Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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Robertson nahm ihr nur einfach das Glas aus der Hand und zog sie aus ihrem bequemen Sessel hoch: „Meine Tochter, das müssen wir sofort Nosey sagen! Los kommen Sie mit!” Robertson, seine Mitarbeiter und Donna Ines stürmten gemeinsam den steilen Weg zum Castelo dos Corvos hinauf und rissen Wellington schlagartig aus seiner selbstzufriedenen Träumerei. Als der Benediktiner ihm eröffnete, daß der französische Chiffre kein Geheimnis mehr war, fiel dem General vor Schrecken und Freude die Kaffeetasse aus der Hand und zerbrach auf dem Steinboden des Arbeitszimmers in kleine Stücke. Entgegen seiner sonst so zurückhaltenden Art fiel er der Gemahlin seines Adjutanten um den Hals, drückte sie fest an seine breite Brust und brach dann in schallendes Lachen aus: „Du bist wirklich der beste meiner Generäle! Sieben Monate haben wir uns alle den Kopf zerbrochen und den Stein der Weisen gesucht und du ... Veni, vidi, vici! Wie der alte Cäsar ...”

      „Arturo, hör auf! Es war ganz einfach und logisch ...” Donna Ines machte sich aus der kräftigen Umarmung frei und schnappte nach Luft. Ungestüm hatte der Freund ihres Gemahls ihr gerade sämtliche Rippen zerquetscht. Die Männer konnten einfach nicht verstehen, was für zarte und zerbrechliche Geschöpfe Gott doch an ihre Seite gestellt hatte. Wellingtons irisches und Robertsons schottisches Temperament kochten in diesem Augenblick gemeinschaftlich über und jeder packte eine Hand der jungen Portugiesin, um sie an den langen Schreibtisch des Arbeitszimmers zu zerren und in den Stuhl zu pressen. Robertson griff nach einem großen Stoß Papier, der in einer Holzkiste am linken äußeren Ende des Tisches stand und auf den irgendein Spaßvogel ein großes Fragezeichen und den stilisierten Kopf eines Esels gemalt hatte. Arthur drückte Ines eine Feder in die Hand und schrie laut nach Sergeant Dunn: „Bringen Sie eine große Kanne Kaffee, John! Schnell!“ Dann wandte er sich ebensolautstark an die junge Frau: „Hier hast du eine Feder, Papier und Tinte! Los! Übersetzte uns das alles mal schnell und erleuchte uns mit deinem Genie! Wir kriegen seit Wochen von der spanischen Guerilla verschlüsselte Depeschen. Die Franzosen kochen irgend etwas aus ... Los, sei ein gutes Mädchen, Ines!” Robertson, seine Mitarbeiter und der Oberkommandierende versammelten sich vor dem riesigen Schreibtisch und sahen die Portugiesin neugierig und erwartungsvoll an. Die Fünf entlockten der jungen Frau ein verzweifeltes Kopfschütteln. Es lagen 50 oder 60 Schriftstücke in der Eselskiste und sie hatte nur zwei Hände: „Glaubt ihr Kindsköpfe etwa, ich kann vernünftig nachdenken, wenn ihr mich anstarrt wie Mäuse eine Schlange? Verschwindet und laßt mich arbeiten! Wenn ich fertig bin, schicke ich Sergeant Dunn!” Enttäuscht zogen Robertson, Grant, Wellington, Burgersh und Doyle sich aus dem großen Zimmer zurück, während Dunn eine Kaffeekanne und eine frische Porzellantasse neben Ines stellte und sich dann aufmachte, grinsend die Bruchstücke von Arthurs Tasse vom Boden aufzulesen.

      Früh in den Morgenstunden des nächsten Tages war der Stab des anglo-alliierten Feldheeres um einen großen Stoß militärischer Informationen reicher und der Geheimdienst der Briten hatte mit Don Antonio Maria Osorio Cabral de Castros amüsierter Genehmigung ein neues Mitglied in seine Reihen aufgenommen. In einer der verschlüsselten Depeschen hatte eine Nachricht gestanden, die den zweiten vehementen Temperamentsausbruch in weniger als 24 Stunden bei Lord Wellington verursachte: Der Zar sabotierte seit dem französischen Friedensschluß mit Österreich und Napoleons Heirat mit Marie-Louise, offen und unverblümt das Kontinentalsystem des Kaisers. Napoleon dachte inzwischen ernsthaft über einen Feldzug gegen Rußland nach. Er hatte Massena geschrieben, daß er fest davon überzeugt war, daß die nun 420.000 französischen Soldaten auf der Iberischen Halbinsel und der Ruf des Prinzen von Esslingen ausreichen würden, um die kümmerlichen 35.000 Briten in die See, aus der sie gekommen waren zurückzutreiben, um Portugal zu nehmen, Spanien zu unterwerfen und den Thron für seinen Bruder Joseph zu sichern. Der Kaiser befahl seinem Marschall aus diesem Grunde, mit den Operationen sofort energisch zu beginnen. Der erste Schritt hierzu sollte es sein, General Andre Herresi aus der Festung von Ciudad Rodrigo auf der spanischen Seite der Grenze zu vertreiben und damit die nördlichste der möglichen Einfallsstraßen nach Portugal für die französische Armee zu öffnen. Nachdem Donna Ines laut diese entschlüsselte Depesche vorgelesen hatte, ließ Arthur seine große Stabskarte von Nordportugal bringen. Endlich wußte er, welcher seiner drei unterschiedlichen Operationspläne für den Sommer 1810 umgesetzt werden konnte. Torres Vedras und die südliche Einfallsroute bekamen noch einmal eine kleine Verschnaufpause. Um drei Uhr morgens sandte der Ire seine Adjutanten aus, um alle Stabsoffiziere im Generalsrang, die in Viseu Quartier bezogen hatten aus den Betten und in das Castelo dos Corvos zu beordert. Nun endlich war der Augenblick gekommen, seinen letzten Mosaikstein für den Sommerfeldzug 1810 einzufügen und allen zu erklären, welches Spiel sie mit Frankreich spielen würden. Ein unglücklicher Leutnant wurde sogar noch mitten in der Nacht durch die Berge geschickt, um Bob Craufurd auf dem schnellsten Weg ins Hauptquartier zu holen. Die Leichte Division sollte eine ganz besondere Rolle zugeteilt bekommen, eine die ihrem Ruf und ihrem Kampfgeist würdig war. Die portugiesische Festung, die nach Ciudad Rodrigo Massenas nächstes Ziel sein mußte, war Almeida. Lord Wellington wollte vermeiden, daß sein Gegner auch nur ahnen konnte, über wie viele Informationen die Alliierten verfügten. Darum würde Black Bob ein Scheingefecht liefern und den Feind in die Berge locken.

