Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


Скачать книгу

Manuskripte zu studieren, die in England nicht mehr existierten, da sie dort der Schreckensherrschaft des Puritaners Oliver Cromwell zum Opfer gefallen waren.

      Donna Ines und Don Antonio empfingen ihre Freunde in ihrem wunderbaren alten Landhaus, der Quinta das Lagrimas, die ein wenig außerhalb der Stadt Coimbra selbst lag. Coimbra hatte sich schon früh um Handel und Wissenschaft verdient gemacht und die freien Bürger hatten ein strenges Verbot für Adelige erlassen, sich innerhalb der Stadtmauern anzusiedeln. Vor langer Zeit einmal hatte die Quinta der Universität von Coimbra gehört, dann einem religiösen Orden. In den Besitz der Familie von Don Antonio Maria Osorio Cabral da Gama et Castro war sie durch Zufall irgendwann im frühen 17. Jahrhundert gekommen. Es war ein unsagbar lieblicher Ort, der Arthur und Sarah sofort in seinen Bann zog. Der Garten, er trug den Namen Jardim das Lagrimas, schien verzaubert. Weichen Kieswegen entlang, in denen der Fuß versank, zogen sich Traubenranken durch Orangenbäumen, die von Früchten schwer waren, Palmen und seltene nordische Nadelhölzer, deren Schatten sich sanft miteinander vermischten, säumten das Grundstück. Der botanische Reichtum überwältigte Arthur, der wie viele Iren eine Schwäche für Pflanzen jeder Art hatte: Zedern, Pinien, Efeu, Eichen und Schlinggewächse zogen sein Auge an. Um viele kleine künstliche Teiche wuchsen Bambusstauden und exotische Blumen und Sträucher. Ein Teich war sogar vollständig mit Seerosen zugewachsen, die auf gigantischen tellerförmigen Blättern mit einem breiten Rand blühten. Das Innere der Casa selbst war vollgestellt mit Möbeln aus den unterschiedlichsten Ländern und Epochen. Donna Ines erklärte Sarah und dem General, daß der Urgroßvater ihres Gemahls ein Seefahrer gewesen war, der von seinen abenteuerlichen Reisen auf allen Ozeanen der Welt diese Prachtstücke zurückgebracht hatte. Dann führte sie ihre beiden Gäste über eine doppelläufige Treppe in den zweiten Stock der Quinta, der fast unter einem Holzziegeldach verschwand. „Ihr beide werdet euch hier oben sicher wohl fühlen!” Sie hatte sich mit einem Augenzwinkern an Sarah gewandt. Donna Ines empfand große Sympathie für die junge Ärztin, denn sie selbst entsprach genau so wenig dem Rollenbild der Frau im portugiesischen Hochadel wie Sarah dem im britischen. „Dies ist die Bibliothek und das Studierzimmer des Seefahrer-Urgroßvater meines Mannes. Wir haben Don Migueles Alchimistenhöhle eigentlich immer verschlossen gehalten, doch als Antonio mir erzählt hatte, daß sowohl du, als auch Sir Arthur gewisse Neigungen habt, da haben wir beschlossen, sie aufzuräumen und für euch zu öffnen.” Die Portugiesin erklärte, daß viele der Bücher, die sich in diesen Räumen befanden von der strengen katholischen Kirche ihres Landes mißtrauisch betrachtet und oft sogar als Ketzerwerk gebannt worden waren. „Arthur, du wirst auch einige Dinge finden, die für dich interessant sind! Der verrückte, alte Don Miguele besaß eine umfangreiche Sammlung historischer und nicht ganz so historischer Werke!” Sie griff in einen der schweren Eichenschränke und zog eine uralte, schwere, in Leder gebundene „La Table d’Emeraude“ hinter anderen eingestaubten Lederbänden hervor. Dann drückte sie den Band mit einem schelmischen Lächeln in die Hand des Generals. Der Ire starrte das Buch an. Er hatte von diesem Werk nur gehört, es aber noch nie in der Hand gehalten – ein Alchimistenbuch, sonderbar verschlüsselt. Man sagte, wer den Code knackte, der würde Gold herstellen können – Freimaurerlektüre. Arthur hätte es nie offen zugegeben, aber diese Geschichten faszinierten ihn fast genau so wie militärhistorische Werke, und er hatte auch in Tomar seine Nase klammheimlich in manch sonderbaren Band gesteckt, den er in der Bibliothek ausgrub. Lady Lennox und Donna Ines betrachteten den Offizier. Beide schüttelten fast gleichzeitig den Kopf. Die Portugiesin legte ihren Arm um Sarahs Schulter und schob sie durch die Tür, wieder hinaus ins Freie: „Lassen wir ihn mit dem alten staubigen Papier ein wenig alleine. Wir beide werden uns jetzt zusammen in die Sonne setzten und eine schöne Tasse Kaffee trinken. Antonio holt unsere Freunde zusammen. Heute Abend möchten wir alle gemeinsam den letzten Tag des Jahres feiern – Nochevieja – und morgen dann Ano Novo, das neue Jahr. Du wirst sehen, meine Liebe, es ist ein fröhliches Fest und es wird euch beiden sicher Spaß machen, die Bräuche unseres Landes besser kennen zu lernen. Vom 24. Dezember bis zum 17. Januar ist hier eigentlich alles nur Feiern und Kurzweil!”

