Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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zu quälen. Zufrieden stellte sie fest, daß er eingeschlafen war und sein Atem ganz ruhig ging. Sie schmiegte ihre Wange an seine Brust und hörte, wie regelmäßig sein Herz schlug.

      Die nächsten Tage vergingen in angenehmer sorgloser Stimmung. Don Antonio und Donna Ines unternahmen mit ihren britischen Gästen Ausflüge in die Gegend von Coimbra. Die vier erhielten außerdem Einladung um Einladung, denn jeder wollte den Mann sehen, der nun schon drei Mal die Truppen des Kaisers von Frankreich geschlagen hatte und ihr Land vorläufig von den Franzosen befreien konnte. So lernten Sarah und Arthur Condeixa-a-Nova kennen, den Palacio dos Lemos und den Palacio dos Almadas. Nur eine starke Meile von diesen alten herrschaftlichen Häuser entfernt, befand sich auch das größte Ruinenfeld Portugals aus römischer Zeit. Don Antonio bezeichnete es als „Unser kleines Pompeij“. Es befand sich bei Coinimbriga, einem Ort, der vormals ein bedeutender Schnittpunkt der römischen Verbindungsstraße von Felicitas Julia, dem aktuellen Lissabon nach Portus Cale, dem heutigen Oporto gewesen war. Ursprünglich war Conimbriga keine rein römische Schöpfung gewesen, sondern konnte auf die Zeit der Kelten zurückdatiert werden. Es war interessant, daß die Stadtmauern nicht um die Siedlung herum gebaut worden waren, sondern mitten durch sie hindurch. Offenbar hatte man irgend wann einmal, in der Eile und um einen überraschenden Barbareneinfall abzuwehren, bewohnte Gebiete aufgegeben und einen Schutzwall errichtet, um zumindest Teile der Stadt zu verteidigen. Doch die wilden Sueben zerstörten trotzdem Conimbriga und die Bevölkerung siedelte sich auf den sichereren Hügeln des heutigen Coimbra an. Unweit dieser verlassenen Kelten- und Römerstadt befand sich der fast 500 Hektar große Wald von Busaco, der wegen seiner Vielfalt an einheimischen und exotischen Pflanzen ein kurioser Ort war. Donna Ines erzählte, daß Urgroßvater Don Miguele, der Seefahrer, wie viele andere portugiesische Kapitäne auch, Samen und Stecklinge aus Ozeanien und Brasilien, aus Afrika und dem Orient mitgebracht und den botanisch kundigen Karmelitermönchen geschenkt hatte, die bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert ein Kloster bei Lova, am Osthang der Sierra do Busaco hatten. Mehr als 400 einheimische und 300 exotische Baumarten waren im Wald von Busaco vertreten, darunter Zedern aus dem Libanon und Mexiko, uralte Ginko- und Sequoiabäume aus Amerika, Araukarien, Palmen, Erlen, Ulmen und Baumfarne. Die Anfänge dieser Pflanzungen gingen noch weiter zurück. Ursprünglich hatten die Franziskaner hier Einsiedeleien unterhalten und geschichtlich wurde der Forst von Busaco zum ersten Mal im 6. Jahrhundert nach Christus erwähnt. Die Karmeliter-Mönche errichteten dann, vor fast 200 Jahren, eine vier Meilen lange Umfassungsmauer mit zehn prachtvoll geschmückten Toren um ihren botanischen Schatz und im Inneren zahlreiche kleine Kapellen und Ermidas und sogar eine Via Sacra. Sie hatten Wege angelegt und Teiche und Brunnenanlagen zur Bewässerung. Zahlreiche Waldquellen wurden von exotischen Pflanzen und Sträuchern eingerahmt. An einem der Tore hatte ein Mönch den Vieren stolz eine große Bronzetafel gezeigt: Im Jahre 1653 hatte Papst Urban der VIII. verfügt, daß jeder, der einen Baum fällte oder verletzte, exkommuniziert würde. Dann wandte er sich grinsend den beiden Damen zu: „Und 30 Jahre zuvor hatte Gregor der V. auf Bitten unseres Ordens sogar allen Frauen den Zutritt zu diesem Ort versagt, damit die Ladys uns nicht bei unseren Forschungsarbeiten ablenken konnten. Aber das war vor langer Zeit! Wir sind heute viel liberaler geworden und freuen uns, Ihnen unsere kleinen Schätze zeigen zu dürfen.“ Dann hakte er Lady Lennox unter und zog sie von der kleinen Gruppe fort: „Für Sie als Arzt dürfte unsere Sammlung von Heilkräutern sicher besonders interessant sein! Inzwischen werden unsere Freunde Don Antonio und Donna Ines dem General den Rest des Parks zeigen! Sie kamen früher, als in diesem Land noch Frieden herrschte, oft zu Besuch und kennen hier jeden Strauch und jeden Baum.”

      Als die vier am späten Nachmittag nach Coimbra zurückkehrten, hatte Sarah ihre Satteltaschen voll mit seltenen Samen und getrockneten Heilpflanzen. Sie hatte eine lange, interessante Unterhaltung mit dem Botaniker, dem Arzt und dem Apothekarius des Klosters geführt und sich dabei viele Notizen über längst vergessene Rezepturen gemacht. Die Geistlichen waren nicht wenig erstaunt gewesen, die Bekanntschaft einer junge Frau von so großer medizinischer Fachkenntnis zu machen, von der auch sie noch einiges lernen konnten. Aus diesem Grunde hatte man die Vereinbarung getroffen, sich bald wieder zu sehen und Sarah versprach, Sir James McGrigor mitzubringen.

