Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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hätte er sich selbst von der Erde vertilgt, so zerknirscht war er.

      »Nein, das geht nicht so weiter,« dachte sie. »Es muß anders werden. Der liebe Gott kann uns doch nicht vollständig verlassen.«

      Das Kirchspiel Applum, zu dem die Grimö gehörte, umfaßte nicht nur das auf dem Festlande liegende Kirchdorf, sowie einige Dutzend rundum im Meere verstreute Holme und Schären, sondern auch das Fischerdorf Knapefjord, das sich mit seinen Speichern und Bootshäusern, seinen langen Landungsstegen, seinen Hafenbauten, seinem großen Badehaus und den Schwimmbehältern nebst Booten und Bojen, ebensosehr im Wasser wie auf dem Lande auszubreiten schien.

      Mutter Elversson pflegte mit Eiern und Butter hier herüber zu rudern, und sie machte allerlei Versuche bei den Hausfrauen, die ihre langjährigen Kunden waren und alle ihre Verhältnisse genau kannten, den heimgekehrten Sohn zu rühmen.

      Aber sie fand bald, daß das vergebliche Liebesmühe war. Man sagte ihr zwar kein unhöfliches Wort, sondern tat nur, als ob man nichts höre, etwa so, wie wenn ein sonst vernünftiger Mensch plötzlich mit irgendeinem ungereimten Einfall daherkommt.

      »Ach, diese gottseligen Weiber!« legte Mutter Thala los, als sie nach Hause kam. »Ihre Herzen sind so erfüllt von Glauben und Gerechtigkeit, daß für Barmherzigkeit kein Platz mehr darin ist.«

      Und auch Joel hatte nicht mehr Glück.

      Er pflegte nunmehr, wenn die Leute zu ihm kamen und Hilfe suchten, hinzuwerfen, er werde für Derartiges zu alt und sein Sohn Sven könne jetzt bald an seine Stelle treten. Aber er traf nur auf völlige Verständnislosigkeit. Die Fischer und die Bauern, mit denen er sprach, zeigten sich ebenso taub, wie die gestrengen Frauen der Schiffskapitäne in Knapefjord.

      Am Weihnachtsabend saßen Joel und Thala mit ihrem Sohne in der niederen Stube auf der Grimö und sprachen von der Zukunft.

      »Hör', Mutter,« sagte Sven Elversson, der an diesem Abend außergewöhnlich froh und leichten Herzens zu sein schien, »findest du es nicht auch kalt und finster hier in der alten Küche? Wie wär's, wenn wir in das große Haus übersiedelten?«

      »Bewahr' uns Gott!« rief sie. »Es hat ja weder Fußböden noch ein Dach.«

      »Das kann alles gemacht werden,« sagte der Sohn. »Ich habe mir die Wände angesehen, die sind völlig unbeschädigt. Dort sind helle und freundliche Zimmer mit der Aussicht aufs Meer. Es ist doch schade, wenn wir das alte Kapitänshaus völlig verfallen lassen.«

      Natürlich waren Vater und Mutter mit ihm ganz gleicher Meinung, aber es fehlte an Geld.

      Nun erklärte ihnen der Sohn, daß er Geld habe. Es sei kein Geld, das er von seinen Pflegeeltern erhalten habe, sondern es sei von ihm selbst redlich verdient. Als er auf seine Nordpolreise ausreiste, waren ihm bei der Heimkunft tausend Pfund versprochen gewesen, und die waren ihm jetzt ausbezahlt worden.

      Da sah der Vater, der alte Joel, der selbst keinen Augenblick Ekel empfunden hatte, wie sich die alten verabschiedeten Seekapitäne, die früher diese Insel bewohnt hatten, mit Abscheu im Grabe umdrehten.

      »Nicht mit dem Geld!« stieß er hervor. »Ich möchte gerne das alte Haus wieder hergerichtet haben, aber nicht für dieses Geld.«

      Erstaunt sahen Mutter und Sohn den Alten an. Aber beide begriffen rasch, was ihn anfocht, und es wurde von etwas anderem gesprochen.

      Der Vater dachte an die alten Seekapitäne mit ihren wettergebräunten Gesichtern, ihren teerigen Fäusten und ihren durstigen Gurgeln, an die gutmütigen, lustigen Männer, die in der Wahl ihrer Worte durchaus nicht wählerisch und auch in der Wahl ihres Umganges keineswegs engherzig gewesen waren. Seine Vorfahren waren wohl von derselben Art gewesen, und nun hatte er seinem Sohne gesagt, er sei nicht gut genug, in ihre Wohnung zu ziehen. Er hatte ihm gesagt, sein Geld, das er mit Einsatz seines Lebens auf demselben Meer verdient hatte, auf dem die alten Seebären umhergefahren waren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sei nicht gut genug, ihr verfallenes Haus wieder damit aufzurichten.