      Während die beiden Frauen sich auf einer Bank aus rotem Zedernholz unter einem schwer tragenden Orangenbaum niederließen, starken schwarzen Kaffee tranken und süßes Engelshaar kosteten, hatte Arthur sich bereits tief in einen Sessel in der Bibliothek Don Migueles vergraben. Er hatte nicht einmal den Reitmantel abgelegt. Seine Augen waren gebannt auf den Text der ‚Smaragdtafel” gerichtet. Sogar in den liberalen Vereinigten Königreichen war dieses Buch verboten, alle auffindbaren Exemplare hatte vor langer Zeit König Karl I. dem Feuer überantwortet

      .

      Als die Nacht einbrach, füllte sich die Quinta mit regem Leben. Aus Coimbra selbst und der ganzen Umgebung waren Freunde und Verwandte von Don Antonio und Donna Ines angekommen, um Nochevieja zu begehen. Nach einem ausgelassenen Abendessen, bei dem die britischen Gäste mit jedem auf ein glückliches 1810 hatten trinken müssen, machte die Gesellschaft sich auf den Weg zum Hauptplatz der Stadt, um sich Schlag Mitternacht unter der großen Glocke der neuen Kathedrale, der Se Nova, einzufinden. Der Platz war übervölkert von Bürgern, Händlern, Bauern und Studenten. Wellington konnte in der Menge auch viele rote Röcke ausmachen. Seine bei der Bevölkerung zwischen Coimbra und Viseu einquartierten Soldaten und Offiziere schienen sich gut akklimatisiert zu haben. Als die Glocke Mitternacht schlug, fiel jeder überschwenglich seinem Nachbarn um den Hals und alle wünschten sich ein gutes neues Jahr. Fast jeder hatte Wein oder Cava mitgebracht und bald schon war die Stimmung laut und feuchtfröhlich. Gegen zwei Uhr morgens waren alle dann wieder in der Quinta das Lagrimas, wo ein spätes, oder frühes Essen – die beiden Briten wußten das nicht so genau – serviert wurde. Irgendwann, kurz nach Sonnenaufgang verschwanden die Gäste müde, aber zufrieden in den Betten, oder in ihren Kutschen, die sie nach Hause befördern sollten. Arthur und Sarah verabschiedeten sich ebenfalls von ihren Freunden und zogen sich über die große Holztreppe in ihren ersten Stock zurück. Irgend jemand hatte sorgfältig die Fensterläden verschlossen und in den Zimmern brannten weich Kerzenlichter. Sarah legte ihre Weste ab und ließ sich mit ausgebreiteten Armen auf das riesige Bett mit Samtbaldachin fallen: „Dieses Haus ist wunderbar, der Abend war wunderbar, und nach den ganzen Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Monate ist es wunderbar, daß wir endlich ein paar Wochen miteinander alleine sein können!” Sie streckte ihre kleine Hand nach Arthur aus und zog ihn neben sich. „Übrigens, Donna Ines hat mir die Geschichte der Quinta erzählt, während du dich in deinem dicken staubigen Buch vergraben hast. Sie ist bezaubernd!“ Wellington legte seinen Arm über Sarah und schmiegte sich eng an sie. Leise flüsterte er ihr ins Ohr: „Und wenn du mir das alles ein wenig später erzählst? Am besten im Garten, bei Mondschein!” Dann fing er vorsichtig an, die feinen Perlmuttknöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Seine Hände glitten sanft über die weiche, warme Haut. Ihre Lippen suchten die seinen, während sie ihm das Hemd von den Schultern streifte. Sarahs schlanker, biegsam Körper schmiegte sich gegen ihn und die letzten Schranken der Zurückhaltung und Selbstbeherrschung fielen. Sie waren nur noch zwei Menschen, die vorbehaltlos und leidenschaftlich liebten und einander vertrauten. Es bedurfte keiner Wort, um dem anderen dies mitzuteilen. In diesen wertvollen Augenblicken, in denen sie so vollkommenen eins wurden, stellte Sarah sich manchmal die Frage, wie ein Mann nur zwei so grundverschiedene Seiten haben konnte. Es kam ihr vor, als ob es zwei Persönlichkeiten gab: Zugleich stolz und bescheiden, kühl und liebevoll, distanziert und überaus sensibel, skrupellos und rücksichtsvoll, gleichgültig gegenüber den Leiden anderer und doch zutiefst davon berührt. Die Kerze die sanft das Schlafzimmer erleuchtete, warf einen kurzen Augenblick lang ihren Schein auf seine Augen. Der kalte Schleier, der fast immer über ihnen lag, war gefallen und sie sah nur noch ein einfaches Bedürfnis nach ehrlicher Zuneigung. Sie nahm ihn in die Arme, fast wie ein Kind, liebkoste ihn und gab ihm diese seltene Gewißheit, daß es in seiner Welt aus Gewalt, Tod und Blutvergießen wenigstens einen Menschen gab, dem er ohne Schutzpanzer entgegentreten konnte und der ihm niemals weh tun würde. Während sie ganz vorsichtig über die häßliche Narbe strich, die seine Verwundung bei Talavera zurückgelassen hatte, fragte sie sich, wie viele dieser Narben der Krieg wohl auf seiner Seele zurückgelassen hatte. Sie waren unsichtbar, doch sie wußte, daß sie existierten. Es hatte Nächte gegeben, in denen seine furchtbaren Alpträume ihr den Schlaf geraubt hatten. Am Anfang hatten ihr diese Augenblicke Angst gemacht. Irgendwann hatte sie dann verstanden, daß es einen Weg gab, seine Gespenster zu vertreiben. Eine Berührung,