Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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ihre Hände in die seinen und zog sie dicht an sich. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter: „Für immer und über den Tod hinaus!” Zärtlich küßte er ihren Nacken, dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Für immer und über den Tod hinaus!“

      Der anglo-alliierte Stab war bereits seit Mitte Februar 1810 vollständig in Viseu versammelt. Nur Robert Craufurd, der mit seiner Leichten Division die Grenze bei Almeida schützte, machte noch immer regelmäßig die beschwerliche Reise durchs Gebirge, um an Lagebesprechungen teilzunehmen. Lord Wellington selbst hatte zähneknirschend sein düsteres, neues Hauptquartier hoch in den Bergen der Beira bezogen. Wie ein Vogelnest hing die Festung von Viseu, das Castelo dos Corvos über der Stadt in den Felsen, fast 5000 Fuß über dem Meeresspiegel. Diese zinnenbewehrte Templerburg aus dem 12. Jahrhundert hatte der Großmeister Gualdim Pais zum Schutz gegen die Mauren errichtet. Die Portugiesen hatten die Wehr nie zerfallen lassen. Ihre doppelten Umfassungsmauern mit den zehn flankierenden Rundtürmen und einem noch höher angelegten Bergfried mit Aussichtsturm waren vollständig erhalten. Doch das Umland war karg und ausgesprochen dünn besiedelt. Obwohl die Temperaturen im Tal und in Coimbra bereits mild und frühlingshaft waren, lag in Viseu und auf dem Hochplateau des Castelo dos Corvos noch Schnee und ein eisiger Wind bließ von Norden her über das ungeschützte Gelände. Die Festung war solide aus schwerem Granit gebaut worden, ihre Wände waren dick und anstelle von Fenstern, gab es Schießscharten. Die Herren des Tempels hatten sorgfältig an den Schutz der nördlichen Einfallsroute nach Portugal gedacht und eine unbezwingbare Wehr konstruiert, nur an Annehmlichkeiten für die Bewohner schien keiner gedacht zu haben. Das Gemäuer war einfach unbeheizbar! Die im überdimensionierten Arbeitszimmer des Oberkommandierenden versammelten Offiziere hatten sich alle in schwere Wollmäntel gehüllt, um der beißenden Kälte zu widerstehen. Sir Thomas Picton, der gerade erst als willkommene Verstärkung aus England in Portugal eingetroffen war, lief leise fluchend auf und ab und schlug die Arme um den Körper, um sich aufzuwärmen. Seine Gesichtsfarbe hatte bereits ins Bläuliche gewechselt und seine Finger waren steifgefroren. Er sehnte sich zurück in die Karibik, auf seine warme sonnige Insel Trinidad. Bob Craufurd berichtete allen Anwesenden über die letzten Entwicklungen im Grenzgebiet zwischen Kastilien und der Beira. Wellington fror erbärmlich. Die langen Jahre in Indien hatten sein Blut dünnflüssig gemacht. Selbst ein unmöglicher handgestrickter Pullover von John Dunn und der pelzgefütterte Dolman, gegen den er seine übliche, blaue Felduniform eingetauscht hatte, boten kaum Schutz vor den Temperaturen auf dem Hochplateau. Seit er das Castelo dos Corvos bezogen hatte, haßte er diesen grauenvollen Ort leidenschaftlich, doch es war der einzige, von dem aus man gleichzeitig die nördliche Einfallsstraße nach Portugal entlang des Mondego, über Celorico, Bussaco und Coimbra und den parallelen Weg, südlich des Mondego von Celorico, über Chamusca, Maceira, Ponte de Murcella und Coimbra überblicken konnte. Mehr als 100.000 französische Soldaten hatten in den Wintermonaten die Pyrenäen überschritten, um König Josephs Truppen zu verstärken und seine Herrschaft über Spanien zu festigen. Die schwer erkämpfte Unabhängigkeit des portugiesischen Verbündeten wurde erneut bedroht. Nur zu genau konnten die Alliierten in diesem Augenblick die Gefahr aus dem Norden einschätzen, denn ein unablässiger Strom von Informationen erreichte Wellingtons Nachrichtendienst in Viseu. In seinem Hauptquartier trafen nicht nur regelmäßig Zeitungen in fünf Sprachen und Depeschen aus England und aus ganz Europa ein. Auch die Guerilleros Spaniens, die irischen Seminaristen der gesamten Iberischen Halbinsel und sein eigener, stetig wachsender Spionagedienst lieferten täglich wertvolle Informationen, aus denen er langsam, Mosaikstein um Mosaikstein, seinen eigenen Operationsplan für den Sommerfeldzug 1810 entwickelte. Meist las er selbst bis tief in die Nacht, oder befragte Spione und Guerilleros. Bevor er seine endgültigen Pläne sowohl Whitehall als auch dem alliierten Stab mitteilen konnte, wollte er sich zu Hundert Prozent sicher sein, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Wellingtons Verstand wurde von einer reinen, mathematischen Logik beherrscht und in den langen Jahren seines Armeedienstes war er ein harter Realist geworden. Er verstand nur zu gut, was in Portugal und Spanien mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln machbar war, ohne ein zweites Talavera zu