      Wellington selbst war auf dem Heimweg von den Eindrücken dieses wundersamen Ortes noch ganz überwältigt. Don Antonio hatte ihn zur Ermida da Nossa Senhora de Assuncao geführt, der schönsten der 20 Einsiedeleien des Parkes. Dann waren sie über eine 144stufige Treppe bis zum Lago dos Festos hinaufgestiegen, einem von Blumen umgebenen Becken, von dem aus Wasser in einer Kaskade in die Fonte Fria, die Kalte Quelle hinabstürzte. Vom Lago aus führte ein mit steinalten Zypressen und Kiefern gesäumter Weg bis in die prächtige Zedernallee hinein. Am Ende dieser Allee, neben dem Haus des Pilatus und der sogenannten Einsiedelei des Heiligen Josephus stand die mächtigste der Busaco-Zypressen, die einen Durchmesser von mehr als fünf Metern hatte. Über die Via Sacra war er dann mit seinen portugiesischen Freunden auf den fast 1500 Fuß hohen Miradouro da Cruz Sacra gelangt, der von einem Kreuz gekrönt wurde. Das gute, klare Winterwetter hatte ihnen einen schönen Blick auf Coimbra gestattete, das etwa 20 Meilen von Busaco entfernt lag.

      Langsam neigte der Ferienmonat sich seinem Ende zu und Don Antonio und Arthur fingen wieder an, über ihre militärischen Aufgaben nachzudenken. Gelegentlich erschien Pater Robertson in der Quinta, um die neusten nachrichtendienstlichen Informationen aus Spanien zu überbringen. Hill, Sherbrooke, Maitland und Spencer ritten von Viseu nach Coimbra um sich mit ihrem Oberkommandierenden zu besprechen. Sogar Black Bob Craufurd hatte den weiten Weg von seinem Hauptquartier bei Almeida durch die Serra da Estrela nicht gescheut, um Wellington stolz zu berichten, daß er mit seinen 4000 Soldaten problemlos eine fast 70 Meilen lange Frontlinie halten konnte. Nicht einem einzigen Adler war es bislang gelungen, auch nur einen Schritt über die Grenze zu tun. Außerdem übergab er seinem Vorgesetzten augenzwinkernd die gesamte Ordre de Bataille der französischen Portugalarmee. Lediglich an der Stelle des Oberkommandierenden stand noch ein großes Fragezeichen. Um seine Connaught Rangers und andere Aufklärer zu beschäftigen, hatte er die Männer regelmäßig nach Spanien zu den Guerilleros geschickt, damit sie Informationen einsammelten oder überprüften. Im Vorjahr war das nachrichtendienstliche Netzwerk des Iren gut gewesen. Inzwischen war es ausgezeichnet geworden. Er hatte nun ein so genaues Bild von den Plänen seines Gegners, daß er den anstehenden Sommerfeldzug 1810 nicht mehr fürchtete. Der Kaiser selbst würde ihm höchstwahrscheinlich nicht die Ehre geben, damit war seine schlimmste Sorge fast schon aus der Welt geschafft worden. Wen auch immer er als seinen Statthalter losschicken würde, um gegen Portugal zu marschieren – Soult, Massena, Junot, Ney oder einen anderen Marschall –, ohne den Korsen als psychologische Stütze waren sie alle nur die Hälfte wert. Die Neuigkeiten aus Almeida hatten die gute Stimmung in der Quinta das Lagrimas noch zusätzlich verbessert. Doch als die jungen Herren Offiziere und Black Bob anfingen, sich in Don Antonios Salon wilden Spekulationen über das Fragezeichen in der französischen Ordre de Bataille hinzugeben, die große Stabskarte, die die Guerilla einem Kurier Bonapartes in den Pyrenäen gewaltsam entrungen hatten, anstelle eines schönen alten Gemäldes an der Wand befestigten, haarsträubende Theorien über den Sommerfeldzug entwickelten und dabei kannenweise starken, heißen Kaffee tranken, schlich Wellington sich von allen unbemerkt aus dem Haus in den Garten, um in aller Ruhe das fast frühlingshafte warme Wetter zu genießen. Sollten seine Adjutanten und Black Bob sich ruhig austoben und im Kaffeesatz nach den Plänen des Korsen suchen, er würde sich jetzt irgendwo unter einen Baum legen und faulenzen, oder seinen Freund Don Manuele im Santa-Clara-Kloster besuchen. Arthur verließ den quadratisch angelegten Innenhof der Quinta, in dem eine Vielzahl großer und kleiner Terrakotta-Töpfe mit wohlriechenden Kräutern und Pflanzen um einen Springbrunnen aus rotem Sandstein standen und schlug einen Weg in Richtung des Flüßchens Dos Amores ein. Entlang dieses Wassers konnte man gemütlich im Schatten der alten Zedern und Eichen bis zum Kloster gelangen. Doch schon nach wenigen hundert Yards stieß er auf einen anderen Faulenzer: Sarah saß mit einem Buch auf den Knien im weichen Gras, unweit der Fonte das Lagrimas. Sie hatte ihn nicht bemerkt, so versunken war sie in ihre Lektüre. Nur das sanfte Plätschern der kleinen Quelle und das Zwitschern der Vögel störten die Stille des Ortes. Leise trat er zu der jungen Frau hin und legte ihr die Hand auf die Schulter: „Störe ich dich, Kleines?”

      „Überhaupt nicht! Komm, setzt dich zu mir ins Gras, Donna Ines hat mir ein hübsches Buch geliehen!”