Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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ich kann es nicht verjagen. Nun aber ist mir etwas eingefallen, von jetzt an muß ich ja nicht mehr allein kämpfen, jetzt hab' ich ja dich, der mir in meiner Schwäche beistehen wird.«

      Es lag soviel zärtliche Hingebung in ihrer Stimme, daß Sven Elversson auf seinem Lauscherplatz vor Scham errötete. Er fühlte sich nicht würdig, an den Gedanken und Gefühlen der jungen Frau Anteil zu haben.

      Die junge Frau versuchte jetzt, ihrem Manne klar zu machen, daß sie sich tatsächlich fürchte. Es sei ihr, als habe sie diese Hügel schon früher einmal gesehen. Da sei sie von einem mordgierigen Verfolger hier gehetzt worden und sei vor ihm geflohen. Oder vielleicht werde sie in Zukunft einmal hier verfolgt werden und müsse entsetzt versuchen, zwischen diesem Wirrwarr von Hügeln ein Versteck zu finden. Oder vielleicht liege jetzt gerade jemand hinter einem der Hügel auf der Lauer und wolle sie überfallen. Irgend etwas Entsetzliches sei in der Nähe. Am liebsten möchte sie aus dem Wagen springen und auf und davon gehen.

      Ihrer Stimme war anzuhören, daß sie sich mehr fürchtete, als sie mit Worten gestehen wollte, und daß ihr das alles tiefster Ernst war. Sven Elversson auf seinem Kutschbock konnte nicht umhin, ein wenig zu lächeln, und auch der Ehemann konnte nicht recht begreifen, wie sie sich um nichts und wieder nichts selbst so in Angst jagen konnte, und er versuchte, etwas Scherzhaftes und Lustiges zur Antwort zu geben.

      Aber dieser Versuch wurde nicht gut aufgenommen. Sie behauptete mit unerwarteter Heftigkeit, wenn es in Applum ebenso kalt und eingeschlossen sei, könne sie nicht dort bleiben.

      »Es ist verrückt und abscheulich, daß ich dir das heute sage,« erklärte sie. »Aber seit ich zwischen diesen Hügeln hier hinfahre, muß ich immerfort denken: wenn sich nicht irgend etwas Schönes in Applum findet, das mir hilft, so werde ich dort sicher von demselben Entsetzen erfaßt werden. Ich würde jeden Tag von neuem das Gefühl haben, es werde mir irgend etwas Schlimmes zustoßen.«

      Sven Elversson dachte an Applum, dessen Pfarrhaus hinter der Kirche in einer Bodensenkung lag, und dieser Platz war als geschützt und windstill mit der größten Sorgfalt ausgesucht worden. Er überlegte, ob ihr wohl die gleich großen Ackerstücke, die das Licht abschließende Bergwand, die mangelnde Aussicht, die roten, weißen und blauen Häuser und das baumlose, ebene Land gefallen könnten?

      »Der da drinnen im Wagen hat es jetzt nicht gerade leicht,« dachte Sven Elversson. »Ich wüßte durchaus nicht, wie ich sie beruhigen sollte. Aber er kennt sie und liebt sie. Das ist etwas anderes.«

      Der Pfarrer mußte derselben Meinung sein. Er schwieg eine Weile und dachte nach.

      »Ich will dir einen Traum erzählen, den ich im vergangenen Winter gehabt habe,« fing er dann an. »Dieser Traum machte mich, als ich ihn träumte, sehr vergnügt, und ich will sehen, ob er nicht auch denselben Eindruck auf dich macht.

      Nun, mir träumte also, ich fahre auf der Straße dahin, die zu deiner Heimat nach Stenbroträsk hinführt; es war noch recht winterlich, obgleich es dem Frühling zuging, ringsum nur ödes Feld und kahle Bäume, und der Weg schlecht und aufgeweicht. Die Brücken hatten überall Löcher, und das Pferd war eine elende Mähre, die kaum noch ein Bein vors andere setzen konnte.

      Von Norden her wehte ein kalter, eisiger Wind, alles war grau und häßlich, die wenigen Höfe am Wege kamen mir arm und unansehnlich vor, und über der ganzen Gegend lag eine ungastliche und niederschlagende Stimmung.

      Aber dann erreichte ich endlich eine Anhöhe, und da erblickte ich das Flußufer und die Kirche von Stenbroträsk und den Propsthof, und mit einem Male war alles wie verwandelt. Die Luft wurde warm, die Felder wurden grün, die Birken bekamen einen zarten Schleier, der Weg wurde gut und fest, alles wurde schön und freundlich und einladend, selbst in das Pferd kam neues Leben, und es fing an zu traben.

