Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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persönlichem Ehrgeiz erwuchsen Fehler, nicht aus logischer Planung und korrekter, wenn auch unspektakulärer Umsetzung. Diese Lektion hatte der Ire gelernt!

      Während Craufurd redete, gingen Arthur ein paar Zeilen aus dem Testament von Robert the Bruce durch den Kopf, Schottlands König, der im 14. Jahrhundert England in die Knie gezwungen hatte: Der Bruce war in einer ähnlichen Lage gewesen, wie er in diesem Augenblick. Und es war ihm trotzdem gelungen, mit einer Bande Wilder im Kilt über Edward Longshanks Sohn und seine kampferprobten Ritterheere zu siegen, weil er den Mut besessen hatte, vor der Entscheidungsschlacht bei Bannockburn die schmutzige, kleine Waffe des armen Mannes einzusetzen: Verbrannte Erde! Sie war schlimmer für einen Feind, als jedes strahlende Feldheer mit farbenprächtigen Standarten, Kanonen und Gewehren.

      „In strait placis gar hide all store,

      And byrnen ye plain land thaim before,

      Thanne sall thei pass away in haist,

      When that thai find na thing but waist,

      So sall ye turn thain with gret affrai,

      As thai were chasit with swerd awai!”

      Als er den Portugiesen den Befehl erteilt hatte, alles Land vor den Wällen von Torres Vedras zu verwüsten und alles, was sie nicht hinter den Wällen oder in den Bergen in Sicherheit bringen konnten gnadenlos zu vernichten, hatte er sich tagelang elend gefühlt: Portugal war ein armes Land! Die meisten Gegenden, die er in den letzten drei Jahren kennengelernt hatte, produzierten nicht einmal genug um einer eigenen, dünnen Bevölkerung ein warmes Essen am Tag zu sichern. Für eine durchziehende Armee reichten die Vorräte, die die Bauern für ein ganzes Jahr anlegten kaum drei oder vier Tage. Der Sommerfeldzug würde ein Wettlauf zwischen den Alliierten und den Franzosen werden, bei dem der als Sieger hervorging, der als letzter verhungerte! Arthur lief bei diesem Gedanken ein eisiger Schauder den Rücken hinunter. Die Iberische Halbinsel war ein erbarmungsloser Kriegsschauplatz. Die Geographie war trügerisch und der größte Feind leichtsinniger Soldaten. Wer nur eine Landkarte zur Hand nahm, dem mußte es scheinen, als ob alles einfach darauf hinauslief, Streitkräfte die drei größten Flüsse Spaniens – Douro, Tejo und Guadiana – hinunter gen Portugal zu befördern, um das kleine Land am Atlantik zu nehmen. Doch Spaniens Flüsse waren keine Verbindungswege im militärischen Sinn, sie waren zuverlässige natürliche Hindernisse, eingebettet in tiefe Schluchten, reißend, wild und völlig unberechenbar. Ihr Wasserspiegel konnte in wenigen Stunden sinken oder fast grenzenlos ansteigen. Hauptverkehrsstraßen vermieden es, den Läufen dieser Flüsse zu folgen. Über viele Jahrhunderte hinweg hatten Spanien und Portugal sich den Rücken gekehrt, und ihre wichtigsten Städte waren weder durch die Flüsse noch durch vernünftige Verkehrsachsen miteinander verbunden. Von Madrid nach Lissabon gab es keinen direkten Weg. Die Grenze zwischen beiden Ländern war für militärische Aktivitäten völlig ungeeignet. Lediglich ein Grenzabschnitt war so etwas wie Flachland und bot sich möglicherweise als Schlachtfeld an: Zwischen dem Douro und Almeida erstreckte sich bis kurz hinter den Coa auf etwa 15 Meilen eine Ebene. Bereits vier oder fünf Meilen hinter Almeida begann gleich wieder das Gebirge. Der Rest der portugiesisch-spanischen Grenze verlief durch dünn besiedeltes, rauhes, zerklüftetes Hochland, das vom Coa, Mondego, Zezere, Poncul, Agueda und Alagon in winzige, kaum begehbare Teilstücke zerschnitten wurde. Eine durchziehende Armee würde sich in kleine Untereinheiten aufspalten müssen, wehrlos in unwirtlichem Gelände. Während der vier Wochen in Coimbra hatte Wellington jede Gelegenheit genutzt, die Geschichte der Kriege auf der Iberischen Halbinsel zu studieren: Seit dem Mittelalter bis hinein in den Spanischen Erbfolgekrieg Anfang des 18. Jahrhunderts waren alle Angreifer an dieser Geographie Portugals gescheitert. Plötzlich legte sich von Hinten eine Hand auf seine Schulter: „Sir, haben Sie mir nicht zugehört?“ Craufurd war mit seinem Bericht zu Ende gekommen und hatte den Oberkommandierenden nach neuen Befehlen bezüglich der Disposition der Leichten Division gefragt. Arthur schreckte aus seiner Tagträumerei hoch und blickte Black Bob entschuldigend an: „Nein, mein Freund! Ich war mit meinen Gedanken wo anders. Es tut mir leid!”

      „In der Gegend um Lissabon, nicht war?” zischte Craufurd ihm leise zu, damit die anderen es nicht hören konnten. „Leg endlich deine Karten auf den Tisch, Arthur!”

