Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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war noch nicht in Bussaco angekommen. Ein kurzes Stück von Lowry Cole entfernt stand seine einzige Reserve, eine magere Brigade der Königlich Deutschen Legion, nur 2000 Mann stark und eine ebensoschwache portugiesische Brigade mit nicht einmal 2300 Soldaten. Der höchste Punkt der Serra de Bussaco war die Stellung der Fünften Division unter General Leith, die zwei Straßen im Vorfeld dieser Stellung versperrten Craufurd und Picton mit ihren beiden Divisionen: Black Bob hielt den Paß von Sulaspur, Sir Thomas den von San Antonio. Die gerade erst angekommenen, kampfunerfahrenen portugiesischen Regimenter plazierte Arthur entlang einer Höhe auf zwei Meilen zwischen Picton und seiner rechten Flanke, in der sichersten Stellung seiner ganzen Frontlinie. Nachdem der Oberkommandierende und seine Adjutanten diesen Kraftakt vollbracht hatten, über 15 Meilen 50.000 Soldaten vernünftig aufzustellen, befahl Arthur alle Offiziere im Generalsrang in sein provisorisches Stabsquartier im Karmeliterkloster von Bussaco. Er untersagte streng, trotz der beißenden Kälte und dem Regen, irgendwelche Feuer anzuzünden, damit die französische Vorhut seine Aufstellung nicht ausmachen konnte. Pater Jack Robertson unterrichtete alle Anwesenden davon, daß ihnen 66.000 Franzosen gegenüberstanden: Das Zweite Korps unter Reynier, das Sechste unter Ney und das Achte unter Junot. Die Adler hatten 3.500 Kavalleristen und 115 Geschütze dabei.

      Tom Picton klatschte zufrieden in die Hände: „Nur 15.000 Mann mehr als wir haben! Das geht noch an!” Hill runzelte mißmutig die Stirn: „Was wollen die Herren aus Paris hier mit so viel Kavallerie anfangen? Und mit ihren schönen Geschützen können sie kaum den Berg nach oben schießen! Hat Massena den gar keine Ahnung von der Geographie Portugals?”

      „Ach, hört auf, euch zu beschweren oder zu prahlen! Wir haben dafür fast 20.000 Portugiesen, die noch nie im Feuer gestanden sind! Schlagen wir uns zuerst mit den Franzosen, dann werden wir herausfinden, wer strahlender zweiter Sieger in diesem Wettkampf wird!” Wellington war einerseits hochzufrieden mit der Moral seiner Generäle, Offiziere und Soldaten, doch andererseits hatte er eine heilige Angst vor zuviel Selbstvertrauen. Der heißblütige Picton schlug sich zwar wie ein Berserker, aber nicht immer unter Einsatz all seiner geistigen Fähigkeiten, und der ruhige, umsichtige Hill ließ sich im Eifer des Gefechts immer wieder zu Affekthandlungen hinreißen, die von großem persönlichen Mut, aber nicht unbedingt von ausgeprägtem Gefühl für Taktik zeugten. Dann bat er General von Bock und Freddy Ponsonby zu sich. Leise, damit niemand hören konnte, was er mit den beiden Kavalleristen besprach, erklärte er: „Freddy, du nimmst alle leichten Reiter und verschwindest an unsere äußerste rechte Flanke, an den Ponte de Murcella! Nur für den Fall, daß ein paar Franzosen sich dorthin verirren ... Vertreib sie, aber laß dich nicht auf ernsthaftes militärisches Geplänkel ein! Wilhelm, du führst alle deutschen Reiter und alle britischen Dragoner, außer zwei Schwadronen der 4., nach Mealhada. Ihr könnt auf diesem Terrain nicht kämpfen. Eure Tiere würden sich die Beine, die Männer das Genick brechen! Seid mir nicht böse, aber Bussaco wird eine Infanterieschlacht. Damit Cotton nicht ganz vergrätzt ist, lasse ich ihm zwei Schwadronen und verstecke ihn bei Picton hinter dem San Antonio-Paß, in der Hoffnung daß er dort keinen Unsinn macht. Dann schreibe ich ein paar gute Worte über seinen heldenhaften Einsatz nach London, egal wie diese Geschichte hier ausgeht!”

      „Und dann, Arthur?“

      „Nun, wenn alles vorbei ist und wir waren siegreich, dann werdet ihr frisch genug sein, um die Franzosen ein bißchen zu verfolgen! Im gegenteiligen Fall ...” Wellington hob die Schultern und machte ein bekümmertes Gesicht, „verschwindet ihr am besten nach Peniche und schifft Reiter und Pferde nach England ein! Ihr braucht nicht auf uns zu warten! Zieht los, bevor Cotton etwas merkt.” Wellington verabschiedete seine Generäle. Die beiden nächsten Tage würden für alle sehr anstrengend werden. Sollten sie noch eine ruhige Nacht verbringen. Die meisten hatten eine Mönchszelle bekommen, während die Padres alle auf dem Boden im Refektorium nächtigten. Die Mönche von Bussaco hatten mit stoischer Gelassenheit seine Entscheidung hingenommen, gerade an diesem historischen Ort die Franzosen zur Schlacht zu stellen. Nachdem alle anderen den Raum verlassen hatten, nahm der Prior den Iren zur Seite, um ihn an seinen Besuch im Januar des Jahres zu erinnern: „Ich hoffe, mein Freund, Sie haben die Bronzetafel mit dem Dekret Papst Urbans am Tor zu unserem Park nicht vergessen? Jeder, der einen Baum zerstört ...”

