Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


Скачать книгу

werden?”

      „Wie bitte?” Die Röte war von Sir Thomas’ Wangen auf die Nase übergesprungen. Wild schüttelte er seine steingraue Mähne.

      „Picton, Sie wissen, daß solche Informationen aus privatem Schriftverkehr immer ihren Weg in die Presse finden. Sie haben doch gerade eben erst selbst an der Walcheren-Expedition teilgenommen und konnten am eigenen Leib das Unheil erfahren, das aus Indiskretionen erwächst!” Wellington hatte sich zum ersten Mal seit Stunden bewegt. Er hatte den schweren Mantel über den Stuhl gelegt und war vor die große Stabskarte von Nordportugal getreten, die an der Wand hing.

      „Wollen Sie etwa behaupten, Mylord, daß wir hier alle Verräter sind?” Der alte Waliser war nun richtig wütend geworden. Ein Oberkommandierender, der seinem eigenen Stab nicht vertraute, war ihm in seiner langen militärischen Karriere noch nicht untergekommen. Und dann auch noch einer, der es offen vor einem guten Dutzend Offiziere im Generalsrang zugab, ohne dabei die Stimme zu erheben.

      „Sir, ich bin zwar in der Form mit General Picton nicht einverstanden”, mischte Rowland Hill sich in die Auseinandersetzung ein, „aber im Inhalt muß ich ihm leider recht geben! Es ist schwer mit einem Mann zusammenzuarbeiten, der niemanden in seine Pläne einweiht. Sie dürfen sich nicht beklagen, wenn dann defätistische Briefe nach England gehen, in denen jeder, der irgendwie schreiben kann, darüber spekuliert, wann wir uns zurückziehen, oder wie die Franzosen uns in Stücke schlagen werden!”

      „Ich beklage mich nicht, Rowland!” Wellington sah seinen Freund traurig an. Es verletzte ihn ein wenig, daß gerade Hill nicht verstehen wollte oder konnte, was er eigentlich vorhatte.“ Ich bitte Sie alle hier in diesem Raum lediglich um ein wenig Vertrauen! Ist das zuviel verlangt?”

      Brent Spencer schüttelte den Kopf: „Arthur, das gilt ebenfalls für alle hier im Raum versammelten! Wir bitten auch dich nur um dein Vertrauen! Wir haben nichts getan, was es rechtfertigt, daß du uns so schrecklich mißtraust!”

      „Bist du dir da so sicher, Brent?” Wellingtons Augen wurden plötzlich kalt. Der Nachteil eines gut funktionierenden Nachrichtendienstes war es, daß man oft auch Dinge erfuhr, die man eigentlich nicht wissen wollte. In ihrem Übereifer hatten portugiesische und spanische Partisanen schon einige Male, um eines französischen Schriftstückes Willen offizielle Postsäcke geraubt. Zuviele Briefe seiner eigenen Offiziere waren durch Arthurs Hände gegangen, in denen mit militärischen Geheimnissen sträflich leichtfertig umgegangen wurde. Konnte er überhaupt noch irgend jemandem vertraute? Sie schrieben an ihre Frauen, ihre Mädchen oder ihre Mütter und sie plauderten alles aus, was sie wußten. Es war nie böswillig geschehen, nur immer leichtsinnig. Doch der Leichtsinn und die Schwatzhaftigkeit weniger konnte in diesem Krieg viele ihr Leben kosten. Und die bösen Briefe nach England hatten ihn sehr verletzt. Seine ausgeprägte menschliche Reserviertheit hatte sich zwischenzeitlich in eine Art Scheu verwandelt, die viele nur noch als Arroganz oder Überheblichkeit interpretieren konnten.

      Wilhelm von Bock hatte kurz mit Robert Craufurd getuschelt. Beide Männer nickten einander zu. Craufurd warf noch einen Blick zu Peregrine Maitland hinüber, der an eine große Säule gelehnt am anderen Ende des Zimmers stand. Auch Maitland gab ihm mit dem Kopf ein Zeichen. „Sir Thomas, Sie sind erst vor kurzem bei uns angekommen und deshalb sicher noch nicht so ganz mit den Gepflogenheiten in unserem Stab vertraut! Es geht hier im Augenblick weder um Verräter noch um Geheimniskrämerei! Lassen Sie uns alle jetzt einfach friedlich in den Salon hinübergehen und zu Abend essen. Wir haben zu wenig Soldaten, um auch nur das geringste Risiko einzugehen. Das ist alles, was Lord Wellington sagen wollte!” Black Bob hatte Picton versöhnlich die Hand auf die Schulter gelegt und wollte ihn gerade energisch zu einer großen Holztür drängen, als Arthur ihn mit einer Geste zurückhielt: „Laß gut sein, Bob! Er hat recht! Ich muß lernen euch genauso zu vertrauen, wie ihr mir vertraut! Meine verdammte Geheimniskrämerei führt zu nichts! Ich führ mich im Moment auf, wie das Orakel von Delphi! Los! Setzt euch alle wieder hin. Bitte!” Drei Stunden später hatte der General den Anwesenden seinen gesamten Plan für den Sommerfeldzug 1810 offengelegt, so wie er in diesem Augenblick fertiggestellt war. Die meisten reagierten ungläubig. Picton, der zuvor wegen der Passivität und der Reserviertheit seines Oberkommandierenden so wütend gewesen war, war nun wegen der Tollkühnheit des alliierten Planes völlig verwirrt. Aufgeregt lief er in dem großen Raum auf und ab und murmelte, für alle deutlich hörbar vor sich hin: „Total durchgedreht! Von allen guten Geistern verlassen! Übergeschnappt! Das ist doch Selbstmord! Welcher Affe hat dich bloß in Indien gebissen, mein Junge!” Dann bremste er plötzlich scharf vor Arthur ab und schlug ihm kräftig mit seiner großen Pranke auf die Schulter: „Verrückt, aber genial! Warum eigentlich nicht ...” Wellington grinste Picton verschlagen an, dann wurde seine Miene wieder ernst und er zeigte auf die Tür zum Salon: „Können wir jetzt endlich zu Abend essen, meine Herren? Ich hab Hunger ...” Innerlich schickte er gleichzeitig ein verzweifeltes Stoßgebet los: „Und gib, gütiger Himmel, daß dieser Sack voll Flöhe für die nächsten acht oder zehn Wochen den Mund hält, oder mein Anfall von Vertrauensseligkeit wird uns alle den Kopf kosten!”