      Aber eins war höchst sonderbar; ich fühlte deutlich, Lenz und Wärme gingen von mir aus. Vorher waren sie nicht dagewesen, jetzt aber wurden sie dadurch hervorgezaubert, daß mein Herz warm wurde, als ich deine Heimat erschaute. Und in meinem Traum kam mir das gar nicht verwunderlich vor, es war nur, wie es sein sollte.«

      Als der Pfarrer so weit gekommen war, hielt er inne, und Sven Elversson hörte, wie ihn seine Frau mit einer Stimme, die jetzt völlig verändert war, fragte, wie es weitergegangen sei.

      »Es ging gar nicht weiter,« erwiderte er. »Diese Wärme im Herzen empfand ich als so köstlich, daß ich darüber erwachte.« Und als er das gesagt hatte, schwieg er von neuem.

      Aber nun hatten diese Worte über die Liebe, dieser kleine Funken Schönheit, die junge Frau ganz mit Begeisterung erfüllt, und der Lauscher auf dem Bock hörte, wie sie dem Manne mit einer vor Rührung fast erstickten Stimme zuflüsterte:

      »Und nun meinst du, wenn ich dieselbe Wärme im Herzen fühlte wie du, so würde ich auch die Schönheit dieses Landes und deiner Heimat erkennen, sogar die dieser schrecklichen Hügel.«

      Und ein wahrer Jubel klang aus der Stimme, als sie fortfuhr:

      »Mache dir um mich keine Sorgen! Jetzt seh' ich nichts mehr, was mich erschreckt, und ich fühle dasselbe, was du in deinem Traum empfunden hast.«

      »Ei sieh da, wie wenig kann man doch nach dem ersten Eindruck urteilen!« dachte Sven Elversson. »Sie hätte wirklich keinen besseren Mann bekommen können, als den Pfarrer Rhånge. Er hat Herz und Verstand. Wer hätte ihr wohl eine schönere Antwort geben können?«

      An einem Dienstag waren die Neuvermählten nach Hause gekommen. Am Samstag in derselben Woche ging Sven Elversson ins Pfarrhaus, um dem Pfarrer einige auf das Schulhaus bezügliche Urkunden zu überbringen. Er war ohne weiteres über Treppe und Flur ins Studierzimmer des Pfarrers gegangen, blieb aber dort dicht an der Türe stehen.

      Es war Amtstag, das wußte Sven, und wenn es auch schon spät war, hatte er doch durchaus nichts anderes erwartet, als er werde den Pfarrer an seinem Schreibtisch finden; allein er konnte ihn weder da noch sonstwo im Zimmer entdecken. Die großen Bücher, die an Amtstagen immer vorhanden waren, lagen jedoch aufgeschlagen auf dem Schreibtisch; und die Feder steckte im Tintenfaß, der Pfarrer konnte also nicht weit sein, das war deutlich zu sehen.

      Sven Elversson, der immer am liebsten so wenig Wesen als möglich aus sich selber machte, mochte nicht wieder über den Flur gehen, um in der Küche nachzufragen, ob der Herr Pfarrer zu Hause sei, auch mochte er ihn nicht in den anderen Zimmern aufsuchen. Er dachte, es sei gewiß nichts Böses, wenn er ruhig an der Tür stehen bleibe und warte.

      Aber während er so dastand und wartete, hörte er im Nebenzimmer Stimmen, und da die Tür nur angelehnt war, konnte er jedes Wort ganz deutlich verstehen.

      »Weißt du, Sigrun, um diese Zeit kommt die Post,« hörte er den Pfarrer ganz heiter und sorglos sagen. »Ich kann aber nicht selbst gehen und meine Sachen holen, weil heute Amtstag ist.«

      »Liebster, das paßt ja ausgezeichnet!« erwiderte die junge Hausfrau ebenso heiter und unbekümmert. »Malin hat gerade einen Gang zum Krämer zu machen, da kann sie die Zeitungen gleich mitbringen.«

      »Also um dies zu sagen, ist er weggegangen,« dachte Sven Elversson, und er nahm an, der Pfarrer werde nun, nachdem das geschehen war, zurückkommen.

      Aber wieder war die Stimme des Pfarrers im inneren Zimmer zu vernehmen.

      »Hättest du nicht Lust, selbst zu gehen, Sigrun?« fragte er. »Jetzt am Nachmittag ist das Wetter prächtig geworden, und die Wege sind nach dem vielen Regen, den wir seit Dienstag gehabt haben, auch wieder trocken. Die frische Luft würde dir gewiß gut tun.«

      Das wurde sanft und freundlich gesagt, nur wie ein guter Rat, und ebenso freundlich gab die junge Frau Antwort.

      »Ich würde dir sehr gerne die Post holen, Eduard, aber du siehst ja, die Vorhänge liegen im ganzen Zimmer verstreut; ich kann nicht gehen, ehe ich sie aufgemacht habe.«

      »Nun ist diese Frage wohl erledigt,« dachte Sven Elversson. Zugleich aber fiel ihm auf, daß die Stimme des Pfarrers, die eigentlich männlich und klangvoll war, wenn man sie neben der weichen und leisen Stimme der jungen Frau hörte,