      „Don Hernando, Sie können mich kreuzigen und vierteilen oder exkommunizieren, aber ich habe so wenig Soldaten und die Franzosen sind so übermächtig, daß ich mich nur aus der stärksten Defensivstellung Nordportugals heraus mit ihnen schlagen kann! Unglücklicherweise ist das eben Bussaco! Meine Hitzköpfe, die Sie gerade kennengelernt haben, freuen sich, weil es diesmal nur 15.000 Franzosen mehr sind. Das ist eine Milchmädchenrechnung! Sie vergessen alle, daß ihre portugiesischen Soldaten, 20.000 an der Zahl, gerade erst aus den Ausbildungslagern gekommen sind und noch nie einen Kampfeinsatz gesehen haben.”

      „Wir werden für Sie um Gottes Hilfe bitten, Mylord! Werden Sie Monsieur Massena schlagen?”

      Arthur zuckte resigniert die Schultern: „Ich werde es versuchen! Ich weiß nicht! Vielleicht! Verdammt, Don Hernando, sagen Sie Ihren Padres, sie sollen beten wie der Teufel! Nur der Himmel und eine gehörige Portion Glück können uns jetzt noch helfen!” Der Prior legte dem General beruhigend die Hand auf die Schulter und geleitete ihn zu einer der Zellen hinter dem Kreuzgang seines Klosters: „Sie sollten versuchen, auch ein wenig zu schlafen, mein Sohn! Sie werden morgen Ihre ganze Kraft und einen wachen Verstand benötigen. Sagen Sie sich einfach, daß Gott immer denen hilft, die für die gerechte Sache streiten!”

      Wellington setzte sich auf die Pritsche. Sein Atem ging schwer und er hatte das Gefühl, ein riesiger Stein würde seinen Brustkorb zerquetschen. Langsam schüttelte er den Kopf. Dann zischte er dem Karmeliter böse zu: „Gott? Welcher Gott? Ich habe meinen Glauben an ihn vor so langer Zeit in einem anderen Krieg verloren! Irgendwann, während eines grauenvollen Winterfeldzuges gegen die Truppen der Revolution! Niemand hat die Toten je gefragt, ob sie für eine gerechte Sache gekämpft haben oder für einen schurkischen Halsabschneider! Sie waren einfach nur tot! Erfroren, verhungert, in sogenannten Behelfslazaretten an Wundbrand krepiert, weil keine Ärzte da waren, um ihnen zu helfen, zurückgelassen an den vereisten Ufern der Ems, ertrunken in der Aller! Das alles liegt jetzt schon fast 20 Jahre zurück! Irgendwann habe ich aufgehört, die Toten zu zählen. Zuviele für ein einzelnes Gewissen!” Er verschränkte die Arme fest vor der Brust, damit der Prior nicht sah, wie sehr seine Hände zitterten. „Und wie viele mehr werden es morgen oder übermorgen abend sein? Fünftausend, zehntausend? Wie ich den Krieg doch hasse!”

      Don Hernando sah den britischen General mitfühlend an. Portugal war nie ein ruhiges Land gewesen. Irgendwo hatte es immer mit irgend jemandem Krieg gegeben. Er kannte nur zu gut die Geschichte seines Jesuitenbruders in Santa Clara, der erst nach 20 Jahren Krieg zur See und Gott weiß wieviel Blutvergießen seinen Frieden im Glauben gefunden hatte. In seinem eigenen Kloster versteckten sich ebenfalls ein paar ehemalige Soldaten vor ihrer Vergangenheit und vor ihren Alpträumen. Er setzte sich neben Lord Wellington auf die Pritsche: „Manchmal, mein Sohn, hilft es, wenn man mit jemandem über die Dinge spricht, die einen bedrücken! Es ist keine Schande, Angst zu haben!”

      Arthur hatte sich wieder gefaßt. Ruhig blickte er nun dem Prior in die Augen: „Angst? Da draußen stehen 50.000 Männer, Don Hernando! Sie leben, sie haben Träume, Wünsche, Hoffnungen. Sie haben irgendwo Eltern, eine Frau oder ein Mädchen, die sie lieben und die um sie zittern! Morgen oder übermorgen abend werden viele von ihnen tot sein, andere werden bis an ihr Lebensende grauenvoll verstümmelt dahinsiechen. Davor habe ich Angst, denn die Entscheidung, ob sie leben oder sterben, ob wir kämpfen oder weglaufen, fälle ich ganz alleine! Und wenn alles vorbei ist, dann bin ich wieder ganz alleine – mit den Gespenstern der Toten. Und das alles nur, weil ein einzelner Mann beschlossen hat, die Welt zu erobern! Bonaparte ist ein Monster! Wie bringt dieser Mann es nur fertig, so gnadenlos und kaltblütig Krieg um Krieg zu führen?”

      „So ist eben der Lauf der Welt, mein Sohn! Der Mensch ist das einzige Geschöpf unter diesem Himmel, das aus Lust und Gier tötet. Trotzdem! Irgend jemand muß den französischen Kaiser aufhalten, ansonsten wird unsere alte Welt nie wieder Frieden finden.”

      „Ja, irgend jemand muß versuchen, ihn zur Raison zu bringen. Die Politiker haben alle versagt. Auf Gewalt kann man eben nur mit Gewalt