      Genausoschnell, wie Donna Ines die französischen Chiffredepeschen für den Stab übersetzt hatte, erklärte Lord Wellington jetzt seinen Kommandeuren den endgültigen Operationsplan für den Sommer 1810. Er hatte so viel Zeit damit zugebracht drei Alternativen und eine Notlösung zu erarbeiten, daß er außer der großen Stabskarte keine Unterlagen benötigte. Rowland Hills erstes Korps zog er vorläufig aus Pontalegre an den Zezere hinter die zerstörte Estrada Nova ab. Er kommandierte noch zwei zusätzliche britische und zwei portugiesische Regimenter zu Hill ab und überließ ihm mit nun 12.000 Mann den Schutz der südlichen Flanke. Dann ersetzte er alle Kampfeinheiten im Alentejo durch Einheiten aus den Walcheren-Regimentern und portugiesische Miliz. Sie sollten seine Lebensversicherung gegen einen möglichen Dolchstoß in den Rücken des anglo-alliierten Feldheeres sein, falls die französische Andalusienarmee sich unerwartet doch gegen Portugal in Bewegung setzte.

      Wellington wollte seinem französischen Gegner jetzt, wo er wußte, daß Napoleon Massena befohlen hatte, Ciudad Rodrigo zu belagern, aufzwingen, nach dem sicheren Fall dieser Festung die Route über Almeida, nördlich des Mondego, an Celorico und Viseu vorbei nach Bussaco und Coimbra zu wählen, um seinen Marsch auf die portugiesische Hauptstadt zu versuchen. Die zweite Alternative von Ciudad Rodrigo direkt nach Coimbra und dann weiter nach Lissabon ließ er, hinter Almeida durch das Zezere-Tal, entlang der Straße Belmonte, Abrantes, Lissabon sorgfältig zerstören. Damit war der Weg durch die Serra Moradel für Geschütze unbrauchbar gemacht worden und würde auch Soldaten und Kavallerie, falls sie trotzdem versuchen sollten, Viseu und Bussaco im Süden zu umgehen, an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit treiben. Die Garnison von Abrantes wurde verstärkt, die Briten zerstörten die einzige Furt durch den Zezere und sprengten zwei große Steinbrücken über den Fluß. Arthurs Plan basierte darauf, Andre Massena auf ein Schlachtfeld zu treiben, das er selbst schon vor Monaten sorgfältig ausgekundschaftet hatte und das die beste Defensivstellung im ganzen Norden des Landes war: Der Wald und die Steilhänge bei Bussaco. Und er wollte seinen Gegner überreden, den schlechtesten, anstrengendsten und gefährlichsten Weg dorthin einzuschlagen, indem er ihm alle besseren Wege versperrte. Die spärliche Bevölkerung der Gebirgsgegend konnte man ohne Mühe nach Coimbra evakuieren und damit französischen Repressalien entziehen. Massena würde auf dem Weg von Almeida zu seiner Nemesis bei Bussaco nur noch auf bis an die Zähne bewaffnete Ordonanza und verbrannte Erde antreffen.

      Die portugiesischen Truppen von Marschall John Beresford waren endlich einsatzfähig und ihre militärische Ausbildung vollständig abgeschlossen. Lord Wellington formte neue Divisionen, in die er außer seinen britischen und deutschen Regimentern, portugiesische Einheiten integrierte. Sir Thomas Pictons Dritte Division und Lowry Coles Vierte Division waren die ersten, die in dieser neuen Form aufgestellt wurden. Sie bestanden aus jeweils zwei britischen und aus einer portugiesischen Brigade. Zusätzlich erhielten Pictons und Coles Divisionen noch eine Kompanie von Scharfschützen aus dem 60. Regiment und eine Batterie fahrbarer Artillerie. Rowland Hill und Brent Spencer behielten, bis die nächsten portugiesischen Regimenter ausgebildet werden konnten, rein britische Divisionen mit jeweils einer Brigade der Königlich Deutschen Legion. Doch um gleichzeitig zwei französische Armeen und insgesamt 150.000 Mann aufzuhalten, die aus zwei