Peter Urban

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe


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Russen und Briten ihr Leben lassen. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie es ist, in einer Welt im Frieden zu leben!” Er lächelte den Karmeliter traurig an: „Frieden! Und um dieser wunderbaren Illusion Willen werden wir kämpfen. Vielleicht kommt irgendwann wirklich der Tag ...”

      Der Prior stand auf: „Sie müssen nur ganz fest daran glauben, mein Sohn! Versprechen Sie mir, daß Sie mich wissen lassen, wenn Sie Ihr Schwert zerbrochen haben?”

      „Ich verspreche es, Don Hernando!“ Der riesige, imaginäre Stein hörte auf, Arthur zu erdrücken. Er spürte, daß seine Gespenster ihn in dieser Nacht nicht quälen würden.

      Der Morgen des 27. September 1810 war eiskalt und klar. Den ganzen Tag des 26. September über hatten die französische und die anglo-alliierte Armee einander gegenübergestanden und sich gegenseitig belauert. Massenas 65.000 Mann starke Streitmacht stand der Wellingtons genau gegenüber. Die größte Entfernung zwischen den beiden Kontrahenten belief sich auf nicht einmal ganz vier Meilen an der äußersten linken Flanke. Die Hälfte der alliierten Soldaten lag allerdings sorgfältig vor dem Auge des Gegners verborgen am östlichen Steilhang der Serra do Bussaco. Die Männer hatten ohne Feuer in der Nacht erbärmlich gefroren, aber ihr Oberkommandierender selbst war von Regiment zu Regiment geritten und hatte allen erklärt, warum er diesen Befehl gegeben hatte: Die Franzosen sollten nicht wissen, mit wie vielen Alliierten sie sich schlagen mußten. Umso selbstsicherer und siegesgewiß Massena, Junot, und Ney waren, umso mehr dumme, kleine Fehler würden sie machen.

      „Bei meiner Rückkehr aus Indien war es einmal mein innigster Wunsch gewesen, mich nur ein einziges Mal mit einem Marschall Napoleon Bonapartes zu messen. Jetzt habe ich drei dieser Herren auf einen Streich bekommen!“ Wellington schüttelte den Kopf beim Gedanken an die illustren Karrieren seiner Kontrahenten. Dann trieb er Kopenhagen eine Anhöhe hinauf zur Spitze des Nostra Senhora de Alto, dem Kommandoposten von Rowland Hill. Er fand den Freund in einen warmen Mantel gehüllt auf einem Stein sitzend, wie er gerade seinen jungen Adjutanten ausführlich erklärte, was sie nach dem ersten Kanonenschuß zu tun hatten. Sarahs kleiner Bruder, Lord Peter March, schien aufgeregt wie ein Kind am Weihnachtstag. Seine Wangen waren feuerrot angelaufen und er hing an den Lippen seines Generals. Für ihn war der Krieg wohl immer noch ein Spiel! Er war ja so stolz gewesen, als er nach der Schlacht von Talavera die Schulterklappen eines Leutnants auf die Uniform hatte nähen dürfen. „Guten Morgen, meine Herren! Wie stehen die Dinge bei der Zweiten Division?”

      Rowland Hill legte nachlässig zwei Finger zum Gruß an den Zweispitz. „Wenn die Franzosen nur endlich mit dem Tanz anfangen würden! Wir erfrieren hier langsam aber sicher, und die Rotröcke werden nicht mehr lange warten, bevor sie zum Gin greifen, um sich aufzuwärmen!”, spottete der Offizier.

      „Halten Sie die Männer von unserem gefährlichsten Gegner fern, Sir Rowland!” Arthur hatte Hill zugezwinkert, bevor er seinen Hengst wendete, um zur nächsten Stellung zu reiten. Er spürte, daß Massena heute den Angriff gegen seine Stellungen wagen wollte: Den französischen Dickschädel nach vorne gestreckt, würde er in den Berg hineinrennen!

      Die alliierten Aufklärer hatten keine Flankenbewegungen der Adler im Norden oder im Süden von Wellingtons Stellungen gemeldet. Es war einfach zu schön, um war zu sein, aber es würde geschehen! Der Frontalangriff gegen die beste Defensivposition, die ein General sich nur wünschen konnte. Vielleicht hatten die Gebete der Padres ihm ja doch geholfen ...

      Gegen fünf Uhr morgens war der Ire schließlich bei Pictons Stellung am San Antonio-Paß angekommen. Die Männer der Dritten Division schlangen gerade eine wenig vertrauenserregende kalte Mahlzeit hinunter. Arthur konnte nur erahnen, was sich in den Schüsseln befand. Suchend blickte er sich nach Sir Thomas um. Ein Sergeant aus dem 45. Regiment zupfte ihn am Mantel und deutete mit dem Finger zu einem Hügelchen. „Der Chef ist da oben, Mylord!” Er mußte zweimal hinsehen. Trotzdem glaubte Wellington zu träumen: Sein exzentrischer, walisischer General hatte doch tatsächlich für seinen ersten Waffengang mit Monsieur Massena das wallende Nachthemd und die Schlafmütze als Uniform ausgewählt. Wie eine irische Banshee sah er auf seinem großen, schwarzen Pferd aus. Der Wind ließ den weißen Stoff kräftig flattern, während Picton wild mit seinem Regenschirm in der Gegend herumfuchtelte und seine Adjutanten scheuchte. Der alte Tom benötigte offensichtlich nicht im geringsten den aufmunternden Zuspruch seines Oberkommandierenden. Kopfschüttelnd ritt Wellington weiter zu Craufurd und seiner eigenen Stellung am Kloster von Bussaco. „Hoffentlich erschreckt Sir Thomas die Franzosen genauso wie mich! Dann haben wir die halbe Schlacht schon gewonnen!”

