Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


Скачать книгу

als der Inhalt der Glasvitrinen draußen. Als die junge Frau ihn schließlich bemerkte und ihrem Kollegen vorstellte, war seine Gesichtsfarbe schon recht bleich geworden.

      „Na, haben wir dir einen Schrecken eingejagt, mein Lieber? Kein Ort für schwache Nerven, was?” Sie grinste ihn vergnügt an.

      Arthur atmete dreimal tief durch: „Die Pferde stehen im Innenhof, Sarah! Wenn du mir jetzt noch einen Weg aus diesem Gruselkabinett hinaus ins Freie zeigst, der nicht an Monstern, Mumien und Knochenmännern vorbeiführt ...”

      „Ah, die Skelette und die eingelegten Organe! Das ist noch harmlos, Arthur! Zur Einstimmung, sozusagen!” Sie war mit einem alten Buch zu ihm hingetreten. „Sieh dir lieber einmal diese Zeichnungen an ...”

      Der Magen des Generals hob sich plötzlich. Es schien sich um eine sehr ausführliche Schilderung zum Thema Seuchen und ansteckende Krankheiten zu handeln. Die Bilder waren farbenfroh und ausgesprochen realistisch. Der Autor hatte für seine Leser hingebungsvoll jedes Detail skizziert. „Pfui, Spinne! Willst du, daß ich einen Herzschlag bekomme oder für die nächsten vier Wochen den Appetit verliere?” Er wendete sich mit Grausen von dem Buch ab. Lady Lennox schmunzelte Wellington boshaft an, ihr portugiesischer Kollege konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Es war eine der liebsten Beschäftigungen der jüngeren medizinischen Zunft, Außenstehende so richtig zu erschrecken. Besonders beliebt war dieses kleine Spiel bei Tisch, wenn ein einzelner Nichtmediziner anwesend war. Dann besprach man oft die letzte Operation oder Autopsie bis ins kleinste Detail und betrachtete interessiert die Veränderung der Gesichtsfarbe des Opfers. Arthur hatte in London schon einige Male solche Streiche über sich ergehen lassen müssen. Doch an diesem Wintertag war Sarah gnädig gestimmt. Sie verabschiedete sich von ihrem Kollegen mit einem Augenzwinkern. Dann führte sie den Iren durch den schönen Sala das Capelos, den Saal der Doktorhüte, eine große Aula mit kunstvoll geschnitzter und bemalter Holzdecke, azulejo-verzierten Wänden und den verschiedenfarbigen, geschnitzten Hochstühlen der Dekane und des Rektors zurück auf die Via Latina und hinunter in den Innenhof. Die beiden Pferde hatten ruhig und gelassen im ganzen Universitätstrubel gewartet. Die junge Frau klopfte ihrem großen Grauen freundschaftlich den Hals: „Willst du was Feines, mein Junge?” Sie hielt ihm einen Zuckerklumpen hin, den Libertad vorsichtig mit sanften Lippen von ihrer Hand entgegennahm. Kopenhagen schielte gierig zu seinem Nachbarn, dann scharrte er energisch mit dem rechten Vorderhuf und schnaubte. Sein Hals wurde immer länger. Schließlich erhielt auch er eine Leckerei und war zufrieden. Arthur führte die Tiere vom Innenhof auf die Straße hinaus. Beide Reiter saßen auf. Sie bogen linkerhand in die Rua San Pedro ein und nur wenige Hundert Yards weiter in den Couraca de Lisboa. Im ruhigen Trab durchquerten sie zuerst die Cidade Alta, dann die Cidade Baixa. Über den Ponte de Santa Clara erreichten sie das linke Mondego-Ufer. Arthur und Sarah ließen die Quinta das Lagrimas und das Santa Clara-Kloster hinter sich. Nur ein kleines Stück weiter, einen Hügel hinauf lag das Franziskaner-Kloster Santo Antonio dos Olivais. Vor der Pforte zügelte der General seinen Hengst, stieg ab und half Lady Lennox aus dem Sattel. An der Klosterpforte war ein großer Türklopfer aus Bronze angebracht. Das Pochen hallte durch den Innenhof, eilige Schritte kamen näher, ein Schlüsselbund raschelte und mit lautem Knarren schwangen die beiden Flügel vor den Briten auf.

      „Boa tarde! Chamo-me Lord Wellington! Pode-me dejudar, se faz favor? Ich möchte zum Bruder Botanikus, Don Henriques!”

      „Se faz favor, Generalissimo!” Der Franziskaner machte eine einladende Handbewegung. „Er erwartet Sie schon!”

      Arthur zeigte auf Sarah: „Doktor Lennox! Ich hoffe, es verstößt nicht gegen Ihre Regeln, daß ich sie mitgebracht habe?”

      „Nao, nao, Mylord! Geben Sie die Pferde Bruder Fernando und dann bringe ich Sie zu Don Henriques!”

      Sarah drückte die Zügel von Libertad und Kopenhagen einem spindeldürren jungen Franziskaner in die Hand, der in seiner braunen Wollkutte zu versinken schien. Dann folgte sie dem anderen Franziskaner und Arthur vorbei an einer mit Kapellen geschmückten Treppe zu den Hauptgebäuden.

      „Sind Sie beiden in Eile, Sir Arthur?”