erleben. Trotzdem gestand er sich noch Kreativität und ein wenig Phantasie zu, um zu spekulieren, was „auf der anderen Seite des Hügels” geschah. Mit jedem Tag, der verging, wurden ihm die Franzosen vertrauter. Er war sich in diesen Augenblicken, wenn er alleine durch die Berge ritt, oder seine großen präzisen Stabskarten betrachtete absolut sicher, daß Portugal verteidigt werden konnte und daß seine Taktik der Zurückhaltung und des Abwartens die richtige war, auch wenn die Verbündeten und seine Regierung ihn dafür beschimpften. Wie er bereits in den Wochen nach Talavera befürchtet hatte, war Sevilla für die Oberste Junta Spaniens nach dem Verlust der Armeen von General Areizagos und dem Duque Del Parque unhaltbar geworden. Sie hatte sich auf Cadiz zurückgezogen und Soult hatte die Exilhauptstadt Spaniens mit dem 1. Armeekorps belagert. Die schrecklichen Dragoner Latour-Maubourgs waren ihm zu Hilfe gekommen und hatten die rechten Flanke Sevillas bedroht und jegliche Verbindungen der Provinz Estremadura mit Kastilien und Leon unterbrochen. Am 1. Februar 1810 war König Joseph im Triumph in der alten Stadt eingezogen. Er bewohnte nun den Reales Alcazares und konnte sich zum ersten Mal wirklich als Herrscher über das ganze Land fühlen. Marschall Victor hatte General Zerain aus Almaden vertrieben und marschierte auf Cordoba, um sich dort mit Marschall Junot zu vereinigen. Obwohl die Oberste Junta den Generälen Albuquerque und Del Parque Marschbefehl erteilt hatte, war in Wellingtons Augen doch schon alles verloren. Lange bevor die Spanier Cordoba erreichen konnten – Albuquerque befand sich in der Estremadura, Del Parque irgendwo in den Bergen zwischen Bejar und Ciudad Rodrigo – waren die Franzosen in das Tal des Guadalquivir einmarschiert. Die Oberste Junta stürzte und wieder einmal versank das Land im politischen Chaos, denn Castaños, de la Romaña, Palafox und die anderen jungen Generäle ertrugen die Fehlentscheidungen ihrer politischen Führer nicht mehr und erhoben sich gegen den Erzbischof von Leodicea, den Conde de Altamira und den unfähigen General Eguia. Zu Arthurs großem Bedauern waren seine spanischen Kollegen heute untereinander genausozerstritten, wie die Intrigantenclique der alten Höchsten Junta es vor ein paar Monaten auch gewesen war. Damit hatte König Joseph Bonaparte sein Spiel vorerst gewonnen. Napoleon konnte mit seinem älteren Bruder zufrieden sein und sich ganz seiner jungen Gemahlin, Marie-Louise von Habsburg und der Gründung einer Dynastie widmen. Für die Alliierten hatte diese Situation insgeheim natürlich doch einen Vorteil: Der Kaiser würde der Iberischen Halbinsel in diesem Jahr wahrscheinlich noch nicht die Ehre geben ...

      In Spanien war der offene Widerstand gegen die französische Okkupation zu diesem Zeitpunkt zu einem Ende gekommen. Nur noch in Cadiz und in der unzugänglichen Sierra Nevada flackerte der Aufruhr. Andalusien war unterworfen und wurde von einer Streitmacht von 70.000 Franzosen besetzt, Loison, Thouvenot und Kellermann wüteten grausam in der Provinz, sie plünderten, raubten und mordeten und schürten damit den Haß des einfachen Volkes in einem unbeschreiblichen Maß. Die Guerilleros, die die Grenze bei Nacht überquerten und sich entweder bis Almeida oder bis in Wellingtons Hauptquartier durchschlugen erzählten von übelsten Schandtaten. König Joseph bezeichnete diese Akte des Grauens als Pazifikation, Arthur nannte sie nur noch zynisch die Ouvertüre zu Napoleons Niederlage an der iberischen Front. Sie waren so unglaublich selbstsicher, diese Männer aus Paris. Sie waren so unfähig zu verstehen, welche Büchse der Pandora sie in Spanien geöffnet hatten. Sie waren so ungeduldig und wollten alles sofort: Land, Macht, Geld, Titel. Napoleon schien nur Männer in seinem engsten militärischen und politischen Umfeld zu dulden, denen die wichtigste Grundtugend eines jeden fähigen Soldaten und Diplomaten fehlte: Geduld! Und Geduld hatte ihr britischer Gegner im Übermaß. Anstatt sich zu vereinigen und über die portugiesische Grenze vorzustoßen, befaßten die Marschälle sie lieber mit dem Plündern eines Landes, das sowieso kaum noch über Reichtümer verfügte und deren rebellische Bevölkerung ihnen nur Ärger bereitet. Sie gaben Wellington alle Zeit der Welt, die Wälle von Torres Vedras zu Ende zu bauen und den portugiesischen Teil der Estremadura für ihren würdigen Empfang vorzubereiten. Arthur hatte fast zehn Jahre gebraucht, um sich selbst und die Gesetze des Krieges zu begreifen. Doch im Frühjahr 1810 besaß er nun endlich dieses unumstößliche Selbstvertrauen, das notwendig war um jeden Gegner in die Knie zu zwingen, selbst einen Napoleon Bonaparte mit seiner sieggewohnten französische Armee. Ein Feldherr, der nicht danach strebte, aus Eitelkeit die Grenzen des Ruhmes zu überschreiten