Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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Zeichnung der Befestigungsanlagen von San Sebastian betrachtete, die jedem studierten Militäringenieur Ehre gemacht hätte und Dullmores sorgfältige Einschätzung von Mauerstärken, Entfernungen, und Schwachstellen las, nahm er sich vor, daß dieser Mann lange genug Sergeant gewesen war. Er würde Etchegaray bei seinem nächsten Besuch in Viseu ein Offizierspatent mitgeben. Zufrieden goß er sich die vierte Tasse Kaffee dieses Morgens ein und schnippte mit dem Finger ein weiteres Blatt Papier von einem großen Stapel hinunter, vor sich auf den Tisch: Massena, Fortunas Liebling! Seit er im Jahre 1796 spektakulär den entscheidenden Angriff bei Arcole geführt und damit Bonaparte zu einem überragenden Sieg gegen den Österreicher von Alvintzy verholfen hatte, hatte ihn das Kriegsglück nie verlassen. Malborghetto, Zürich, Caldiero, Ebersberg waren seine eigenen, ganz persönlichen Siege gewesen. Im Jahre 1807 wurde er des Kaisers Statthalter in Polen. Anschließend hatte er seinem Herrn erneut wertvolle Dienste gegen Österreich geleistet; Aspern, Esslingen und Wagram. Ein wahrlich beeindruckender Gegner! Belustigt las Arthur im Angesicht dieser glorreichen militärischen Karriere noch einmal Jack Robertsons Memorandum über Andre Massena durch, das man ihm an diesem Morgen auf den Tisch gelegt hatte: Der Prinz von Esslingen war nicht nur ein berüchtigter Plünderer, den seine maßlose Gier nach Gold und Geld schon seit 20 Jahren regelmäßig zu den übelsten Schandtaten antrieb, sondern offensichtlich auch ein hoffnungslos sentimentaler Mann. Er ließ sich doch tatsächlich von seiner jungen Geliebten, einer Mademoiselle Henriette Leberton auf die Halbinsel begleiten und versteckte die Kleine, verkleidet als Husarenoffizier in seinem Hauptquartier. Die Quellen des Benediktiners berichteten, daß Massena sich wenig um sein neues Kommando kümmerte, den größten Teil der täglichen Arbeiten seinen Adjutanten überließ und noch keinen Operationsplan vorgelegt hatte. Bei so viel Zerstreuung und Kurzweil mit Mademoiselle Leberton würden dem Franzosen sicher noch einige Details mehr entgleiten. Außerdem hatte Robertsons Gewährsmann in Massenas Hauptquartier bei Salamanca geglaubt, eine Art Kriegsmüdigkeit bei dem bewährten Gefährten Bonapartes zu entdecken. Und außerdem schien er auch körperlich nicht gerade in Bestform: Er sprach dem Alkohol mehr zu, als ein vernünftiger Mann dies tun sollte, verbrachte seine Tage mit Mademoiselle Leberton im Bett und seine Nächte im Theater, in der Oper und bei anderen gesellschaftlichen Vergnügungen.

      Robertsons Gerüchteküche! Ganz im Stile seines römischen Mutterhauses, des Heiligen Offizium, hatte der schottische Benediktiner Dossiers über jeden hohen und höheren französischen Offizier angelegt, der den Alliierten gegenüberstand oder gegenüberstehen könnte. Zu Anfang hatten diese voyeuristischen Einsichten in die Privatleben seiner Gegner Arthur furchtbar erschreckt. Er hatte seinen Geheimdienstchef empört darüber aufgeklärt, daß ein Offizier und Gentleman sich mit solchen Dingen nicht abgab. Robertson räumte seine Bedenken radikal aus: „Ich bin weder Offizier noch ein Gentleman, sondern ein einfacher Diener der heiligen Mutter Kirche! Und im Augenblick heiligt der Zweck die Mittel, mein Junge!”, war die zynische Antwort des Schotten gewesen. Zwischenzeitlich hatte auch der General akzeptiert, daß es durchaus angebracht sein konnte, sich außerhalb der Dienstzeiten weiterhin wie ein Gentleman zu benehmen. Aber als Oberkommandierender des personalschwachen anglo-alliierten Feldheeres, angesichts einer zehnfachen, französischen Übermacht, konnte er sich dieses Faible vielleicht nicht leisten.

