen Scheck nehmen und nicht daran denken, Ihren Teil der Vereinbarung einzuhalten?«
Achselzuckend wandte der Russe sich der Kabinentür zu. »Sie werden sich meiner Forderung nicht widersetzen«, zischte er gehässig. »Vergessen Sie nicht, dass ich Ihren Sohn habe, und denken Sie, wenn Sie seine qualvollen Schreie hören, daran, dass er nur wegen Ihrer Halsstarrigkeit leiden muss.«
»Das dürfen Sie nicht tun!«, rief Jane entsetzt. »Sie werden es nicht tun - nicht einmal Sie können so grausam sein.«
»Nicht ich bin grausam, sondern Sie«, erwiderte der Russe. »Ihnen scheint Geld mehr wert zu sein als Ihr kleiner Sohn.«
Die Unterredung endete damit, dass Jane einen Scheck über eine hohe Summe ausstellte. Nikolas Rokoff verließ die Kabine mit zufriedenem Lächeln.
Am Tage darauf wurde die Tür zu Tarzans Zelle geöffnet. Tarzan blickte auf und sah das Gesicht Paulvitschs in dem hellen Viereck.
»Kommen Sie herauf«, befahl der Russe. »Vergessen Sie aber nicht, dass man Sie niederschießt, sobald Sie mich oder ein anderes Besatzungsmitglied anzugreifen versuchen.«
Leichtfüßig stieg Tarzan an Deck und sah sich von einem halben Dutzend Matrosen umringt, die mit Gewehren und Pistolen bewaffnet waren. Ihm gegenüber stand Alexis Paulvitsch. Tarzan blickte sich nach Rokoff um, sah ihn aber nicht. Dennoch war er überzeugt, dass der andere sich an Bord des Schiffes befand.
»Lord Greystoke«, begann der Russe, »Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, dass Sie in diese Lage geraten sind, weil Sie nicht davon abließen, sich in die Angelegenheiten Monsieur Rokoffs zu mischen. Wie Sie sich vorstellen können, hat Monsieur Rokoff erhebliche Mittel aufwenden müssen, um diese kleine Expedition zu ermöglichen, und da Sie deren einzige Ursache sind, hat er das Verlangen, sich an Ihnen schadlos zu halten. Darüber hinaus können Sie erhebliche Unannehmlichkeiten für Ihre Frau und Ihren Sohn verhindern, sich zugleich das eigene Leben sichern und die Freiheit wiedergewinnen, indem Sie auf unsere Forderungen eingehen.«
»Wie hoch ist die Summe?«, fragte Tarzan. »Und welche Garantie habe ich, dass Sie zu Ihren Versprechen stehen? Nach allem, was sich bisher ereignete, habe ich keinen Anlass, zwei Halunken wie Ihnen zu trauen.«
Der Russe errötete. »Sie sollten vorsichtiger sein und in Ihrer Lage keine Beleidigungen aussprechen«, sagte er warnend. »Was die Garantie betrifft, werden Sie sich mit meinem Wort begnügen müssen. Wenn Sie nicht ein noch größerer Narr sind, als wir annehmen, so können Sie sich denken, dass es uns Vergnügen bereiten würde, diesen Männern den Befehl zum Feuern zu geben. Wenn wir davon absehen, so nur darum, weil wir andere Pläne mit Ihnen haben, Pläne, in denen Sie nur lebend eine Rolle spielen können.«
»Beantworten Sie mir eine Frage«, sagte Tarzan, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. »Befindet sich mein Sohn an Bord dieses Schiffes?«
»Nein«, erwiderte Alexis Paulvitsch, »Ihr Sohn ist nicht an Bord, aber in guten Händen. Wir werden ihn erst dann töten, wenn Sie sich weigern, unseren Forderungen zu entsprechen. Sie sehen, dass es in Ihrer Hand liegt, Ihr Leben und das Ihres Sohnes zu retten.«
»Also gut.« Tarzan wusste, dass die beiden Männer nicht zögern würden, ihre finsteren Drohungen auszuführen. Er zog Scheckbuch und Feder und wiederholte seine Frage: »Wie hoch ist der Betrag, den Sie fordern?«
Paulvitsch nannte eine enorme Summe. Tarzan