Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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Er war wütend, daß der General sich einer solch unnützen Gefahr aussetzte, durch einen instabilen Tunnel von mehreren hundert Yards Länge in eine gefallene Festung zu kriechen, in der vor wenigen Stunden irgend etwas aus irgendeinem Grund explodiert war. Außerdem war ihm völlig gleichgültig, ob Almeida durch Verrat, oder durch ein Unglück gefallen war. Das Unglück hatte seinen Zeitplan durcheinandergebracht. Das Feldheer mußte nun mit den Adlern um die Wette nach Bussaco laufen. Wer zuerst ankam, konnte die defensiven Stellungen für sich beanspruchen! Mit nur 33.000 Mann gegen Frankreichs gesamte Portugalarmee, war es für Wellington überlebenswichtig, den Wettlauf zu gewinnen. Noch bevor er vom Pferd steigen konnte, sah er in den Büschen ein von Erde verschmiertes Gesicht und eine dreckige, grüne Uniform auftauchen.

      „Bob, bist du von allen guten Geistern ...” Wellington konnte nicht zu Ende sprechen. Craufurd preßte atemlos hervor: „Ein Unfall und dann Verrat. Die Portugiesen haben Cox an Ney ausgeliefert und kapituliert!”

      „Es ist unwichtig, Bob! Sie werden Cox anständig behandeln. Er ist ein Kriegsgefangener, und der rote Michel ist trotz all seiner Fehler und Unzulänglichkeiten ein Ehrenmann! Ich werde einen Kurier mit Geld für den Oberstleutnant und einem Brief für Ney losschicken: Vielleicht gibt er ihn ja zurück. Er wollte Almeida, nicht unseren Offizier!”

      Spät in der Nacht trafen Craufurd und Wellington in General Pictons Hauptquartier in Pinhel ein. Arthur schickte sofort einen Kurier mit einer weißen Fahne, einer Börse und einem Schreiben an den französischen Marschall nach Almeida. Bereits in den frühen Morgenstunden kehrte der Mann, begleitet von einem erschöpften, aber lebenden William Cox nach Pinhel zurück. Cox drückte dem Iren einen Umschlag in die Hand. Neugierig erbrach Arthur Michel Neys Siegel: „Très Cher Adversaire! Ihre Anwesenheit beim Fall von Almeida war mir eine große Ehre und Befriedigung! Sie haben mir am Coa eine blutige Lektion erteilt, und ich habe mehr als 500 meiner Soldaten dabei verloren. Was für ein Mann sind Sie, dem es gelingt, mit einer einzigen, kümmerlichen Division ein ganzes französisches Armeekorps in die Knie zu zwingen? Wir werden uns bald wieder gegenüberstehen und dann werde ich Ihnen zeigen, wie Frankreich kämpft. A bientôt, mon Ami! Ney”

      Der Brief des Herzogs von Elchingen entlockte Arthur ein Lächeln. Seine Frage war nicht dumm! Vielleicht sollte man ihm ausnahmsweise einen Kurier mit einer Antwort zurückschicken um die Fronten klar abzustecken. Der Ire setzte sich an den groben Holztisch, der Picton als Arbeitsplatz diente: „Merci pour la vie de Lieutenant Colonel Cox! Je n’oublierais pas Votre geste! Sie sind ein Ehrenmann, Michel Ney, und ich bin der Mann, der Sie und jeden Adler, der heute auf der Iberischen Halbinsel steht, dorthin zurückschicken wird, woher Sie gekommen sind – nach Frankreich! Sagen Sie das Ihrem Kaiser! Au revoir à Paris! Wellington“

      Dann vergingen schleichend langsam drei Wochen. Massena und seine riesige Portugalarmee rührten sich einfach nicht vom Fleck. Ney, Soult und Junot schienen in Almeida eingeschlafen zu sein. Die Alliierten verstanden die Welt nicht mehr. Die Zeit, die sie für sich hatten gewinnen wollen, indem sie Napoleons Marschälle vor Ciudad Rodrigo und Almeida zur Belagerung zwangen, schenkte der alte Fuchs ihnen jetzt einfach so. Weder Arthur noch seine Kommandeure konnten irgendeine Logik oder einen präzisen Plan im Handeln ihres Gegners erkennen. Pater Jack Robertson und sein gesamter Nachrichtendienst waren genausoratlos. Der alte Priester hatte am Ende nur noch eine Idee: Vielleicht lag es ja an Mademoiselle Leberton!