      Wie Wellington es prophezeit hatte, befaßten die Franzosen sich in diesem Frühjahr 1810 weiterhin mit der systematischen Plünderung der spanischen Provinzen und verschwendeten keinen Gedanken an Portugal oder einen Kriegszug gegen das anglo-alliierte Feldheer.

      Inzwischen war es schon Mitte April: Das Wetter war wunderbar, alle Grenzflüsse auf einen furtbaren Wasserstand abgesunken und sämtliche Straßen und Wege ausreichend trocken, um schwere Feldartillerie und Belagerungsgerät zu bewegen. „Und trotzdem stürmen keine siegessicheren Adler mit lautem Trommelwirbel und gezogenem Schwert auf die Grenze zu, um den schleichenden Leoparden ins Meer zu jagen!”, dachte der General amüsiert an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer des Castelo dos Corvos in Viseu. Langsam schienen sogar London und die politischen Entscheidungsträger in Portugal und Spanien einzusehen, daß er nur ein vorsichtiger General war und kein ängstlicher, oder gar ein verzweifelter. Bereits einen ganzen Monat lang hatte die britische Presse weder die Expedition auf die Iberische Halbinsel verdammt, noch ihn persönlich wüst beschimpft, noch über seine nächste Niederlage gegen die Franzosen spekuliert. Vielleicht hatte der Himmel ja wirklich sein Stoßgebet erhört und zumindest die Generalität, die Lowry Coles, Spencers, Erskines und anderen Defätisten hatten aufgehört, in ihren Briefen nach Hause dauernd zu quaken. Und heute hatte er offiziell über den britischen Gesandten in Lissabon und das Foreign Office erfahren, was er inoffiziell seit einem Wintertag 1809 in Badajoz schon wußte: Zu seinem Gegner war in diesem Jahr Marschall Andre Massena, der Prinz von Esslingen und Herzog von Rivoli bestellt worden. Der bärtige, baskische Partisan Jose Etchegaray, der ihm vor vielen Monaten einen blutverschmierten Brief des französischen Kaisers an seinen Bruder Joseph in die Hand gedrückt hatte, in dem dies bereits angekündigt wurde, war zwischenzeitlich oft zu Gast in Viseu, um Informationen aus dem französisch-spanischen Grenzgebiet bei Vater Robertson abzuliefern. Arthur hatte damals aus taktischen Gründen keine Meldung nach London gemacht. Es hatte ihn arrangiert, daß seine Vorgesetzten in Whitehall und in den Horse Guards vor Angst schrien und zeterten. Napoleon trug noch das seine dazu bei, indem er den Pariser ‚Monitor’ mit Propagandaartikeln füllen ließ, die kräftig unterstrichen, was für einen inkompetenten General Großbritannien doch nach Portugal und Spanien entsandt hatte. Um so unsicherer die Franzosen ihren britischen Gegner glaubten, um so mehr sie ihn selbst unterschätzten, um so leichtsinniger würden sie handeln. Außerdem hütete Arthur seine Informationsquellen eifersüchtig: Die Guerilleros von El Minas aus den Bergen von Navarra hatten sich zu großartigen Spionen entwickelt. Der britische Sergeant Dullmore, den er als militärischen Berater zu ihnen geschickt hatte, verfügte offensichtlich über Verstand und eine gehörige Portion Weitsicht. Er brachte den Partisanen nicht nur bei, wie man vernünftig kämpfte, er erklärte ihnen auch ganz präzise, welche Informationen eines Tages für seinen Oberkommandierenden wichtig werden konnten: Sollte Wellington es je bis zur Pyrenäengrenze schaffen, dann würde er nicht nur die große Grenzfestung San Sebastian belagern müssen, sondern benötigte auch Gewährsleute in der Stadt selbst, die man für Sabotageakte von Innen verwenden konnte. El Minas Truppe und sein Sergeant waren schon heute dabei, Pläne der Stadt, ihrer Befestigungsanlagen