      Nebel fing an, sich energisch über die Serra de Bussaco zu senken. Plötzlich konnte man nicht einmal mehr die französischen Korps von Ney und Renier sehen, die direkt unterhalb von Wellingtons Aussichtsposten Aufstellung genommen hatten. Der Ire hatte bereits Probleme, Craufurds Scharfschützen in ihren grünen Jacken auszumachen, die keine 1500 Fuß von ihm entfernt lagen. Seit beinahe einer Stunde schon rumorte es in den feindlichen Stellungen. Somerset, Campbell und Don Antonio Maria Osorio Cabral de Castro saßen knapp hinter Arthur auf ihren Pferden. Leise schwatzten die drei jungen Offiziere miteinander, während der General angestrengt durch den Nebel zu blicken versuchte. Er haßte es, seinen Gegner nicht sehen zu können.

      Alles ging Schlag auf Schlag: Schreie auf Französisch, Schreie auf Englisch und Portugiesisch. Dann fielen die ersten Schüsse des Tages. Die Scharfschützen beider Armeen waren in Kontakt. Arthur zog die Uhr aus der Tasche. Lakonisch konstatierte er: „Um sechs Uhr früh, am 27. September 1810 hat die Schlacht von Bussaco angefangen! Somerset, reiten Sie zu Picton! Er soll seine Männer ruhig halten! Don Antonio, dasselbe gilt für General Pack!“ Es war der Auftakt zu Massenas Frontalangriff auf die alliierten Stellungen. Der Marschall hatte diese Aufgabe General Reynier mit 14.000 Soldaten zugewiesen. Sie sollten die zentralen Positionen des Iren angreifen, indem sie entlang eines Maultierpfades nach vorne und bergauf stürmten. Dann, nachdem sie den Widerstand dort gebrochen hatten, sollten sie links und rechts die Alliierten umgehen und ihnen in den Rücken fallen. Doch der Prinz von Esslingen hatte seine Rechnung ohne Sir Thomas Picton gemacht. Nachdem die Scharfschützen in der vordersten Frontlinie eine Weile geschossen und den Anschein von Widerstand gegeben hatten, brachen sie ins Nichts weg. General Heudelets Soldaten rannten frontal in eine Wand aus Feuer hinein. Schwere portugiesische Artillerie, das starke 74. Regiment, eine Hälfte des 45. Regimentes und eine gewaltige Anzahl portugiesischer Infanteristen schossen aus allen Rohren. Die wenigen Überlebenden konnten nur noch in vollständiger Auflösung bergabwärts fliehen. Wild schwenkte Picton seine handgestrickte rote Schlafmütze durch das Morgengrauen: „Vorwärts, ihr betrunkenen Halunken! Laßt keinen entkommen. Zeigt ihnen, wie die Dritte Division mit den Adlern tanzt!” Von allen Seiten ertönten laute Hurra-Rufe. Die Portugiesen hatten ihre Feuertaufe ehrenvoll bestanden, die Briten erkannten, daß sie nach Rolica, Vimeiro und Talavera auf dem besten Weg zu ihrem nächsten Sieg waren.

      Elf Bataillone unter General Merle hatten sich kurz vor General Heudelets mißlungenem Frontalstoß aufgemacht, Lightburnes Brigade zu Pictons Linker entgegenzutreten. Sie stürmten direkt auf Wellingtons eigene Stellung zu. Arthur ließ sofort zwei 6-Pfünder wenden. Doch genau in dem Augenblick, in dem der bewährte von Rettberg feuerbereit war, schienen die französischen Angreifer sich im Nebel aufzulösen. Leise fluchte der Ire ein „Verdammt!“ vor sich hin. Die britischen Positionen an der äußersten linken Flanke der Serra de Bussaco waren die schwächsten in der ganzen alliierten Aufstellung. Es waren einfach nicht genug Soldaten vorhanden gewesen, um diese unendlich lange Front überall gleich stark zu besetzen. „Von Rettberg, noch zwei 6-Pfünder zu mir und schießen Sie mit Splittermunition und Kanister in die französische Formation!”

      Der deutsche Artillerieoffizier gehorchte unverzüglich. Jedes einzelne Geschütz adjustierte er eigenhändig. Er verstand, wie entscheidend es war, daß er jetzt präzise seine Ziele traf. Reyniers mächtige und kampferfahrene Erste Division hatte es geschafft, den höchsten Punkt der äußersten, linken Flanke zu nehmen. Die britischen leichten Regimenter flohen in panikartiger Auflösung vor der unaufhaltsamen französischen Woge. Gerade als Arthur Kopenhagen die Sporen geben wollte, um die Soldaten aufzuhalten und zu sammeln, flog wie ein böser Traum