      „Noch nicht, Bob! Gib mir Zeit!”

      Craufurd nickte seinem Freund verständnisvoll zu und setzte sich auf die Tischkante, neben Wellington.

      Thomas Picton, der zynische, alte General aus Wales und ehemalige Gouverneur von Trinidad und Tobago war über seine Versetzung auf die Iberische Halbinsel nicht sonderlich erfreut gewesen. Er ertrug nur schwer, unter einem Mann zu dienen, der 20 Jahre jünger war als er selbst und den sie nun schon drei Mal über seinen Kopf hinweg befördert hatten. Außerdem besaß Sir Thomas einen aufbrausenden, extrovertierten Charakter und viel Temperament. Er konnte mit Menschen, die ruhiger und verschlossener waren als er selbst nicht umgehen. Bereits bei seiner ersten Begegnung mit Lord Wellington hatte der alte Waliser beschlossen, daß er seinen Gegenüber überhaupt nicht leiden mochte: Er war ihm zu ruhig, zu beherrscht, zu undurchschaubar! Es verunsicherte General Picton, daß sein neuer Vorgesetzter ihm zwei oder drei Stunden zuhören konnte, ohne ihn zu unterbrechen, ohne sich zu bewegen, ohne seinen Blick von ihm zu wenden und scheinbar ohne die geringste Gefühlsregung. Die beißende Kälte im Zimmer und die kleine Szene mit Craufurd hatten sein heißes, walisisches Blut nun endgültig zum überkochen gebracht. Mit der Faust schlug er auf Arthurs Schreibtisch. Black Bob gelang es gerade noch im Reflex, die Teetassen vor dem keltischen Ungestüm zu retten: „Verdammt, Craufurd hält mit 4000 Mann mehr als 60 Meilen Front und ihm stehen 80.000 oder 90.000 Franzosen gegenüber, die jeden Moment über uns herfallen können und Sie hören ihm nicht einmal zu, Sir Arthur! Machen Sie sich eigentlich über den gesamten Stab lustig?”

      Wellington zog seinen Mantel fester um sich, in der Hoffnung, der dicke Wollstoff würde die Kälte des Raumes ein wenig von ihm fernhalten. Dann lächelte er Picton an: „Nein, Sir Thomas!”

      „Wollen Sie uns dann wenigsten an Ihren erlauchten Gedanken teilhaben lassen?” Der Waliser hatte vor Aufregung rote Wangen bekommen. Ihm wurde schlagartig warm. Seit Tagen schon wartete er darauf, daß diese Sphinx, die ihm gegenüber saß endlich aus ihrem Winterschlaf erwachte und ihm die Pläne der Alliierten für den Sommerfeldzug mitteilte. Er war auf die Iberische Halbinsel gekommen, um sich mit den Franzosen zu schlagen, nicht um langsam in einer Templerfestung zu erfrieren. Als er in London gewesen war, hatte er aus der englischen Presse lediglich gelernt, daß man täglich mit einem Abzug des Feldheeres aus Portugal rechnete. Er kannte, wie viele andere auch, die Einschätzung Sir John Moores, der kurz vor seinem Tod bei La Coruña ein Memorandum an den britischen Kriegsminister verfaßt hatte, in dem er dargelegt hatte, daß es unmöglich war, dieses Land vor den Franzosen zu retten. Und viele seiner Londoner Bekannten, die Söhne in Arthurs Armee hatten erzählten ihm, daß man mit einer Niederlage im Jahr 1810 rechnen mußte und daß Lord Wellington sich vor den nächsten Schritten der Franzosen fürchtete. Es ging das Gerücht um, Arthur sei am Ende seiner Weisheit angelangt und wich aus diesem Grund seit Talavera allen Feindkontakten aus. Er habe sich aus Spanien nur zurückgezogen, weil er Angst vor einer erneuten Begegnung mit Victor oder Soult hatte. Der Ire wußte um jedes dieser Gerüchte. Viele seiner Offiziere und selbst einige der Männer, die in seinem Arbeitszimmer versammelt waren, schrieben in ihren Briefen nach Hause negative Dinge, die dann auf dem einen oder dem anderen Weg in die Presse gelangten und ihm schweren Schaden zufügten. Doch trotz des Regierungswechsels in Whitehall hatten sich die beiden Kriegsminister Portsmouth und Liverpool und die beiden Außenminister Bathhurst und dann Mornington an die Versprechen ihrer Vorgänger Castlereagh und Canning ihm gegenüber gehalten und mischten sich vorläufig nicht in seine Art der Kriegführung mit Frankreich ein. Lord Liverpool hatte ihm diesbezüglich sogar einen einzigartigen Befehl erteilt: „Ich nehme Abstand davon, Ihnen irgendeinen Befehl zu erteilen! Tun Sie, was Sie für richtig halten!”

      Damit war Arthur möglicherweise der erste General der neueren, britischen Kriegsgeschichte, dem seine Regierung für einen ganzen Kriegsschauplatz ‚Carte Blanche‘ gegeben hatte. Nur wußte niemand in diesem Raum etwas von Lord Liverpools Entscheidung und Wellington war davon überzeugt, daß dies auch für alle Anwesenden besser war. „Picton, wenn ich jetzt den Mund aufmache und Ihnen