      An diesem Abend legte sich ein mildes, geduldiges und verzeihendes Lächeln auf Sven Elverssons Gesicht und blieb auch dauernd darauf haften. Dasselbe Lächeln war schon früher darüber hingeflogen, wenn er durch den Ekel, den er anderen einflößte, gequält wurde, es war gekommen und war wieder verflogen. Jetzt, wo der Vater gezeigt hatte, daß er ihm gegenüber ebenso zu empfinden imstande war, wie die anderen, fing es an, seinen dauernden Wohnsitz da aufzuschlagen.

      Als der Vater dieses Lächeln sah, das auf des Sohnes Antlitz ruhte und nicht mehr weichen wollte, stand er auf und sprach einige Worte, die das wieder gutmachen sollten, was er gesagt hatte. Der Sohn gab freundliche Worte zur Antwort, aber das Lächeln blieb.

      Der Vater wurde böse auf sich selbst, darum, daß er die Wunde wieder aufgerissen hatte. Er begriff wohl, daß der Sohn seither von dem Gelde geschwiegen hatte, weil er gerade am heutigen Abend davon hatte reden wollen. Bald fühlte sich der Vater so beschämt, daß er nicht mehr in der Stube bleiben mochte; er setzte den Hut auf und ging in die dunkle Nacht hinaus. Nun konnte die Mutter vielleicht dem Sohne auseinandersetzen, was der Vater wirklich im Herzen für ihn empfand.

      Aber kaum war Joel in der Nacht draußen verschwunden, als sieben wilde betrunkene Gesellen in die Küche hereinstürzten.

      Sie erklärten, sie wollten Sven Elversson mitnehmen zu einer kleinen Lustbarkeit. Nur um ihn abzuholen, seien sie herübergefahren.

      Als Mutter Elversson sich die Schar näher betrachtete, erkannte sie, daß es eine zusammengehörige Bootsbesatzung von Fischern war, die aus den wildesten, rohesten und versoffensten Kerlen in der ganzen Gegend bestand. Hinter den anderen, gerade als wolle er sich versteckt halten, erkannte sie einen von ihren eigenen Söhnen, der bei einem Kaufmann in Knapefjord in Stellung war.

      Von den betrunkenen, taumelnden und blödsinnig lachenden Gesellen wendete sie den Blick auf ihren Sohn, den zu beleidigen und zu strafen diese gekommen waren. Er war schlank und fein gebaut, die Augen waren schmal mit einem beinahe zärtlichen Ausdruck, die Hände weiß und rein. Dabei war er sauber gebürstet und rasiert und trug gut sitzende Kleider. Er rauchte nicht, trank nicht, spuckte nicht und brachte kein unschönes Wort über die Lippen.

      Diese anderen, die hergekommen waren, um den Gequälten noch mehr zu quälen, sie ahnten nicht, daß er eine bessere Erziehung genossen hatte als sie, daß er ein genußreicheres Leben geführt und einen schärferen Verstand hatte, als alle diese hier zusammen. Sie kamen her um ihres Ekels willen, weil sie Sven für einen Wurm ansahen, den sie zertreten wollten, für eine häßliche Kröte, die kein Recht hat, sich innerhalb eines christlichen Hauses aufzuhalten.

      Als die fremden Gesellen in die Stube hereinkamen, legte sich eine sonderbare Art von Ohnmacht über Sven Elversson. Nicht, als ob ihm schwindlig geworden wäre oder er das Bewußtsein verloren hätte, o nein, aber er fühlte sich außerstande, sich zu rühren. Er hatte ein starkes Vorgefühl, daß dieses das Ende seines Lebens bedeute. Diese Menschen waren gesandt, ihn totzuquälen, und es hatte keinen Wert, Widerstand zu leisten. Das Leben, so wie es sich für ihn gestaltet hatte, war es nicht wert, daß er irgendeine Anstrengung machte, es sich zu erhalten.

      An diesem selben Morgen hatte einer von den Gesellen eine steifgefrorene Ringelnatter am Wege gefunden; er hatte sie mitgenommen und den Kameraden gezeigt.

      »Die sieht richtig appetitlich aus,« hatte der eine bemerkt.

      »Ja, nur schade, daß niemand da ist, der sie verzehren möchte.«

      »Wollen wir nicht Sven Elversson, der Menschenfleisch ißt, fragen, ob er sie mag?«

      »Dem wird sie sicher schmecken!«

      So waren sie auf den Gedanken gekommen, nach der Grimö zu fahren. Sie wurden von einem dunkeln Gefühl geleitet, daß ein so strafwürdiger Mensch wie Sven Elversson nicht im Frieden Weihnachten feiern dürfe, sondern just an diesem Tage aufgestört und gequält werden müsse.

      Seinen Bruder hatten sie mitgenommen, damit dieser ihnen in der finstern Nacht das Fahrwasser zeige, und der Bruder war gar nicht so sehr ungern mitgegangen. Er war zwar lange nicht so betrunken wie die anderen,