      Am 15. September endlich setzten Ney und Junot sich zu Wellingtons Erleichterung von Almeida aus wieder in Bewegung. General Reynier war inzwischen mit der Vorhut Massenas nach Norden gezogen und näherte sich bereits Guarda. Der französische Kommandeur hatte hier die Wahl zwischen drei verschiedenen Wegen, die er einschlagen konnte. Die verführerischste Straße war die von der spanischen Grenze nach Coimbra entlang des südlichen Mondego-Ufers nach Ponte de Murcella und dann über den Alva. Wellington hatte hier die portugiesischen Bauern veranlaßt, Hindernis um Hindernis zu bauen; aus Erde, aus Steinen, aus Holz; alles, was eine Armee in Bewegung Zeit und Kraft kosten würde. Südlich dieser Route verlief ein Maultierpfad von Guarda durch Castello Branco, der den Tejo bei Villa Velha erreichte – eine Art Abkürzung, wenn man es auf dem Weg nach Lissabon besonders eilig hatte. Doch diese Piste konnte Reynier nur durch Zufall finden: Sie war auf keiner Karte verzeichnet. Und es gab die Nordroute über Trancoso und Viseu nach Bussaco. Diese Straße war die schlechteste unter den schlechten Straßen Portugals und auch noch der mit Abstand längste und beschwerlichste Weg nach Lissabon und für Artillerie eigentlich gar nicht gangbar. Außerdem war das Gelände von portugiesischer Ordonanza durchsetzt, und hinter jedem größeren Stein lag inzwischen eine grüne Jacke aus Craufurds Leichter Division, das Baker-Gewehr im Anschlag, hundert Schuß Munition und Verpflegung für eine fast endlose Zeitspanne im Tornister. Andre Massena wählte ohne jeglichen Zwang durch das anglo-alliierte Feldheer genau diesen Weg aus. Wellington war von Herzen erleichtert und gleichzeitig überrascht über die offensichtliche Unkenntnis seines Gegners, was Portugals Geographie anbetraf. Außerdem hatten Robertsons Spione aus Almeida berichtet, daß die Franzosen lediglich für 13 Tage Proviant mit sich führten. Dies bedeutete, daß der Gegner die zu bewältigende Strecke absolut nicht einschätzen konnte.

      Während Massena, Ney und Junot sich durch gefährlichstes Gelände quälten, Tag und Nacht aus den Bergen von unsichtbaren Feinden beschossen wurden, allmorgendlich Dutzende von Soldaten mit durchschnittenen Kehlen begraben mußten, und bereits auf halber Strecke nach Bussaco, kurz vor Viseu ihren gesamten Proviant aufgebraucht hatten, marschierte das anglo-alliierte Feldheer über die Hauptstraße von Celorico nach Bussaco. Hills Division hatte von Süden her Bussaco bereits in einem regelrechten Sommerspaziergang erreicht, und Leith hatte eine neu geformte, portugiesische Division über die Küstenstraße und Coimbra in die Hügel von Wellingtons Schlachtfeld geführt. In der Nacht des 25. Septembers 1810 hatte sich das gesamte anglo-alliierte Feldheer in den Wäldern und entlang der Serra do Bussaco auf einer Gesamtlänge von zwölf Meilen versammelt. Jedes einzelne Regiment befand sich bereits in seiner für die Schlacht ausgewählten Stellung. Insgesamt standen 50.000 Infanteristen in dieser stärksten Defensivposition Portugals. Nur Bob Craufurds Leichte Division war noch nicht angekommen. Sie lief vor den zu Tode erschöpften Franzosen her, provozierte sie zu kleinen Scharmützeln, schoß hier und da, um dann im Nichts zu verschwinden und trieb Massena in eine tiefe Verzweiflung und Michel Ney zu einem unbeherrschten Wutanfall. Die französische Portugalarmee hatte in den Bergen fast tausend Männer verloren. Sie hatten Hunderte Pferde und Zugtiere mit gebrochenen Beinen nottöten müssen, Geschütze großen Kalibers waren die Felshänge hinabgestürzt und Dutzende von Gepäckwagen waren aufgegeben worden, da sie nicht aus dem knietiefen Schlamm befreit werden konnten. Ein Guerillero brachte triumphierend einen blutigen Fetzen Papier zu Lord Wellington. Massena hatte an seinen Kaiser in Paris geschrieben. Der Kurier war nicht einmal drei Meilen weit gekommen. Der Brief war ein Manifest der Hoffnungslosigkeit. „... wir marschieren durch eine Felswüste! Nirgendwo irgendwelche Lebenszeichen. Die Männer verhungern ... Warum, Sire, habt Ihr gerade mich in diese Hölle geschickt? War ich euch nicht immer euer treuer Kamerad gewesen? Warum?” Bitter dachte Arthur: „Es ist vielleicht besser, daß du diesen Brief nie lesen mußt, Bonaparte! Morgen oder übermorgen wird dein alter Freund seine Nemesis treffen und dann wirst du in Paris nur noch eines erfahren: Egal, wie viele Soldaten du hierherschickst, du kannst weder Portugal noch Spanien erobern, geschweige denn halten! Die Natur ist gegen dich, die Bevölkerung ist gegen dich und wir werden solange kämpfen, bis du zurück über die Pyrenäen nach Frankreich verschwindest. Und wenn es sein muß, auf den Knien und bis zum letzten Mann ...”

      Wellingtons gesamte Front war nun beinahe 15 Meilen lang und erstreckte sich vom Karmeliterkonvent im Wald von Bussaco bis nach Penacova am Mondego. An der rechten Flanke, direkt am Fluß, hielten Hills portugiesische und britische Soldaten einen etwa drei Meilen langen Abschnitt. Direkt zu ihrer Linken stand die Brigade Barnes aus der Fünften Division. Damit waren mehr als 15.000 Soldaten bereit, die Franzosen an der rechten Flanke gebührend zu empfangen, egal ob sie zur äußersten Linken über den Mondego kommen würden, oder frontal von vorne. Die linke Flanke der Position von Bussaco hatte Wellington Lowry Coles Vierter Division mit 4500 britischen und 2800 portugiesischen Soldaten zugeteilt. Diese Stellung war die unsicherste seiner ganzen Front, denn es gab einen schlechten Maultierpfad, der nördlich um die Serra führte und mit Hilfe dessen man das anglo-alliierte