      „Nein, Bruder ...?”

      „Bonifacio!”

      „Nein, gar nicht, Bruder Bonifacio!“

      „Möchten Sie, daß ich Ihnen unser Kloster zeige? Der heilige Antonius von Padua lebte hier, bevor er im Jahre 1220 nach Italien reiste!”

      „Gerne!”

      Don Bonifacio erklärte einiges über die Geschichte der Bauwerke. Dann öffnete er ein schön geschnitztes und mit kunstvollen Bronzen beschlagenes Portal zum Gotteshaus. Er kniete nieder und bekreuzigte ich mit Weihwasser, Sarah tat es ihm gleich. Der General beugte nur leicht das Haupt. Der Franziskaner lächelte: „Unser Freund Jack Robertson hat uns bereits vorgewarnt! Aber vielleicht werden auch Sie eines Tages wieder Ihren Glauben finden, mein Freund!” Der Ire blickte Don Bonifacio ein wenig traurig an: „Das Soldatenhandwerk und Gott? Sie passen in meinen Augen nicht gut zusammen! Der Krieg ist ein blutiges Geschäft, Don Bonifacio! Auge um Auge, Zahn um Zahn!”

      „Glauben Sie mir, Generalissimo! Eines Tages werden auch Sie Ihr Schwert zerbrechen und wieder Ihren Frieden finden! Schon viele Männer des Krieges haben ihren Weg zurück zu Gott gefunden! Ihr Freund Don Manuele aus Santa Clara ...!” Der Franziskaner bedeutete seinen Gästen, ihm durch das Kirchenschiff bis zum Hochaltar zu folgen: „Sehen Sie, dies ist ‚Unsere liebe Frau der Empfängnis’. Das Gemälde hat Pascoal Parente für uns gemalt.” Dann führte er sie weiter: „Das ist die Sakristei! Sieht sie nicht aus, wie eine kleine Renaissance-Kirche?”

      Nach ihrem kurzen, kunstgeschichtlichen Rundgang durch eines der ältesten Klöster Portugals, lieferte Don Bonifacio Arthur und Sarah beim Botanicus Don Henriques ab und verabschiedete sich. Im Herbarium, in dem es wunderbar duftete, denn viele Kräuter hingen zum Trocknen an den Wänden, empfing sie der alte Franziskaner: „So, meine jungen Freunde, ihr habt also von unserem schönen alten Klosterpark gehört und wollt mir einen kleinen Tauschhandel anbieten?” Er goß seinen Gästen einen fein nach Orangenschalen duftenden Tee ein. Sarah holte aus ihrer ledernen Umhängetasche ein Dutzend kleiner Säckchen hervor: „Don Henriques, ich habe hier eine reiche Auswahl an Samen, aus denen Sie Heilkräuter und Farne ziehen können, die nur auf den Britischen Inseln vorkommen“, sie legte noch ein Büchlein auf den Tisch, „und hier habe ich die Rezepturen aufgeschrieben, zu denen Sie die Kräuter verarbeiten können! Würden Sie uns dafür vielleicht zwei Sequoia-Setzlinge abtreten?” Der Franziskaner blätterte interessiert in den Aufzeichnungen, die Doktor Lennox für ihn auf Lateinisch, in ihrer kleinen, steilen Handschrift niedergelegt hatte: „Gerne, meine Liebe! Für so viele nützliche Kräutlein opfere ich jederzeit zwei meiner Setzlinge! Doch verraten Sie mir, was Sie mit den Bäumen vorhaben?” Arthur und Sarah lächelten einander ein wenig verlegen an. Dann nickten beide. „Wir wollen die Sequoia neben der Fonte dos Amores im Garten der Quinta das Lagrimas pflanzen!”

      „Eine reizende Idee, meine Kinder! Die Bäume, die den Ruf haben, ewig grün zu sein und nie zu sterben!” Der alte Franziskaner legte freundschaftlich seine Hand auf die ineinander gelegten Hände der beiden: „Gott schütze euch und bewahre euch eure Liebe zueinander für alle Ewigkeit!”

      Am späten Nachmittag verließen der General und Lady Lennox mit ihren beiden knapp zwei Fuß hohen Sequoia-Setzlingen Santo Antonio dos Olivais und kehrte in die Quinta zurück. Arthur nahm seinen Freund Don Antonio zur Seite und bat ihn um Erlaubnis, die beiden Bäume neben der Fonte dos Amores pflanzen zu dürfen. Die Augen des Portugiesen leuchteten: „Por supuesto, amigo! Es una idea muy linda, esto me ilumina el corazon! Un sello del amor por la eternidad!”

      Nach einem gemeinsamen Abendessen, es war schon kurz vor Mitternacht, entschuldigten Sarah und Arthur sich bei ihren portugiesischen Freunden. Ein Bediensteter des Hauses hatte ihnen zwei Laternen vorbereitet und eine kleine Schaufel. Gemeinsam verschwanden sie mit den Sequoias im Park. An der Fonte dos Amores pflanzte jeder einen Baum, im Mondschein zur Rechten und zur Linken der Quelle. Zwischen die beiden Pflänzchen legten sie einen kleinen Granitstein, in den ein Steinmetz in feinen Buchstaben die 136. Strophe des Canto