      Massena war also kriegsmüde und gesundheitlich nicht mehr auf dem Zenit! Fein! Genau diese beiden Probleme hatte Arthur für sich selbst gerade überwunden: Seine Truppen hatten sich von Talavera und dem anstrengenden Rückzug quer durch Spanien prächtig erholt. Man hatte ihm aus England sogar die Überreste der Walcheren-Korps als Verstärkung geschickt. Die Männer waren zwar ein wenig schwächlich vom Fieber aus den holländischen Sümpfen, doch für Garnisonsdienst einsetzbar. Damit konnte er seine kampfstarken Einheiten aus Lissabon und aus den Befestigungsanlagen Portugals abziehen und die lokale Miliz mit den etwas kränklichen Walcheren-Soldaten vermischen, um dem eigentlichen Feldheer den Rücken freizuhalten. Für sich selbst hatte er beschlossen, alle Rückschläge der Jahre 1808 und 1809 zu begraben, die Konvention von Cintra und das Kriegsgerichtsverfahren radikal aus seinem Gedächtnis zu streichen, die Toten von Talavera in Frieden ruhen zu lassen und sich über die Defätisten und Schandmäuler in London und in seinem eigenen Feldheer nicht mehr zu ärgern. Seit die Wälle von Torres Vedras fertig waren, wußte der Ire, daß die Franzosen ihren nächsten Schritt gegen Portugal bitter bereuen würden und ihm damit den Weg öffneten, um endlich den Krieg über die Grenze nach Spanien hineinzutragen. Seine eigenen Verletzungen, die er bei Talavera davongetragen hatte, waren inzwischen auch halbwegs verheilt. Er hatte kaum noch Schmerzen. Und trotz des anfänglichen Pessimismus der Ärzte, war weder seine linke Schulter steif geblieben, noch hatte sich sein Körper für die ganzen Schindereien und Anstrengungen der letzten Jahre an ihm gerächt. Alles, was ihn noch an diese schlimmste Schlacht seines Lebens erinnerte, waren eine häßliche Narbe und manchmal, nachts, wenn er alleine war und zuviel nachdachte – Alpträume! Die Gespenster jedes seiner Siege verfolgten ihn schon seit einem Jahrzehnt gnadenlos und es wurden immer mehr und ihre stummen Schreie in seinem Kopf wurden immer lauter. Zu den anonymen Opfern seiner Schlachten gesellten sich noch die Phantomgestalten derjenigen, die von seiner eigenen Hand den Tod gefunden hatten. Doch davon erzählte er nicht einmal Sarah etwas! Er hatte wohl irgendwie gelernt, mit seinen Alpträumen umzugehen: Er mußte eigentlich nur vermeiden, alleine zu sein, wenn es dunkel wurde! Meist schlief er nicht in seinem Quartier, sondern bei Sarah ... Wellington fixierte die Buchstaben auf dem weißen Blatt Papier: „Aber am Tag habt ihr noch keine Macht über mich! Zum Teufel mit euch, laßt mich in Ruhe! Verschwindet!“, zischte er seinen Gespenstern böse zu. Dann legte er das Dossier „Massena” energisch zur Seite, stand vom Schreibtisch auf, nahm die Kaffeetasse mit und ging langsam vor der großen Karte Südportugals an der Wand des Arbeitszimmers auf und ab. Er war ausnahmsweise einmal mit sich zufrieden. Die Befestigungsanlagen vor Lissabon waren fertig und trotzdem immer noch geheim. Wie erstaunt würde der französische Marschall sein, der nur knapp zwölf Meilen vor Lissabon feststellte, daß er nicht mehr vorwärts und nicht mehr rückwärts gehen konnte. Er würde in diesem Augenblick lernen, daß sein Nachschubsystem unzureichend war, das besetzte Feindgebiet nicht einmal ausreichte, um eine alte Katze zu ernähren und die Berge um ihn herum von Partisanen, Ordonanza und Briten wimmelten, die nur darauf warteten, seinen Männern die Kehlen durchzuschneiden.

      Etwa 2000 Yards weiter bergabwärts, in einem großen Steinhaus in Viseu brach genau in diesem Moment die Hölle los: Der Grund für den ganzen Aufruhr war ein überraschender Besuch Donna Ines’ der Gemahlin von Wellingtons portugiesischem Adjutanten Don Antonio Maria Osorio Cabral de Castro. Pater Jack Robertson, Hauptmann Burgersh, Oberst Grant und John Warren Doyle, ein blutjunger irischer Seminarist aus Coimbra, der eine besondere Gabe für die höhere Mathematik besaß und darum für den Chiffrierdienst des alliierten Geheimdienstes auf der Iberischen Halbinsel rekrutiert worden war, standen kopfschüttelnd und ungläubig über ein paar Blatt Papier gebeugt, während eine atemlose, aber triumphierende Ines sich sehr undamenhaft in den nächsten Sessel warf und laut nach einem Glas Brandy rief.

      „Das ist unmöglich, meine Tochter! Zehn Männer haben seit sieben Monaten versucht, den französischen Code zu entschlüsseln und Sie kommen einfach von Coimbra herübergeritten, schmeißen uns diese Blätter auf den Tisch und erklären uns, daß Sie es an einem einzigen Tag fertiggebracht haben ...” Jack Robertson war vor lauter Erregung feuerrot angelaufen.

      „Antonio hat mir im letzten Winter diese französische Depesche einmal gezeigt und mich gefragt, ob ich irgendeine Idee dazu hätte. Dann habe ich sie in meinen Schreibtisch gelegt und vergessen ... Vorgestern morgen, als ich mein Haushaltsbuch aufschlug, habe ich sie eben wiedergefunden ... Es ist eigentlich gar nicht schwierig, Vater Jack. Der ursprüngliche Text war Französisch, dann hat man ihn ins Lateinische übersetzt und jeden Buchstaben durch einen Buchstaben zehn Stellen weiter im Alphabet ersetzt. Und den ersten verschlüsselten Text hat man ein zweites Mal verschlüsselt, indem man anstelle der Buchstaben die Zahlen geschrieben hat, die ihren Platz im Alphabet bezeichnen. Um diese Zahl zu maskieren haben die Franzosen dann einfach wahllos zwei weitere Zahlen und einen griechischen Buchstaben vor die Platznummer des Alphabets geschrieben. Das war es aber auch schon!” Die junge Portugiesin hielt ihr Glas Brandy in der Hand und nippte den Alkohol in kleinen Schlucken. Sie war wie der Teufel 30 Meilen alleine durch die Berge geritten, völlig verschwitzt und außer Atem und nicht wenig stolz auf sich. Burgersh trat zu ihr hinüber